Freitag, 30. Januar 2009

Wir bauen uns eine "Dolchstoßlegende"

Wenn eine Pappnase wie das Ex-Unternehmerwunderkind Lars Windhorst zum wiederholten Mal eine Firma in den Bankrott fährt, dann ist das "Pech".

Und nicht nur deshalb wird er wohl nach wie vor als besserer Unternehmer als "der Staat" gelten dürfen, denn, so Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff:



„Der Staat ist der schlechtere Unternehmer. Dass die Politik es besser kann als die Wirtschaftsverantwortlichen, kann man weiß Gott nicht behaupten. Ich bin Ministerpräsident von Niedersachsen und überschätze meine Bedeutung nicht. Als Land werden wir nicht künftig Reifen produzieren. Das ist nicht meine Sicht von sozialer Marktwirtschaft.“


Um die Legende von der prinzipiellen Überlegenheit privatwirtschaftlichen Unternehmertums am Leben zu halten, empfiehlt es sich nun dringend, alle "notleidenden" Banken und Unternehmen schleunigst zu verstaatlichen. - Wenn dann schlussendlich "die Wirtschaft" komplett den Bach runter gegangen sein wird, wird sich einmal mehr eindrucksvoll erwiesen haben: „Der Staat ist der schlechtere Unternehmer", denn schließlich werden es so ausschließlich staatseigene Betriebe sein, die am Ende Konkurs anmelden müssen und nicht etwa privat geführte Unternehmen. Und "die Wirtschaft" hätte einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass ihr sowas nicht passieren kann. Und wie es der Zufall will, auch dieses Mal werden es - einmal mehr - die Sozialdemokraten sein, die (uns) brav die Suppe auslöffeln (lassen), die andere (uns) eingebrockt haben.

Merke: Wer den Schaden hat, braucht über den Spott nicht zu klagen.

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Dienstag, 27. Januar 2009

Online-Petition "Bedingungsloses Grundeinkommen"

In einem Kommentar hinterließ ein Leser einen Hinweis zur derzeit laufenden Online-Petition zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Hier der Text und die Begründung der Petition:
Text der Petition
Der Deutsche Bundestag möge beschließen ... das bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen.
Begründung
Unser Finanz- und Steuersystem ist sehr unübersichtlich geworden. Auch die Arbeitslosenquote scheint eine feste Größe geworden sein. Um nun allen Bürgern ein würdevolles Leben zu gewährleisten, erscheint mir die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als guter Lösungsweg. Ca. 1500€ für jeden Erwachsenen und 1000€ für jedes Kind.
Alle bestehenden Transferleistungen, Subventionen und Steuern einstellen und als einzige(!) Steuer eine hohe Konsumsteuer einführen. Eine deutliche Vereinfachung unseres komplizierten Finanzsystems erscheint mir zwingend erforderlich. Auch ginge mit dieser Veränderung ein deutlicher Bürokratieabbau, und damit eine Verwaltungskostenreduzierung, einher.

Dass ich selbst ein Befürworter eines solchen BGE bin und warum, das habe ich bereits vor längerer Zeit in diesem blog ausführlich dargelegt. Die Begründung empfinde ich allerdings sowohl als verfehlt wie auch als unzureichend. Dennoch werde habe ich die Petition in ihrer gegenwärtigen Fassung nicht mitzeichnen nun doch mitgezeichnet, da obwohl ich die Finanzierung durch eine Konsumsteuer (als einzige Steuer überhaupt) nach wie vor weder für gerecht noch, noch für vernünftig, noch für realisierbar halte. Ich hoffe, dass in der kommenden Debatte auch andere Ansätze zur Sprache kommen werden. Mein Plädoyer für ein Bedingungsloses Grundeinkommen vom Mai vergangenen Jahres habe ich zwischenzeitlich unter Berücksichtigung verschiedener Einwände überarbeitet. Hier nun die aktualisierte Fassung:



Bedingungsloses Grundeinkommen

Lohn und Einkommen

Ich wills mal mit Marx einleiten: Damit Menschen (überhaupt) als Menschen leben können, müssen sie ihre Lebensmittel selbst produzieren. Nur um zu überleben, muss aber gerade heute nicht mehr (im Sinne von Produktion) unbedingt von jedermann gearbeitet werden. Man kann auch arbeitslos ganz gut durchs Leben kommen und es z.B. durch Raub, Betrug oder Übervorteilung sichern. Vor allem aber muss man dann nicht von seiner eigenen Produktivität leben, wenn man Mittel und Wege findet, sich der Arbeitskraft anderer zu bemächtigen.

Es gilt also zunächst einmal mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass ein jeder von seiner (physisch) eigenen Arbeit leben würde oder müsste. Alle leben von Arbeit - das ist klar - aber damit ist eben noch nicht gesagt, dass alle von ihrer je eigenen Arbeit leben und auch nicht, dass jeder, der arbeitet, auch in den vollen Genuss der Früchte seiner Arbeit käme. Trotzdem wird an dem Paradigma, dass im wesentlichen jeder auch den Lohn erhalte, den er verdiene, eisern festgehalten. Was aber versteht man überhaupt unter "angemessenem Lohn"? Wonach wird dieser Lohn berechnet - nach der aufzuwendenden, geleisteten Arbeit oder nach anderen Kriterien? Gibt es hier überhaupt objektive Kriterien? Ist es nicht sogar so, dass der gezahlte Lohn immer nach einem Minimalprinzip zugestanden wird, d.h. dass er auf die tatsächlich geleistete Arbeit gar keine Rücksicht nimmt, sondern nur darauf abzielt, möglichst viel Arbeitskraft für einen möglichst niedrigen Preis einzukaufen?

Ein häufig gegen das bedingungslose Grundeinkommen vorgebrachter Einwand lautet etwa: "Kaum jemand würde noch niedere, wenig attraktive Arbeiten verrichten, wenn er auch ohne sie ein Einkommen hat". Ein Beweis für diese These kann freilich nicht erbracht werden, denn dazu mangelt es schlicht an empirischen Beispielen. Allerdings kann man eines sicher annehmen: niemand würde irgendeine unattraktive Tätigkeit dann noch zu einem (zu) niedrigen Preis ausüben wollen - und das zu Recht. Es geht freilich ohnehin kaum wirklich darum, ob Menschen (überhaupt) arbeiten oder produktiv sind oder nicht, sondern um die "Gefahr", dass sich womöglich nur noch sehr wenige bereit finden könnten, für andere (genauer: für deren - höhere - Einkommen) zu arbeiten - respektive ihre Arbeitskraft zu an den nächstbesten "Arbeitgeber" zu Niedrigstlöhnen zu verschleudern. Nicht ohne Grund wird ja nicht jede produktive menschliche Tätigkeit auch als "Arbeit" gewertet. Tätigkeiten aus denen Dritte keine unmittelbaren Gewinne "erwirtschaften" können, fallen seit je aus der Statistik (Haushalt, Kindererziehung usw.).

Einkommen können mithin nur gesellschaftlich generiert werden. Aus rein privater Tätigkeit kann vielleicht Subsistenz gesichert, niemals aber ein Einkommen erworben werden. Um ein "privates" Einkommen erzielen zu können, muss ein Teil der je privaten Tätigkeit sich in gesellschaftliche Tätigkeit wandeln, es muss zum Austausch von Produkten kommen, wozu sich die Produkte (nach Marx) in Waren zu wandeln haben und es muss, um das Tauschverfahren auf Permanenz zu stellen, einen Repräsentanten für gerade nicht vorhandene/benötigte/verfügbare Produkte geben: Geld. Geld ist eigentlich nichts anderes als ein allgemein einlösbares Versprechen, ein Produkt oder eine Leistung im Austausch für eine bereits erbrachte (vorgeschossene) Leistung zu erhalten (bei Marx: W-G-W). Den Anspruch hat, wer das Geld besitzt und zwar ganz unabhängig davon, wer etwa die jeweilige vorgeschossene Leistung tatsächlich erbracht hat. Dass es beim Tauschen allerdings keineswegs (immer) mit rechten Dingen zugeht, darauf verweist schon die Herkunft des Wortes:

tauschen: Die nhd. Form tauschen geht zurück auf mhd.tüschen "unwahr reden, lügnerisch versichern, anführen", eine Nebenform von gleichbed. mhd. tiuschen (vgl. Täuschen). Die heute allein übliche Bed. "Waren oder dgl. auswechseln, gegen etwas anderes geben", in der das Verb zuerst im 15. Jh. bezeugt ist, hat sich demnach aus "unwahr reden, in betrügerischer Absicht aufschwatzen" entwickelt. Aus dem Verb zurückentwickelt ist das Substantiv Tausch m (16. Jh.) Beachte dazu die Zus. Tauschhandel (18. Jh.) und die Präfixbildung vertauschen "irrtümlich oder unabsichtlich auswechseln" (mhd. vertüschen "umtauschen; in der heutigen Bed. um 1700).(*FN*
Duden Etymologie. Bibliographisches Institut. Mannheim 1963. S. 703


Ziemlich passend dazu, lesen wir über die Phase von 1492 bis 1700:

Das Bürgertum in den Städten gewinnt durch Gewerbefleiß und Handel an Reichtum, Macht und Bildung. Frühkapitalismus in Deutschland: Bergbau und Großhandel (die Geschlechter der Fugger und Welser in Augsburg).
Dr. Karl Ploetz. Auszug aus der Geschichte. A.G. Ploetz Verlag, Würzburg 1960. S.723

Was sich aus solchen Zitaten freilich nicht erhellt, ist: in welchem Umfang je der Fleiß (und: wessen Fleiß) und der Handel am wachsenden Reichtum des Bürgertums ihren Anteil hatten - auch wird nicht unterschieden zwischen händlerischer Umtriebigkeit und "fleißiger" (wenngleich für manchen wohl vergeblicher) produktiver Tätigkeit im engeren Sinne. Auch ein Roßtäuscher kann seinem Gewerbe immerhin mit großem "Fleiß" nachgehen. Der Sieger schreibt die Geschichte, verweist auf den Erfolg (als solchen) und schreibt (ihn) sich gut. Und wie sollte die bürgerliche Geschichtsschreibung etwas anderes sein können, als die Geschichte von Krämern: was am Ende zählt, ist allein der Saldo.


Tausch und Täuschung

Nach wie vor, wird im "Tausch" vornehmlich ein asymmetrisches Wechselverhältnis ausgedrückt. Im Tausch wechseln verschiedene Objekte ihren Platz (In einer Gesellschaft von Eigentümern abstrakt: ihren Eigentümer) und werden dabei ungeachtet ihrer eigentlichen (unmittelbaren) Unvergleichbarkeit als äquivalent betrachtet. Wirkliche Äquivalenz gibt es ohnehin nur auf quantitativ abstrakter Ebene: Ein Kilo Blei ist einem Kilo Brot äquivalent, insofern als beide das gleiche Gewicht einer unabhängig von ihnen und ihrer verschiedenen Beschaffenheit definierten Grösse namens Kilogramm aufweisen. Damit ist die Äquivalenz aber auch schon erschöpft. Hier kommt nun die Metaphysik im Gewande der Rationalität ins Spiel: wir tauschen nicht (was ihre materielle Beschaffenheit angeht) äquivalente Waren, sondern äquivalente "Werte". (Genau besehen werden aber weder äquivalente Waren noch äquivalente Werte getauscht, sondern "nur" äquivalente Rechte. Man tauscht sein Recht über eine bestimmte Sache frei zu verfügen, ein gegen das Recht stattdessen über eine andere Sache in gleicher Weise verfügen zu dürfen.) Ein empirischer Wert (eine Größe oder Menge) drückt sich im Ergebnis einer Messung (i.e. des Vergleichs eines Aspektes einer Sache mit einer festgesetzten Skala, die unabhängig der mit ihr zu messenden Gegenstände definiert wird) aus. Man misst z. B. die räumliche Ausdehnung eines Gegenstands, indem man ihn mit der Länge eines Maßstabs vergleicht. Ein solcher Maßstab kann eine Elle sein, ein Zoll ein Meter usw. Es muss aber Einigkeit über die zu verwendende Maßeinheit herrschen und sie muss angegeben sein: "Dieses Brett ist ein (Meter) lang." - "Unsinn es misst zwei (Ellen)." - So geht das eben nicht. Um einen physischen (empirischen) Wert zu ermitteln, muss er also messbar sein und es muss einen eindeutig definierten Maßstab geben und: dieser Maßstab muss selbst die zu messende Eigenschaft aufweisen, d.h.: er muss eine Länge besitzen, wenn man eine Strecke messen will, ein Gewicht, wenn man etwas wiegen will usw. In Hinsicht auf den Zweck ist der jeweilige Maßstab eigentlich ganz und gar als nur diese eine Eigenschaft zu betrachten (wie z.B. das handgreifliche "Gewicht", das bei einer Balkenwaage Verwendung findet). Mit diesen Maßen allein lässt sich freilich schwer Handel treiben - welcher Bäcker z.B. möchte schon für sein Kilo Brot ein Kilo Wackersteine erhalten? Und welchen "objektiven" Maßstab könnte man an menschliche Lebenszeit anlegen? Man vergleicht (misst) Strecken mit Strecken, Gewicht mit Gewichten - aber kann man (Lebens-arbeits-)Zeit "exakt" mit Geld messen?


Man arbeitet nicht allein "für sich".

In einer halbwegs entwickelten, komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaft ist es natürlich ganz fraglos so, dass praktisch jeder für andere arbeitet und zwar konkret für alle anderen, so wie letztlich alle anderen für ihn arbeiten, denn es ist praktisch unmöglich geworden, dass alle einzelnen sich komplett aus ihren je individuellen Tätigkeiten unmittelbar reproduzieren. Der Fehler im System ist aber dieser: dass eine Minderheit von Menschen den Überschuss, der von der Gesamtheit der Arbeitenden erzeugt wird, exklusiv abzuschöpfen in der Lage ist und infolgedessen überdies der Mehrheit die Bedingungen, zu denen sie zu arbeiten hat, diktieren kann. Damit das überhaupt möglich ist, bedarf es einer Grundbedingung in Form der Möglichkeit, die je verausgabte Arbeitskraft durch einen Bruchteil dieser Verausgabung wiederherzustellen. Der zweite Schritt ist dann: dem Arbeitenden jeweils nur soviel auszuhändigen, wie er zu seiner eigenen Reproduktion unbedingt benötigt und den Rest abzuzweigen und einzubehalten. Hier ist anzumerken, dass zur Reproduktion mehr gehört, als nur ausreichende Ernährung, Bekleidung und ein Dach über dem Kopf; auch die je eigene Position im Sozialgefüge will ständig reproduziert sein. Es ist also wichtig festzustellen, dass das je notwendige Existenzminimum nicht etwa auf "natürlicher" Basis festgelegt werden kann, sondern sich immer aus den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen ergibt, es also keineswegs als hinreichend angesehen werden darf, dass "bei uns niemand verhungern muss".

Um dieses System ungleicher und letztlich unverhältnismäßiger Verteilung in Gang zu halten, darf die Mehrheit niemals so gut entlohnt werden, dass etwa jedermann von weiterer unzureichend vergüteter Tätigkeit einmal Abstand nehmen könnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, wenn schon nicht das nackte Leben zu riskieren, so doch wenigstens seinen sozialen Status einzubüßen. Kurz und gut: es geht um die Produktion und die Möglichkeit der exklusiven Aneignung von Mehrwert. Würde dieser Mehrwert an diejenigen, die ihn erzeugen, ausgeschüttet, wären sie der Notwendigkeit im gewohnten Umfang arbeiten zu müssen ledig - und damit: frei - auch frei dazu, ihre bisherige Tätigkeit aufzugeben und weiter: ihre sozialen Bedürfnisse menschlich und nicht marktförmig zu gestalten, ihre Tätigkeiten an ihren eigenen Interessen auszurichten und nicht an von Dritten oktroyierten Zwängen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist letztlich nur die Forderung, diesen Mehrwert auszuschütten, respektive ihn anders und fairer zu verteilen, statt ihn denjenigen die ihn schaffen zu entziehen und exklusiv zu akkumulieren. Der Stand der Produktivkräfte erlaubt schon seit geraumer Zeit, mit einem Minimum an menschlicher Arbeit eine extreme Mehrwertrate zu erzeugen. Das heißt: es wird soviel Überschuss erzeugt, dass man es sich buchstäblich nicht mehr leisten kann, alle verfügbare menschliche Arbeitskraft zu mobilisieren, denn:

  • setzt man auf "Vollbeschäftigung" und steigert die Produktion entsprechend, dann fallen, durch das Überangebot bedingt, die Preise für die erzeugten Güter und die Mehrwertrate sinkt.
  • verteilt man die Arbeit um, so dass alle arbeiten können, aber eben weniger (oder weniger produktiv) arbeiten müssten, dann steigert man die Produktionskosten und die Mehrwertrate sinkt ebenfalls.

Nun gibt es noch eine ganze Reihe von wünschenswerten Tätigkeiten, aus denen aber kein (oder: noch kein) Mehrwert generiert werden kann. Man denke z.B. an Erziehung, Bildung etc. Im Prinzip alles das, was entweder aus dem Anteil des Mehrwerts finanziert werden muss, der in Form von Steuern dem Staat zufließt oder aber in die verbliebenen Reste einer "rein" sozialen Sphäre fällt und innerhalb von Familien oder anderen (Lebens-)Gemeinschaften ohne monetäre Vergütung erledigt wird. Dieser Teil wird aber nach allen Regeln der Kunst so klein als möglich gehalten (Stichwort: Unternehmenssteuerreform). In den vergangenen 50 Jahren ist der Anteil derjenigen Steuern die aus abhängiger Arbeit abgeführt wurden, gegenüber dem Teil der aus Einkünften aus Vermögen stammt, ständig gestiegen und das bei abnehmender Beschäftigungsrate und bei steigenden Einkünften aus Vermögen. D.h. eine privilegierte Minderheit erzielt immer größere Einkommen, ohne dass sie dafür noch (selbst) arbeiten müsste. Und bei der zur Arbeit "verurteilten" Mehrheit häuft sich zunehmend die Zahl derer, denen man abverlangt "für sich selbst zu sorgen", ohne dass sie dazu überhaupt eine reelle Chance hätten. Solange sich an dieser Situation nichts ändert, bleibt so oder so kein anderer Weg als die "Überflüssigen" auf diese oder jene Weise zu alimentieren. Die gängige Strategie kennen wir ja, man gibt ihnen ein schmales Almosen (Hartz IV) und ein ordentliches Pfund Schuldgefühl indem man ihnen weiter einhämmert, dass wer nicht arbeitet, (eigentlich) auch nicht essen soll.


Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist kein "Lohn", sondern ein Recht.

Es heißt "Bedingungsloses Grundeinkommen" und nicht etwa "Bedingungsloser Grundlohn" und das impliziert, dass es sich bei dieser (noch hypothetischen) Einrichtung eben nicht um eine Leistungsvergütung ohne (gegen-)Leistung handelt, und man sollte es deshalb vielleicht auch nicht als eine Art "Lohnersatz" diskutieren, sondern als ein Recht. Dazu gleich mehr. Zunächst noch ein Hinweis zu Einkommen im allgemeinen: Ich habe weiter oben bereits angedeutet, dass mitnichten alle Einkünfte aus eigener Arbeit stammen, sondern dass es auch einen gewissen (wachsenden) Teil an Einkünften aus Vermögen gibt, der als etwas ganz selbstverständliches angesehen wird. Kaum jemand würde (zumindest gegenwärtig) auf die Idee kommen, solche Einkünfte abschaffen zu wollen, da sie die von solchen Einkünften Begünstigten ja vielleicht vom arbeiten abhalten könnten. Und obgleich diese Einkommen zum Teil sehr beträchtlich sind, machen sie meist nur einen Teil der gesamten Einkünfte einer Person aus - es gibt also hinreichend Beispiele, dafür, dass Leute dauerhaft irgendeiner Arbeit (oder was man so dafür hält) nachgehen, ohne dass sie durch ihre wirtschaftliche Lage dazu gezwungen wären. Der Hinweis, dass auch noch andere (und vielleicht sogar: schwerwiegendere) Gründe als nur monetäre gibt, einer Erwerbs-Arbeit nachzugehen, scheint also berechtigt. Zum anderen wirft dieser Umstand die Frage auf, warum man z.B. aus einem "privat" ererbten Aktienpaket, also einen privaten Anteil am Produktivvermögen, arbeitslose Einkünfte erwerben, darf, nicht aber aus einem "Erbteil" am gesellschaftlich erwirtschafteten, folglich eigentlich gemeinsamen Vermögen?


"Wer erbt, arbeitet nicht ..."

Das BGE ist also keine Lohnersatzleistung, macht dedizierte Lohnersatzleistungen aber weitgehend überflüssig (man könnte immer noch über Versicherungen gedeckte zusätzliche Leistungen anbieten) - es würde praktisch alle nicht versicherungsfinanzierten Sozialleistungen einheitlich abdecken bzw. überflüssig machen. So z.B. Kindergeld, BaFöG, Sozialhilfe (heute Sozialgeld), das sog. ALG II, usw., aber auch etliche heute noch versicherungsfinanzierte Leistungen wie z.B. Arbeitslosengeld I würden entbehrlich. Damit entfiele zugleich mit einem Schlag der ganze derzeit mit diesen Leistungen noch verbundene bürokratische Aufwand. Das würde freilich, wie anzunehmen ist, zumindest zunächst die "Arbeitslosenquote" weiter in die Höhe treiben, denn es würden ja jede Menge "Arbeiten" überflüssig, vor allem solche, die überhaupt erst infolge der gegenwärtig geltenden repressiven Regelungen "geschaffen" wurden; angefangen beim bürokratischen Ueberbau bis hin zu den zahllosen, oft ziemlich fragwürdigen "Bildungsträgern", deren Hauptaufgabe eben nicht die Bildung der gerade Erwerbslosen ist, sondern hauptsächlich darin besteht, die Arbeitslosenstatistiken aufzuhübschen. Damit wäre aber auch - jedenfalls ist davon auszugehen - eine zusätzliche Nachfrage nach Tätigkeiten in anderen Sektoren des Arbeitsmarktes entstehen.

Selbst für den Bereich der niedrig entlohnten Tätigkeiten wäre ein solches Grundeinkommen m.E. keineswegs hemmend - im Gegenteil: es gab schon immer, und es gibt sie nach wie vor, Tätigkeiten, die so niedrig vergütet werden, dass ein Anspruch der sie Ausübenden auf sog. "ergänzende Sozialleistungen" besteht. Mit anderen Worten: es gab und gibt längst Menschen, die irgendeinen Scheißjob für einen Hungerlohn machen, obwohl sie auch ohne zu arbeiten das gleiche Einkommen erzielen könnten. Hier würde sich folglich zunächst gar nichts ändern, außer dass der bürokratische Overhead wegfiele und die in entsprechenden Bereichen Tätigen über ein insgesamt wenigstens halbwegs anständiges Einkommen verfügen könnten. Weiters dürfte ein solches Grundeinkommen ohnedies niedrig genug ausfallen, als dass sich aus ihm allein nennenswerte Beträge ansparen ließen, d.h. diese Gelder würden praktisch in vollem Umfang ständig wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen und wer nach mehr als einem nur auskömmlichen Dasein verlangt, der wird dieses über ein zusätzliches Erwerbseinkommen erarbeiten müssen. Dabei gilt es freilich stets dafür Sorge zu tragen, dass jedwede Erwerbstätigkeit als solche angemessen vergütet wird, und das Grundeinkommen nicht etwa zu einem System der Lohnsubvention im Niedrigstlohnbereich mutiert, so dass etwa Hungerlöhne künftig noch mickriger ausfallen dürften, weil sie ja niemandes Existenz sichern müssten. Dennoch ist - allein schon angesichts der zahlreichen Verlockungen, die die Konsumgüterindustrie ständig aufs Neue bereithält - wohl kaum anzunehmen, dass sich eine wirklich nennenswerte Zahl von Menschen mit einem Einkommen in der Höhe dieses Grundeinkommens (je nach Konzept zwischen 600 - 1500 Euro monatlich) vollauf zufrieden geben würde. Immerhin: ein solches Grundeinkommen setzte einen jeden in den Stand jederzeit "Nein!" sagen zu können, ohne dass er dabei irgendwelchen Repressionen zu fürchten hätte. Es geht nicht um Spaß und Freude an dieser oder jener Arbeit, sondern um eben diese Möglichkeit "Nein!" sagen zu können. Es geht um ein Stück Freiheit.

Was sich mithin entscheidend ändern würde, wäre die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit gerade derjenigen, für die die Wirtschaft zeitweilig oder dauerhaft keine Verwendung hat. Es wäre z.B. jedermann möglich auf Teilnahme am Arbeitsleben vorübergehend zu verzichten und stattdessen ein Studium zu beginnen oder sich sonstwie zu bilden oder zu qualifizieren; man könnte sich aber auch frei dafür entscheiden, irgendwelche Arbeiten auszuführen, die sonst nicht zu finanzieren wären (z.B. im sozialen Bereich) usw. Auch vergleichsweise niedrig dotierte Jobs würden, wie oben gezeigt, vermutlich keineswegs an "Attraktivität" verlieren - im Gegenteil: selbst ein gleichbleibend niedriges Salär in Verbindung mit dem BGE, würde ja bereits eine deutliche Anhebung des jeweiligen Einkommens bewirken.

Was mich immer schon stutzig gemacht hat, ist: dass der massivste Widerstand gegen das BGE oft von Leuten kommt, die es selbst eigentlich gar nicht nötig hätten gegen Entgelt zu arbeiten, da sie auch von den Erträgen ihrer Vermögen sehr gut leben könnten, von Menschen also, die im Grunde selbst geradezu der performative Widerspruch zur von ihnen vertretenen These, dass die Leute nur arbeiten würden, wenn wirtschaftliche Not sie hinreichend zwingt, sind. Offenbar hält man hier die eigene Gier - obgleich man sie andererseits gern als eine allgemeine menschliche Eigenschaft unterstellt (Tenor: "nicht nur Zumwinkel hinterzieht Steuern und bescheißt den Staat, auch "kleine Leute" haben reichlich Dreck am Stecken!" usw.) - insgeheim doch eher für eine Ausnahmeerscheinung oder - als eine Art "Nachbeben" der "protestantischen Ethik" (Max Weber) - für ein seltenes Zeichen göttlicher Gnade.

So weit so gut. Man sollte das BGE also nicht als eine Lohnersatzleistung auffassen, sondern als ein Recht. Als ein neuformuliertes Eigentumsrecht als ein Recht auf ein Einkommen aus etwas, wie es z.B. MacPherson bereits vor dreißig Jahren einleuchtend formuliert hat:

"Ich möchte jetzt behaupten,
(1) daß der heute in westlichen Gesellschaften vorherrschende Eigentumsbegriff überwiegend eine Erfindung des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts ist und daß er nur einer autonomen kapitalistischen Marktgesellschaft voll angemessen ist: es ist der Begriff des Eigentums als (a) identisch mit Privateigentum - ein individuelles (oder korporatives) Recht, andere vom Gebrauch oder Nutzen von Etwas auszuschließen; (b) eher ein Recht an materiellen oder auf materielle Dinge, denn ein Recht auf ein Einkommen (und im allgemeinen Sprachgebrauch, sogar verstanden eher als die Dinge selbst denn als die Rechte), (c) das hauptsächlich die Funktion hat, einen Anreiz zur Arbeit zu geben sowie (oder eher als) ein Instrument zur Ausübung menschlicher Anlagen zu sein.

(2) Daß dieser Eigentumsbegriff sich schon zu wandeln begonnen hat, was zu nächst sichtbar wird im Hinblick auf (b): Eigentum wird zunehmend wieder als ein Recht auf Einkommen verstanden; und daß dies für die meisten Menschen jetzt bestehen muß in einem Recht, sich ein Einkommen zu verdienen, was einem Recht des Zuganges zu den Arbeitsmitteln gleichkommt.

(3) Daß jede Gesellschaft, die den Anspruch erhebt, demokratisch zu sein (d.h. jedem einzelnen gleichermaßen die Möglichkeit zu geben, seine menschlichen Anlagen zu verwenden und zu entwickeln) anerkennen muß, daß Individualeigentum zunehmend in dem individuellen Recht bestehen muß, nicht vom Zugang zu den Arbeitsmitteln ausgeschlossen zu werden, die sich heute in korporativem oder staatlichem Besitz befinden: daß also eine demokratische Gesellschaft den Begriff von Eigentum als einem Recht des einzelnen, andere auszuschließen, wieder erweitern muß, indem sie ihm Eigentum als ein Recht des einzelnen, nicht von anderen ausgeschlossen zu werden, hinzufügt.

(4) Daß der Begriff von Eigentum als Recht des Zugangs zu Arbeitsmitteln (im engeren Sinne von Arbeit, die materieller Produktion dient) überholt sein wird, wenn und in dem Ausmaß wie die technologische Veränderung heutige Arbeit weniger notwendig macht; daß der Begriff (und die Institution) von Eigentum, soll er mit einer wirklichen Demokratie vereinbar sein (einschließlich jeder wirklich liberalen Demokratie), sich vom Zugang zu den Arbeitsmitteln zum Zugang zu den Mitteln für ein vollkommenes menschliches Leben wandeln und daß er daher werden muß: (a) ein Recht auf Teilhabe an politischer Macht, um die Verwendungsweisen des akkumulierten Kapitals und der natürlichen Ressourcen der Gesellschaft zu kontrollieren und (b) darüber hinaus ein Recht auf eine Art von Gesellschaft, ein Gefüge von Machtrelationen innerhalb der Gesellschaft, die für ein vollkommen menschliches Leben wesentlich sind."
C.B. Macpherson. Demokratietheorie. Verlag C.H.Beck. München 1977. S.198f.



Abgrenzungen

Vorab: Ein Bedingungsloses Grundeinkommen darf nicht bloß als ein Ziel innerhalb und zur Befestigung bestehender Verhältnisse angesehen werden, sondern ist als ein erster Schritt zur nachhaltigen Veränderung dieser Verhältnisse selbst zu verstehen.

Es reicht somit natürlich nicht hin, wenn ein Bedingungsloses Grundeinkommen im Endeffekt lediglich der Entlastung einiger Raffkes von weiteren sozialen Verpflichtungen dient. Eine Arbeitszeitverkürzung, die sich nur auf die abhängig Beschäftigten erstreckt (und dergestalt durch "Umverteilung" der noch zu verrichtenden Arbeit wieder zu "Vollbeschäftigung" auf zeitlich niedrigerem Niveau führen soll), würde das Problem freilich auch nicht lösen. Wenn, dann müsste eine solche Kurzarbeitsregelung ausnahmslos für alle gelten, egal welcher (entgeltlichen) Tätigkeit sie nachgehen. D.h. auch für Unternehmer, Politiker usw. Das dürfte aber derzeit kaum durchsetzbar sein. Außerdem würde so immer noch am alten falschen Ethos der Arbeit ("Arbeit adelt") festgehalten.

Was wirklich nottut, ist rigorose Aufklärung, z.B. darüber, dass sich die großen Vermögen eben nicht der Arbeit einzelner besonders tüchtiger Individuen verdanken und dass man mehrheitlich in der Regel nicht einmal erhält, was man durch seine eigene Arbeit tatsächlich erzeugt hat. Ferner wäre vor allem das Eigentumsrecht radikal zu reformieren. Dieses Recht wurzelt in Zeiten, in denen die Weltbevölkerung insgesamt aus rund 500 Millionen Menschen bestand und zumindest theoretisch noch jeder sich irgendwo hätte "seinen Claim abstecken" und vergleichsweise autark wirtschaften können. Diese Zeiten sind vorbei. Die zentrale Lüge des geltenden Eigentumsrechts ist ja die, dass es dafür sorge, dass niemandem genommen werde, was er sich selbst "redlich" erarbeitet hat. Dass also das Eigentum durch die eigene Tätigkeit gerechtfertigt und deshalb zu schützen sei. In Wirklichkeit richtet sich das rechtlich gesicherte Eigentum aber nicht nach dem Umfang (oder gar Wert) der je eigenen Tätigkeit und dem Schutz der Eigentumsrechte des Erzeugers, sondern nach der Möglichkeit die Ergebnisse fremder (genauer: gesellschaftlicher) Tätigkeit zu okkuppieren und das Okkupierte erfolgreich zu verteidigen (wozu in der Regel wieder auf gesellschaftliche Arbeit zurückgegriffen werden muss. Wir lassen uns also nicht nur ausplündern, sondern wir verteidigen unser Eigentum dann auch noch als ein fremdes). Wir haben also nicht ein Eigentumsrecht das die Arbeit, sondern eines das den Raub schützt. Und so gesehen hat Proudhon durchaus Recht, wenn er sagt: (Privat-)"Eigentum ist Diebstahl".

Nebenbei: das GG lässt weitgehend offen, welches Eigentum denn schutzwürdig sei; es bevorzugt keine bestimmte Form (das erledigt erst das BGB) und es lässt Beschränkungen zu.

"Art. 14 [Eigentum, Erbrecht und Enteignung]

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen."


Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen müssten zumindest zwei Grenzen eingezogen werden - eine untere, die durch das garantierte Einkommen jeder Person markiert wird und eine obere, die keine feste Größe bildet, die aber durch die untere Grenze gesteuert würde, denn es liegt auf der Hand: das BGE muss aus dem gesellschaftlich produzierten Mehrwert (und nicht: aus einer 50%igen "Mehrwertsteuer") finanziert werden. D.h. es müssen die akkumulierten oder akkumulierbaren Überschüsse um(oder: anders-)verteilt werden, also müssen im Bedarfsfall die jeweiligen Spitzeneinkommen (z.B. durch entsprechende Besteuerung von Vermögen, Gratifikationen und Erbschaften) gekappt werden. Der Hohn ist doch, dass gegenwärtig Einkommen aus Arbeit besteuert werden und man gleichzeitig darüber nachdenkt, die Besteuerung arbeitslos "erworbener" (z.B. geerbter oder gewonnener) Einkommen möglichst ganz abzuschaffen.

Auch das Thema Mindestlohn dürfte mit der Einführung eines BGE nicht einfach vom Tisch gewischt werden (denn darauf spekulieren ja die Verfechter eines BGE aus dem Wirtschaftslager: dass sich selbst ein Stundenlohn von 3,50 Euro für manchen wieder "lohnen" würde). Im Gegenteil - solange es überhaupt noch zulässig ist bzw. bleiben wird, dass Dritte aus der Arbeit anderer ihr "privates" (höheres) Einkommen erwirtschaften, muss für dieses Privileg auch von dem, der es in Anspruch nimmt, "bezahlt" und es nicht etwa noch infolge der Einführung eines BGE durch die Hintertür subventioniert werden. Am Ende aber muss dieses Privileg ganz abgeschafft werden.

Wer heute irgendeinem Erwerb nachgeht, verdankt die Erlöse stets sowohl seinen eigenen Bemühungen, als auch den gesellschaftlichen Vorleistungen und Zuarbeiten. Er wird damit selbst zum Repräsentanten gesellschaftlicher Tätigkeit. - Rein individuelle Leistungen, wenn es sie denn überhaupt in der menschlichen Geschichte je gegeben haben sollte, sind längst schon schlicht unmöglich geworden und nurmehr ein bloßer Mythos. Es kann gar nicht deutlich genug gesagt werden: Wer arbeitet, hat einen Anspruch auf die Früchte seines Tuns, soweit er sie dieser Tätigkeit selbst verdankt und ist darüberhinaus der Gesellschaft (im Ganzen), die ihm seine je besondere Tätigkeit erst ermöglicht, verpflichtet, nicht aber einzelnen anderen Individuen. Er hat mithin Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für seine Arbeit, diese darf sich aber eben nicht - wie bis dato üblich - allein am Ergebnis seines Tuns ausrichten, sondern muss sich mindestens ebensosehr an der von ihm investierten Lebenszeit, an die sich gerechterweise niemals ein unterschiedliches Maß wird anlegen lassen, bemessen. Wenn er besondere Ergebnisse erzielt, dann hat auch die Gesellschaft einen Anspruch auf einen besonderen Anteil - der aber nur zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller verwendet werden darf-, nicht aber ein einzelner anderer, der ihm innerhalb der allgemeinen noch besondere Bedingungen diktiert. Wer aber gerade nicht einer Beschäftigung im Sinne des gegenwärtigen Erwerbsarbeitsbegriffs nachgeht oder nachgehen kann, verwirkt deswegen keineswegs seinen Anteil am Erbe aus den gesellschaftlich/geschichtlich erbrachten "Vorleistungen" und als ein solches "Erbteil" sollte das BGE vielleicht angesehen werden.

Die Verteilung der durch je individuelle Tätigkeit erwirtschafteten Erlöse muss also zwischen den arbeitenden Individuen und der diese (Form der) Arbeit überhaupt erst ermöglichenden Gesellschaft erfolgen; es ist aber durchaus nicht einzusehen, warum es privilegierte Einzelne geben sollte, die ihrerseits noch einen besonderen Anteil aus der gesellschaftlichen Arbeit als ihren "wohlverdienten" Privatanteil abzweigen und damit nach eigenem Belieben verfahren dürfen. Und es ist auch nicht einzusehen, warum Menschen, die aus welchen Gründen auch immer von "wirtschaftlicher" Tätigkeit vorübergehend oder dauerhaft ausgeschlossen sind, z.B. weil die geschichtlich herausgebildeten Produktionsbedingungen ihnen keinen Raum für sinnvolle (in Hinsicht auf das "Bruttosozialprodukt") wirtschaftliche Tätigkeiten bieten, deswegen keinen Anteil an den Ergebnissen haben sollten oder sich - etwa durch Teilnahme an völlig sinnbefreiten "Beschäftigungsmaßnahmen" oder dem Nachgehen (angeblich) unnötiger Tätigkeiten im Rahmen sogenannter "Arbeitsgelegenheiten" (MAE) - ihren Anspruch erst "erarbeiten" müssten.


Was steht der Einführung eines BGE im Wege?

Die herrschende Ideologie beruht auf Grundannahmen, wie der, dass das Leben nicht gratis sein dürfe, sondern etwas kosten müsse. Was kostet denn das Leben? Das Leben "kostet" sich selbst. (das Wort "kostet" darf, nein: soll hier ruhig im doppelten Sinne verstanden werden). Arbeit vergüten, heißt unter gegenwärtigen Bedingungen: Leben in Geld zu verwandeln, das wiederum in Leben verwandelt wird. Der "Wert" der Arbeit kann also schlecht am Produkt gemessen werden, das durch sie geschaffen wird, denn weder ist jede Tätigkeit, die monetär abgegolten wird, auch eine produktive Tätigkeit, noch wird jede Form produktiver Tätigkeit entgeltlich vergütet. Es ist allerdings so, dass jede Arbeit, die monetär entlohnt wird (gleich ob sie der Sache nach produktiver oder destruktiver Natur ist), letztendlich einen reproduktiven Charakter hat, indem sie dem Arbeitenden seine eigene Reproduktion ermöglicht. Der eigentliche Zweck einer jeden Arbeit ist m.E. jedoch der Erhalt des je eigenen Lebens über ein Leben in Arbeit hinaus. D.h.: die (Erwerbs-)Arbeit ist da, um ihrer weitestgehend ledig zu werden. Wäre das anders, dann hätte wohl nie jemand für die Einführung der 5-Tage/40-Stunden-Woche votiert. Mit anderen Worten: die wirklich freie Tätigkeit des Menschen (und damit sein eigentliches Leben) beginnt stets erst jenseits der zum Leben notwendigen Tätigkeit oder, wie es Ernst Bloch formulierte: "Als letzthin freies wurde stets ein Leben jenseits der Arbeit gemeint."

Man kann sich unter gegebenen Bedingungen aber praktisch keine Freiheit "erarbeiten". Es mag sein, dass sich einzelne aus ihrer Unfreiheit herausarbeiten können - wäre das aber eine allgemein realisierbare Option, dann bräche das System zusammen - denn es lebt davon, dass die Mehrzahl der Beteiligten in ökonomischen Fesseln liegt; diese kann man zwar hie und da lockern, entfernen aber darf man sie nicht. Es geht schließlich nicht darum, dass Menschen überhaupt einer Arbeit nachgehen, sondern darum, dass viele Menschen für wenige andere arbeiten. Kurz: dass eben (wie es im Falle realisierter Freiheit der Fall wäre) nicht jeder machen kann, was er will - aber manche eben schon. Es ist der Horror derjenigen die heuer komfortabel obenauf sind, dass es ein solches "oben" einst nicht mehr geben könnte - und mit diesem Horror einher geht die alte Arroganz derer, die zu ihrer eigenen Rechtfertigung aus ihrem Obenauf-sein herleiten, dass es Menschen gebe, die zur Freiheit nicht fähig - früher unverblümt: zum Sklaven geboren (Aristoteles) - seien. Der Unterschied ist nur, dass sich das, was früher als unverhohlene Unterdrückung zu Tage trat, sich gegenwärtig als "Fürsorglichkeit" zu tarnen trachtet. Die "Freiheit" von Menschen darf aber nicht von Bedingungen abhängen, die andere Menschen erst diktieren. Die Realität ist nach wie vor, dass die Mehrzahl seit jeher nicht nur für ihren eigenen Lebensunterhalt, sondern auch für Vermögen und/oder Kapital anderer zu arbeiten gezwungen ist. Das ist aber nicht - wie hier offenbar angenommen wird - ein objektiv unvermeidlicher Zwang, sondern ein vermeidbarer, der mit der Ideologie, auf der er aufruht, fallen müsste. Solange aber mehrheitlich für Recht gehalten wird, was nur wenigen (Vor-)Recht sein kann, wird sich an den bestehenden (Zwangs-)Verhältnissen nichts ändern.


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Julian Nida-Rümelin zum Bedingungslosen Grundeinkommen - Kritik der Kritik


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Sonntag, 25. Januar 2009

Biedermann sucht Feuerlöscher


Manchmal greift das Feuer, das man an das Haus des Nachbarn legt auf die eigene Hütte über. So geschehen wohl bei Peter Hahne, den sein E-Mail-Postfach nach eigenen Bekunden am vergangenen Montag mit der Meldung: "Achtung! Die maximale Kapazität ist überschritten." begrüßte. Es sei aber nicht etwa voller spam-mails gewesen, so Hahne in der heutigen Ausgabe der BamS, sondern habe lauter Briefe von BamS-Lesern enthalten, "die zu Hunderten ihre Meinung zur letzten Kolumne" geschrieben hätten. Dieses "Echo" habe - so lässt er uns nun wissen - von "Ich lasse mich von Ihnen doch nicht beschimpfen" bis "Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen" gereicht.

"Aufgabe erfüllt!", könnte ich sagen. Denn was kann einem Kommentator Besseres passieren, als Aufmerksamkeit und Aufregung zu erzeugen und eine Diskussion in Gang zu bringen? Doch ich nehme die Kritik, sofern sie nicht bloße Polemik enthält, natürlich ernst.

Und dann demonstriert Peter Hahne, wie man Kritik "ernst nimmt", ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Die häufigste Frage hätte der Herkunft der Daten gegolten, schreibt Hahne weiter und beeilt sich nun nachträglich seine Quellen offenzulegen:

Dass Arztbesuche und Blaumachen über Feiertagsbrücken deutlich zunehmen, vermeldete letzte Woche eine Studie von Wissenschaftlern des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung in Hannover, die Versichertendaten der Gmünder Ersatzkasse GEK ausgewertet und auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet haben.

Man beachte: es handelt sich hier um eine Hochrechnung und nicht etwa um eine empirische Erhebung. Diese Hochrechnung erfolgte anhand der Daten einer einzigen Ersatzkasse, der etwa 1,9% der deutschen Bevölkerung angehören. Nun kann diese Hochrechnung u.U. sehr treffgenau sein, um das aber beurteilen zu können bedürfte es schon einiger zusätzlicher Informationen. Hahne beweist hier, dass er zu Recht zu den deutschen Top-Dilettanten - äh Journalisten zählt und deren gängige Methode perfekt beherrscht: recherche- und reflektionsfrei abschreiben und aufblasen, was immer das eigene Weltbild zu stärken vermag und die eigene Ideologie ins rechte Licht zu setzen geeignet erscheint. Und so lügt er gleich weiter, ähm verrechnet er sich gleich wieder:
Ich kann zum Beispiel nichts daran ändern, dass ausgerechnet der 1. Oktober 2007 mit 9,7 Millionen fast doppelt so viele Arztbesuche verzeichnete wie normal. Knapp zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung saß an diesem Tag im Wartezimmer!

Eine Angabe der web-adresse oder gar eines zu den entsprechenden Studien führenden Links hält Hahne selbstverständlich für entbehrlich und so habe ich erst nach längerem gegoogel immerhin ein einseitiges pdf Dokument aufstöbern können, dem sich folgendes entnehmen lässt:

Dabei ist der Montag besonders beliebt für Arztbesuche: An Montagen liegt die Arztbesuchs-Häufigkeit im Durchschnitt mit acht Prozent doppelt so hoch wie an den übrigen Wochentagen. Durchschnittlich suchten pro Tag 4,4 Prozent der Bevölkerung einen Arzt auf. Pro Tag bedeutet dies durchschnittlich 3,6 Millionen Arztbesuche. Einen Spitzenwert erreichte dabei der 1. Oktober 2007, ein Montag: An diesem Tag suchten 11,8 Prozent der Deutschen einen Arzt auf. Überschlägig hatte jeder niedergelassene Arzt an diesem Tag damit rund 70 Patienten zu behandeln.

11,8% sind gemäß der Hahneschen Arithmetik also "fast doppelt so viel" wie 8%!

Die höhere Besuchsquote an Montagen ist indes kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass, wer am Samstag oder Sonntag erkrankt, ja erst am Montag seinen Arzt aufsuchen kann. So gesehen wäre es nicht einmal verwunderlich, wenn sich Montags dreimal soviel Menschen bei Ärzten einfinden würden als an anderen Tagen. Hinzu kommt, dass seit der Einführung der quartalsmäßig zu entrichtenden sogenannten "Praxisgebühr" in Höhe von 10 Euro manch einer, der gegen Ende eines Quartals Beschwerden verspürt, seinen Arztbesuch nach Möglichkeit über das Quartalsende hinaus verschiebt. Und was ist der 1. Oktober für ein Tag? Genau! - er ist der erste Tag des vierten Quartals. Vor diesem Hintergrund erweist sich in Bezug auf Hahnes "These", dass Deutschland das "Paradies der Faulpelze" sei, auch seine triumphierende Feststellung, dass an jenem 1.Oktober beinahe 12% der Gesamtbevölkerung einen Arzt aufgesucht habe als vollkommen wertlos. Es geht schließlich nur etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung irgendeiner Erwerbstätigkeit nach und wie viele Erwerbstätige an diesem Tag beim Arzt waren erfahren wir ja nicht. Es ist aber anzunehmen, dass gerade Menschen mit niedrigem Einkommen, wie etwa Rentner oder Arbeitslose zu jenen gehören, die ihre Arztbesuche besonders eng mit dem Inhalt ihres Geldbeutels abstimmen müssen und deshalb eben Arztbesuche über das Quartalsende zu schieben bestrebt sind. Natürlich bedeutet das alles nicht, dass es gar niemanden gäbe, der sich durch eine Krankschreibung ein verlängertes Wochenende zu bauen versucht. Allerdings fehlt der Nachweis, dass es sich dabei tatsächlich, wie Hahne es uns suggerieren möchte, um ein "Massenphänomen" handelt. Und mal im Ernst: wenn ich mir wirklich so ein "verlängertes Wochenende" bauen und es obendrein (als Kurzurlaub) genießen möchte, dann gehe ich am Freitag zum Arzt und nicht erst am Montag.

Dazu passt die andere Studie, in der es darum geht, dass zwei Drittel der Deutschen nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Dieses vernichtende Faulpelz-Urteil fälle ja nicht ich, dazu kommt die aktuelle internationale Umfrage des Gallup-Instituts, das in Deutschland die Antworten von 1895 Arbeitnehmern erfasst hat.
Das sind die Fakten. Sorry, aber mir bleibt nur mit Martin Luther zu sagen: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders!"

Was nun diese zweite Studie angeht, so wird sie alljährlich durchgeführt und es finden sich beinah gleichlautende (immer alarmierende!) Meldungen aus jedem einzelnen Jahr im Netz, denen sich im Großen und Ganzen freilich bloß entnehmen lässt, dass sich, wie die nachstehende Tabelle zeigt, seit Jahr und Tag nichts oder so gut wie nichts geändert hat:


Und schaut man sich nur die Ergebnisse der letzten zwei Jahre an, dann könnte man sogar behaupten, dass die Lage sich "gebessert" habe, denn gegenüber dem Vorjahr hat die Zahl der Mitarbeiter mit "hoher emotionaler Bindung" ja um ein Prozent zugelegt, während die Zahl jener mit "geringer emotionaler Bindung" um eben dieses eine Prozent abgenommen hat.

Ganz abgesehen davon kann man über den Wert solcher Erhebungen durchaus geteilter Meinung sein. Denn wenn ich jemanden frage, ob er sich "emotional mit seinem Betrieb verbunden" fühlt und er diese Frage verneint, so folgt daraus noch nicht, dass er seine Arbeit auch tatsächlich schlechter ausführt als jemand, der diese Frage mit einem begeisterten JA! beantwortet. Es ist nicht einmal festzustellen, ob der Befragte "wahrheitsgemäß" geantwortet hat. Wenn ich z.B. in einer Gesellschaft diese Frage stelle, in der es als "angemessen" gilt, ein nüchternes, sachliches Verhältnis zu seiner Erwerbsarbeit zu pflegen, wird die Antwort seltener JA! lauten, als in einer Gesellschaft in der ein eher emotionales, persönliches Verhältnis erwartet wird. Im Übrigen verweise ich zu diesem Thema auf den Vortrag eines Managers, den ich vor ein paar Tagen hier veröffentlicht habe. Wie letztendlich gearbeitet wird, lässt sich aus solchen Umfragen jedenfalls nicht ablesen.

Immerhin räumt Hahne abschließend ein:
Es stimmt, dass nicht jeder aus sich heraus faul und lustlos ist und die Flucht ins Wartezimmer nicht nur Drückebergerei, sondern auch Antwort auf diesen Druck sein kann.

um sogleich einen neuen Sündenbock aus dem Hut zu zaubern, die "Zwischenchefs":

Schuld ist häufig der direkte Vorgesetzte, der nach unten tritt und nach oben buckelt. Ein Chef, der seine Mitarbeiter nicht motivieren kann, von Teamgeist nichts versteht, andere Meinungen nicht hören will und einer guten Leistung Lob und Anerkennung versagt, ist selber ein Versager und sollte sich nicht Führungskraft nennen. Leider schaffen es Chefs nur allzu oft, die Lust, etwas geleistet, geschafft und geschaffen zu haben, in Frust zu verwandeln, weil sie das Betriebsklima auf Minusgrade drücken.

Im Großen und Ganzen bleibt es also dabei: die Zahlen stimmen, der brave Peter hat sie alle richtig abgeschrieben - freilich ohne auch nur das geringste bisschen über das, was er da abschreibt, nachzudenken - folglich trifft es auch weiterhin zu, dass zwei Drittel aller Deutschen faule Säcke sind, da beißt die Maus keinen Faden ab, und deshalb nimmt Peter Hahne diese Unterstellung natürlich auch nicht zurück, aber - immerhin - sie sind daran nun nicht mehr selbst schuld.

Herr Hahne, ich gratulieren Ihnen!


Fragt man sich, was das ganze eigentlich soll, dann bleibt eigentlich nur eine Antwort: das blöde Volk soll sich gefälligst nicht unschuldig fühlen (dürfen) an der gegenwärtig sich entfaltenden Wirtschaftskrise.

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Freitag, 23. Januar 2009

Horst Köhler und "die KRISE als Chance" oder: Das Mittelmaß im Wolkenkuckucksheim


Vor ein paar Tagen schrieb ich hier ein paar Zeilen über die alles integrierende oder - mit anderen Worten - die total(itär)e Mitte. Diese Mitte kann nun in sich weiter unterschieden werden, in eine "echte" Mitte (den eigentlichen "Mittelstand") und eine "falsche" oder "virtuelle" Mitte. Zur echten Mitte sind all diejenigen zu zählen, die von den gegebenen Verhältnissen der Ungleicheit insofern profitieren, als das sie bei einer grundlegenden Änderung dieser Verhältnisse mit einiger Sicherheit reale Einbußen an Einfluss, Vermögen oder Prestige hinnehmen müssten. Jene also, die - obwohl ihre Aussichten, die Mitte definitiv nach "oben" zu verlassen, mehrheitlich denkbar gering sind - dennoch von den bestehenden Verhältnissen profitieren und selbst bei einer Verschärfung der bestehenden Ungleichheit noch zu den Nutznießern einer die Mehrzahl der Bevölkerung treffenden Verschlechterung zählen würden. Die "virtuelle" Mitte besteht hingegen aus jenen, die glauben, dass sich ihre Lage unter anderen Umständen verschlechtern würde, ohne dass dies objektiv gegeben wäre, sowie denjenigen, die im Zuge der gegenwärtigen Entwicklung wenigstens zum Teil bereits im Begriff sind, nach "unten" abzurutschen. Weiter gehören zur "falschen" Mitte diejenigen, die definitiv längst "unten", bzw. "abgehängt" sind, deren Seltbstwertgefühl sich aber aus der Illusion speist (noch) "dazu zu gehören" ("habituelle Mitte"). So sicher man sein darf, dass diese hier nur theoretisch vollziehbare Unterteilung eine empirische Entsprechung aufweist, so schwer ist es hingegen, die tatsächliche Position eines jeden einzelnen Gesellschaftsmitgliedes exakt zu bestimmen. Ein Umstand, der zur Affirmation des Bestehenden beizutragen geeignet ist, insbesondere, da der besondere Einzelne eher geneigt sein dürfte, sich (zu) "hoch" einzustufen - und nicht etwa, sich (noch weiter) herunter zu rechnen.

Einen der Eckpfeiler der herrschenden Ideologie des Mittelmaßes bildet die Behauptung, dass es jeder nach (ganz) oben schaffen könne, so er nur fleißig, diszipliniert und willig sei, morgens brav aufstehe und zur Arbeit gehe. Und tatsächlich: etliche Beispiele scheinen den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung zu bestätigen. Hat nicht Michael Schuhmacher es vom Automechaniker zum Multimillionär gebracht? Ist nicht mit Gerhard Schröder jemand Bundeskanzler geworden, der aus einfachen Verhältnissen stammt und sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht hat? Ist nicht auch der amtierende Bundespräsident ein solches Beispiel dafür, dass jemand aus einfachsten, ja ärmlichen Verhältnissen kommend, es nach ganz oben schaffen kann? Es erweist sich also als wahr: es gibt solche Ausnahmekarrieren; aber - und das wird gemeinhin ausgeblendet - es gibt sie nicht etwa, weil tatsächlich jeder eine solche Karriere machen könnte (was ja zur Folge hätte, dass niemand sie machen würde, denn wenn alle aufsteigen, bleiben sich alle gleich), sondern es gibt sie unter der Bedingung, dass der Aufsteiger andere daran zu hindern weiß, mit ihm oder an seiner Stelle emporzukommen. Einen "Aufstieg" im System kann es also nur gerade dann geben, wenn die Verhältnisse im Übrigen eher statisch bleiben, d.h. wenn die Mehrheit entweder gar kein Aufstiegsinteresse an den Tag legt und sich damit begnügt, die einmal erreichte Position zu sichern und zu verteidigen oder aber wenn genügend Ventile eingebaut sind, bzw. die Gesellschaft so strukturiert ist, dass Aufstiegsgelegenheiten aufs Ganze gesehen überhaupt "Mangelware" bleiben. Das Entscheidende ist also nicht die reelle "Aufstiegschance, sondern: dass der Traum vom "Aufstieg" (neuerdings: "durch Einstieg") in möglichst vielen Köpfen fest verankert bleibt, obwohl diese Chance für die weitaus überwiegende Mehrheit eine Illusion bleiben muss. Und damit noch der Elendste sich diesem Traum mit einiger Hoffnung hingeben kann, gibt es zusätzlich noch die Option des Aufstiegs durch Glück: Lotto, Toto - Wer wird Millionär?

Nach dieser - zugegeben - etwas ausschweifenden Einleitung nun aber zum eigentlichen Gegenstand dieses Beitrags: dem Musteraufsteiger, Bauernsohn, "gelernten Sparkassendirektor" und amtierenden Bundespräsidenten Horst Köhler. Dieser unser aller Bundeshorst hat dieser Tage die durchaus zweifelhafte Ehre, den Auftaktartikel zu einer BILD Serie mit dem Titel " Die KRISE als Chance" liefern zu dürfen.

Unser Land, so hebt er an, stehe vor einer "Zeit der Anstrengung", denn die Finanzkrise habe "schnell auf die Realwirtschaft durchgeschlagen".

An anderer Stelle habe ich bereits darzulegen versucht, dass die Finanzkrise mitnichten ursächlich für die Krise der sog. "Realwirtschaft" ist, sondern dass durch sie vielmehr eine lang schwelende realwirtschaftliche Krise nur ans Licht, bzw. zur vollen Entfaltung gebracht wurde. Das eigentliche Problem sind nicht die faulen Hypothekenkredite, sondern eine Wirtschaftsweise, die eine Vermögensverteilung zum Ergebnis hat, bei der es nicht länger möglich ist, aus den Masseneinkommen auch den Massenkonsum, als notwendige Bedingung für fortgesetzte massenhafte Mehrwertrealisierung, zu gewährleisten, ohne dass entweder um den Preis rapide ansteigender Staatsverschuldung sozialstaatlich eingegriffen (was auch offene und verdeckte Subventionen an Unternehmen einschließt!) oder eben der (private) Kauf auf Pump so leicht wie möglich gemacht wird. In aller Kürze: wer mehr produzieren lässt, als an diejenigen, deren Arbeitskraft für die Produktion in Anspruch genommen wird, an Kaufkraft ausgeschüttet wird, der muss früher oder später an den Punkt kommen, an dem sein Warenangebot die diesem gegenüberstehende Kaufkraft übersteigt. Spätestens von diesem Moment an muss er auf Kredit verkaufen oder auf seinen Produkten sitzen bleiben. Verkauft er nicht auf Kredit, dann bleibt ihm, will er nicht sein akkumuliertes Kapital durch fortgesetze unrentable Überschussproduktion sukzessive aufzehren, nur übrig die Produktion einzustellen, was zur Folge hätte, dass die Kaufkraft noch weiter abnimmt usw. usf. Dieser grundlegende Widerspruch ist systemintern nicht zu lösen und durch extrasystemische Zuflüsse nur so lange zu dämpfen, als sich externe Wirtschaftszonen zur ruinösen Ausbeutung auffinden lassen. Eine Rolle, die bis dato der sog. "Dritten Welt" zugedacht ist und die freilich bis zum Ende des Kalten Krieges auch die sog. "realsozialistischen" Staaten zumindest zum Teil übernommen haben. Ohne solche Entlastungspotentiale muss die Menge "unbezahlbarer" Güter indes stetig zunehmen (Deflation). Der Trick, der Gefahr einer Deflation (vorläufig) zu entgehen besteht nun darin, das Verhältnis von Kaufkraft und Warenangebot dadurch ins "Gleichgewicht" zu bringen, dass man die umlaufende Geldmenge erhöht, indem z. B. verstärkt Kredite vergeben werden. Zu einem solchen Ungleichgewicht kam es im Nachkriegs(west)deutschland erstmals in 60er Jahren. Siehe dazu:
Mit dem Ende der Rekonstruktionsperiode des ökonomischen Systems der Bundesrepublik ging Ende der 1950er Jahre die produktive Kreditnachfrage des Unternehmenssektors deutlich zurück. Der danach ansteigende Liquiditätsüberhang der Großbanken brachte jene Geschäftsstrategien hervor, die dann das Marktsegment "Konsumentenkredite" in Bewegung brachten: Verbraucher und Verbraucherinnen sollten als Kreditnehmer und Kreditnehmerinnen gewonnen werden.

Quelle: Familienhandbuch.de

Dessen ungeachtet gibt sich unser aller Bundeshorst zuversichtlich, denn so lesen wir im Weiteren:

Unsere soziale Marktwirtschaft, die Reformen der vergangenen Jahre und das neue Miteinander in den Betrieben geben uns Kraft. Wir sind gewappnet durch die vielen tüchtigen Menschen, die unsere Gemeinschaft ausmachen.

Anscheinend hat Herr Köhler den aktuellen Bericht des DIW zur Vermögenslage der Nation (noch) nicht zur Kenntnis genommen, als er diese Zeilen schrieb (oder schreiben ließ). Dort hätte er nämlich nachlesen können, wohin uns "unsere soziale Marktwirtschaft" und "die Reformen der vergangenen Jahre" tatsächlich geführt haben:
"Rund zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland verfügen über kein oder nur ein sehr geringes Vermögen. [...] Das reichste Zehntel der Bevölkerung besitzt fast zwei Drittel des gesamten Vermögens, dagegen verfügen mehr als zwei Drittel der Bevölkerung nur über einen Anteil am Gesamtvermögen von weniger als zehn Prozent. [...] Der Anteil der Unternehmens- und Vermögenseinkommen am gesamten Volkseinkommen hat von 1996 bis 2006 um knapp 4 Prozentpunkte auf 33,8 % zugenommen. "

stellt das Institut fest und empfiehlt:
"Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von Vermögenseinkommen und der stark ungleichen Vermögensverteilung sollte die Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer überdacht werden, da die Steuersätze im internationalen Vergleich gering und die Freibeträge bereits sehr umfangreich sind."

Anzumerken bleibt hier, dass zu den Vermögen der Reichen zu einem Gutteil auch die Schulden der Armen und der Staaten zu rechnen sind. Diesen Schulden stehen aber keine materiellen Sicherheiten gegenüber, sondern nur eine Art "Pfandrecht" auf noch zu leistende Arbeit, bzw. auf durch die Arbeit der Schuldner hervorzubringende Güter. Das alles sieht Horst Köhler freilich nicht, stattdessen aber sieht er die "Chance für eine bessere Globalisierung, in der das Kapital allen zu Diensten ist und sich niemand davon beherrscht fühlen muss."

Wie er einen solchen Zustand herbeizuführen gedenkt, verrät er dem Leser natürlich nicht. Warum auch? - zeigt sich doch am Ende, dass es einmal mehr ohnehin nicht auf die Fakten ankommt, sondern auf das Gefühl. Man kann sich seinen Satz ruhig so übersetzen: Das Kapital darf ruhig herrschen, Hauptsache man "fühlt" sich nicht durch es beherrscht und glaubt fest an seine Dienstbarkeit.

Es verwundert wenig, dass Köhlers conclusio nun lautet: weiter wie bisher und zwar mit voller Kraft! Dazu gilt es zuvörderst "Geldkreislauf und Kredit an die Wirtschaft wieder in Gang [zu] setzen." Was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als die Kredite einfach umzuschichten. Auf dem Umweg über steigende Staatsverschuldung macht man so die "Schuldner" zu ihren eigenen Gläubigern, die sich - um als Bürgen für sich selbst auftreten zu können, freilich zunächst noch weiter verschulden müssen, denn die Beträge, für die der Staat ggf. gerade zu stehen hat, muss er seinerseits wieder bei denen aufnehmen, die sie "real" besitzen. D.h. bei jenen, die sich die Mehrwertmasse angeeignet haben und für diese Masse an Vermögen keine oder nur noch kümmerliche "realwirtschaftliche" Renditechancen sehen.

Gegen Ende seines Beitrags erweist sich Köhler dann als "Zeichen" sehender Bundesschamane, und sieht Zeichen die "in Amerika [...] Barak Obama" setzt und "auf die wir eingehen sollten". Auch hier: leeres Geblubber ohne jeden Gehalt; weder erfahren wir, welche "Zeichen" Köhler im besonderen meint, noch in welcher Weise denn seiner Ansicht nach auf sie einzugehen wäre. Wichtig ist indes:
"Die Frage, vor der wir stehen, lautet nicht: Hat der Kapitalismus vollständig versagt?"

Womit auch gleich die Frage ob der Kapitalismus überhaupt versagt hat, vor allem aber auch die Frage, ob es sich beim "Kapitalismus" überhaupt um ein (dauerhaft) tragfähiges System handelt und insbesondere, ob wir es dabei mit einem System zu tun haben, das auch ohne "Systemkonkurrenz" (noch) überlebensfähig ist, vom Tisch wäre. Stattdessen folgt der offenbar unvermeidliche "neoliberale" Kurzschluss.
Denn darauf hat die Geschichte bereits geantwortet: Freiheit und Marktwirtschaft haben in den vergangenen Jahrzehnten weltweit Hunderte von Millionen Menschen aus bitterster Armut befreit. Die Idee der Freiheit entscheidet weiter über Verbesserung in der Welt.

Hier wird alles in einen Topf geworfen; der Kapitalismus wird zur "Marktwirtschaft" verniedlicht bzw. als Synthese aus "Freiheit und Marktwirtschaft" verkauft. Und da die Freiheit ja ein Verfassungsgut ist .. nunja. Es ist schon ziemlich perfide, so eine Ehe zwischen Freiheit und Wohlstand herbeizukonstruieren, denn das Eine schließt mitnichten das Andere automatisch ein. Das Einzige was diesen Begriffen gemein ist, ist dass es sich bei beiden um relative Größen handelt. Ein relatives Wachstum des (materiellen) "Wohlstands" kann aber durchaus mit einem Verlust an Freiheit einhergehen und umgekehrt. So hat sich z.B. die wirtschaftliche Lage der im amerikanischen Bürgerkrieg zu Lohnarbeitern "befreiten" Sklaven infolge der neugewonnenen Freiheit keineswegs entsprechend verbessert. Aber es ist ja auch nicht die faktische Freiheit, die über die Verbesserung der Welt entscheidet, sondern "die Idee der Freiheit". Der (rechte) Glaube versetzt eben Berge. Daran gibt es nichts zu rütteln.

In Frage stellen müssen wir also nicht den Kapitalismus, sondern "uns". Das jedenfalls scheint Horst Köhlers Ansicht zu sein:
Wo haben wir es versäumt, dem Kapitalismus Zügel anzulegen?

Tja - wo denn nur? Immerhin: der Horst ist fest davon überzeugt:
Den Ursachen für die Krise wirklich auf die Spur zu kommen, ist menschenmöglich.
und wenn das vollbracht ist (und sei es am St. Nimmerleinstag),
Dann können wir daraus die richtigen Lehren ziehen.

Auf Köhlers hier anschließende Rezepte detailliert einzugehen, verkneife ich mir; es findet sich ohnehin nichts neues, darum nur eine Zusammenfassung:

Es gilt zunächst Ordnung auf den internationalen Finanzmärkten schaffen, wirksame Kontrollen einzubauen, "damit sich so etwas nicht wiederholen kann", Ungleichgewichte müssen abgebaut werden, denn da die Amerikaner auf Pump gelebt haben und nun nicht mehr "kreditwürdig" sind, gilt es die Binnenkonjunktur zu stärken, weil ohne die sich verschuldenden Amerikaner unsere exportorientierte Wirtschaft am Stock geht. (Was offensichtlich Blödsinn ist, denn ohne "Pump" würde ein solches System laufender asymetrischer (Um-)Verteilung schon auf den ersten Metern zusammenbrechen.) Darum gilt es jetzt (endlich!) "auch an die [zu] denken, die hart arbeiten und ihre Steuern und Abgaben zahlen" (Westerwelle ick hör Dir trapsen). Ferner "sollten wir den Kampf gegen Armut und Klimawandel als Aufgabe begreifen, die wir nur gemeinsam bewältigen können." Auch hier wird wieder zusammengeschwätzt, was nicht zusammengehört, dieses Mal: "Armut und Klimawandel"; gerade der Klimawandel geht ja nun eben nicht auf Kosten der Armen dieser Welt, sondern auf Kosten der vom Wachstumswahn geprägten, "Wohlstand für alle" (der sich freilich angeblich nur um den Preis rasant wachsenden, exorbitanten Reichtums einiger weniger realisieren lässt), verheißenden kapitalistischen Produktions- Verteilungs- und Aneignungsverhältnisse.

Nachdem also zunächst das große Fressen dergestalt verteidigt wurde, kommt schlussendlich auch die Moral zu ihrem Recht:
Und viertens braucht die Weltgemeinschaft eine Moral, die alle verbindet. Wir müssen lernen, mit anderen nur so umzugehen, wie wir selbst behandelt werden wollen. Egoismus im 21. Jahrhundert heißt, sich auch um die anderen zu kümmern.

Zu mehr als der "Goldenen Regel" reicht es offenbar nicht bei unseren Eliten, die sich ja so gern auf Aufklärung und insbesondere auch auf einen gewissen Herrn Kant aus Königsberg als einen der hervorragenden Vertreter derselben berufen. Dessen kategorischer Imperativ lautet aber eben nicht einfach: "Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg' auch keinem anderen zu", sondern tritt mit einem ganz anderen Anspruch auf.

Handle so, dass die Maxime Deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.
Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft. Felix Meiner Verlag. Hamburg 2003. S.41.


Daraus folgt im praktischen: tue nichts, von dem Du nicht wollen kannst, dass auch alle anderen (vernünftigen Wesen) genau das Gleiche tun (sollen!) und zwar ungeachtet dessen, ob Du es Dir (im Einzelfall) gern oder ungern "antun" ließest und ob es Dir überhaupt angetan werden kann.

Aber Horst kann noch flacher:
Egoismus im 21. Jahrhundert heißt, sich auch um die anderen zu kümmern.
und ist sich schließlich auch nicht zu schade genuin sozialistisches Gedankengut aus dem sog. "Prager Frühling" zu fleddern, wenn er seinen Aufsatz mit dem Satz
Es geht um einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz. Dazu kann unser Land einen guten Beitrag leisten. Dann geht Deutschland gestärkt aus der Krise hervor.

endlich enden lässt.

Das Schlusswort zu diesem (meinem) Artikel möchte ich indes einem großen Verehrer Immanuel Kants, dem Philosophen Arthur Schopenhauer überlassen, der da schrieb:
Ja, die meisten Menschen haben, wenn auch nicht mit deutlichem Bewußtseyn, doch im Grunde ihres Herzens, als oberste Maxime und Richtschnur ihres Wandels, den Vorsatz, mit dem kleinstmöglichen Aufwand von Gedanken auszukommen, weil ihnen das Denken eine Last und Beschwerde ist. Demgemäß denken sie nur knapp soviel, wie ihr Berufsgeschäft schlechterdings nöthig macht, und dann wieder soviel, wie ihre verschiedenen Zeitvertreibe, sowohl Gespräche, als Spiele erfordern, die dann aber beide darauf eingerichtet sein müssen, mit einem minimo von Gedanken bestritten werden zu können.
Arthur Schopenhauer. Werke in fünf Bänden. Band V: Parerga und Paralipomena II. Haffmanns Verlag AG. Zürich 1988. S. 70.

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Mittwoch, 21. Januar 2009

Mittel und Zweck

Schlechte Zeiten für Gefühle
Ein ehrlicher Unternehmer trägt vor.

Der Mensch steht keinesfalls etwa - wie Neoromantiker der Sozialpolitik es gern sähen - im Mittelpunkt des Betriebes. Dort steht etwas ganz anderes. Dort steht die Produktion, der sachliche, der wirtschaftliche Erfolg. Denn um ihretwillen ist der Betrieb da. Sein alleiniger Zweck ist die Produktion von Gütern, von Waren die andere brauchen. Alle seine Mittel sind darauf ausgerichtet und miteinander dahingehend abgestimmt, dieses bestmöglich zu erreichen, d.h. so billig wie möglich und so gut wie möglich so viel Güter zu produzieren und abzusetzen wie möglich. Damit dies erreicht wird muß der Betrieb funktionieren, muß jeder seiner Teile funktionieren, müssen alle seine technischen und organisatorischen Mittel funktionieren.
Zu den Mitteln , die er hat und derer er sich bedienen muß, damit das Ziel erreicht wird, gehören auch Menschen. Da alle Mittel funktionieren müssen, müssen auch Menschen funktionieren. Was funktioniert ist Funktion. Der Betrieb braucht die Menschen nicht als Menschen, die Gott bei ihrem Namen gerufen hat, sondern als Funktionen. Er braucht nicht den Franz S. und den Ernst K., nicht den Heinz B., sondern er braucht einen Schlosser, einen Kraftfahrer, einen Buchhalter. Franz S. ist der Schlosser, Ernst K. der Kraftfahrer und Heinz B. der Buchhalter. Der Betrieb verwendet sie in diesen Funktionen, er braucht sie in diesen Funktionen, in keinen anderen.

Braucht er keinen Buchhalter mehr, weil dessen Arbeit von einer Rechenmaschine übernommen wird, so muß er sich von Heinz B. trennen, so wertvoll dieser Mensch auch sein mag. Denn dem Betrieb nützt der wertvolle Mensch nichts, sondern ihm nützte bisher der Buchhalter. Wird Ernst K. so nervös, daß er den Straßenverkehr nicht mehr bewältigen kann, so muß der Betrieb sich von Ernst K. trennen. Es kann ihm nicht auf den Menschen, sondern nur auf den Kraftfahrer ankommen. Da K. nicht mehr Kraftfahrer sein kann, muß er gehen, und der Betrieb muß einen anderen Kraftfahrer einstellen, denn den braucht er.

Das klingt unmenschlich und ist auch unmenschlich. Aber es ist nicht im moralischen Sinne unmenschlich, sondern in einem ganz nüchtern-sachlichen. Der Mensch ist vom Betrieb nicht als Mensch, sondern als Funktion gefragt. Der Mensch als solcher ist für den Betrieb nichts, die Funktion die er ausüben kann, alles. Ganze Berufe fallen weg, und die Menschen, die sie ausübten, werden überflüssig, wenn sie nicht anders nutzbar sind: umgeschult oder umgelernt.

Funktionen und Funktionäre müssen also wesensmäßig ersetzbar sein. Da sie innerer Teil eines Ganzen - des Betriebes - sind, sind sie ersetzbares Teil und - von der Kehrseite gesehen - Ersatzteile. Ersatzteile müssen griffbereit sein, eine Nummer tragen. Das Wesentliche und Wichtige an ihnen ist diese Nummer, die angibt wie sie als Ersatzteil verwendet werden können. Ein Mensch aber, dessen wichtigstes, dessen Wesensmerkmal für den Betrieb die Nummer ist, die er trägt, ist selber Nummer. Und in diesem Sinne sind wir alle Nummern. Nummernsein gehört zum Wesen des Menschen im industriellen Massenzeitalter.
(Auszug aus einem Vortrag des BASF Direktors Dr. Hans Albrecht Bischoff, 1962)
Rainer Duhm und Harald Wiesner (Hg.). Krise und Gegenwehr. Rotbuchverlag. Berlin 1975. S. 113



Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein. In der ganzen Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf, ist Zweck an sich selbst. Er ist nämlich das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit. Eben um dieser willen, ist jeder Wille, selbst jeder Person ihr eigener, auf sie selbst gerichteter Wille, auf die Bedingung der Einstimmigkeit mit der Autonomie des vernünftigen Wesens eingeschränkt, es nämlich keiner Absicht zu unterwerfen, die nicht nach einem Gesetze, welches aus dem Willen des leidenden Subjekts selbst entspringen könnte, möglich ist; also dieses niemals bloß als Mittel, sondern zugleich selbst als Zweck zu gebrauchen.
Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft. Felix Meiner Verlag. Hamburg 2003. S.118


Nun hat - dem Himmel sei's gedankt - eine glückliche Fügung des Schicksals dafür gesorgt, dass "der Betrieb" kein "vernünftiges Wesen" ist - für manchen aber - dessen ungeachtet - offenbar ein "höheres".

Die Ahnenreihe der deutschen Liberalen reicht von Immanuel Kant und Wilhelm von Humboldt über den Reichsfreiherrn vom und zum Stein und Friedrich List bis zu Rudolf von Benningsen, Eugen Richter, Friedrich Naumann und Gustav Stresemann.
Peter Juling (Hg.). Was heisst heute liberal? Bleicher Verlag. Gerlingen bei Stuttgart 1978. S.11.


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Sonntag, 18. Januar 2009

Biedermann als Brandstifter?

Bildquelle: peter-hahne.de

Peter Hahne ist ein ehrenwerter Mann,


darüber legen u.a. zahlreiche Einträge im Internet beredtes Zeugnis ab. So lesen wir z.B. bei Wikipedia:

Peter Hahne ist seit 1992 Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, des höchsten Leitungsgremiums der EKD. [...] Mit über 800.000 verkauften Exemplaren wurde sein Buch Schluss mit lustig, eine Abrechnung mit der sog. "Spaßgesellschaft", der Jahresbestseller der Spiegel-Liste im Jahr 2005, im Jahr 2006 erreichte es Platz fünf.

1983 erhielt Peter Hahne den Kurt-Magnus-Preis der ARD, 1995 den Preis für Evangelische Publizistik und 2000 den Goldenen Gong für herausragende Hauptstadt- Berichterstattung. Er ist Ehrenkommissar der Bayerischen Polizei und gewann den Bambi-Publikumspreis als beliebtester Nachrichtenmoderator von ARD/ZDF.

Bei Amazon.de erfahren wir:

Der Bestsellerautor Peter Hahne ist bekannt dafür, klar zu denken und überzeugend Klartext zu sprechen. Allwöchentlich begeistert er Millionen Leser mit seiner Kolumne »Gedanken am Sonntag« in BILD am SONNTAG. Darin spürt er den großen Themen unserer Zeit nach und bezieht Stellung zu den kleinen Alltagsdingen des Lebens, die uns betreffen und berühren: Anregungen zum Innehalten und Nachdenken.

Und nun wollen wir, neugierig geworden, selbst einmal nachlesen, mit was dieser honorige Mitmensch jeden Sonntag Millionen Leser begeistert und uns ebenfalls zum "Nachdenken und Innehalten" animieren lassen. Heute z.B. offenbart Peter Hahne uns in seiner Kolumne "Gedanken am Sonntag" unter dem Titel "Über unser Land als neues Paradies der Faulpelze" folgendes:

Deutschland fleißig Vaterland, das war einmal. Aus dem Volk der Fleißigen sind offenbar faule Säcke geworden, die während der Dienstzeit privat im Internet surfen oder sich beim Arzt im Wartezimmer rumdrücken, geschickte Urlaubsbrücken bauen und um 16.58 Uhr ihre Stullendose einpacken, damit sie pünktlich um fünf in den Feierabend verschwinden können.
[...]
Am selben Tag erschienen jetzt zwei Untersuchungen, die das belegen: Wir Deutsche sind Weltmeister bei Arztbesuchen, am liebsten gehen wir montags oder vor Brückentagen zum Doktor, durchschnittlich 18-mal pro Jahr. Und immer mehr Arbeitnehmer verrichten ihren Dienst nur noch "nach Vorschrift", weil sie innerlich längst gekündigt haben. Vergnügen hat Vorfahrt vor Verantwortung und Verpflichtung.

Wissenschaftler haben Versichertendaten einer Krankenkasse aus den vergangenen vier Jahren ausgewertet und hochgerechnet. 9,7 Millionen Menschen besuchten am 1. Oktober 2007 einen Arzt. Rein zufällig war dieser 1. 10. ein Montag, der nächste Mittwoch ein Feiertag und den Rest kann sich jeder selbst zusammenreimen . . .

Es versteht sich von selbst, dass ein so honoriger Mitmensch wie Peter Hahne es nicht für nötig erachten muss, etwa Quellen für seine Behauptungen anzugeben oder die Wissenschaftler, auf die er sich beruft, namentlich zu benennen. Wenn man einem wie Ihm schon nicht vertrauen könnte, wem wohl dann?

Nun ist es aber leider so, dass ich anscheinend ein übertrieben misstrauischer Zeitgenosse bin und siehe: ein wenig Internetrecherche fördert ein ganz anderes Bild zu Tage, denn in der Tat erweist es sich zwar als zutreffend, dass der Krankenstand im Jahr 2008 gegenüber dem Vorjahr wieder leicht angestiegen ist, dabei ist jedoch festzuhalten, dass er im Jahr 2007 zum wiederholten Mal auf einen historischen Tiefstand gesunken war:

Der Krankenstand ist im vergangenen Jahr auf ein Rekordtief gefallen. Von Januar bis Dezember hätten jeden Tag durchschnittlich 3,21% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wegen Krankheit am Arbeitsplatz gefehlt, erklärte das Bundesgesundheitsministerium [...]. Im Vorjahr seien es noch 3,29% gewesen. Damit habe die Zahl der Krankmeldungen 2007 den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht, in Westdeutschland sogar seit Einführung der Lohnfortzahlung 1970

Quelle: finanzen.net

Man beachte: bei diesem Rekordjahr 2007 handelt es sich um eben jenes Jahr, das Hahne sich für sein skandalöses Beispiel herausgesucht hat! Soweit ich es bei vertretbarem Zeitaufwand zurückverfolgen konnte, wurden Rekordtiefstände jeweils für die Jahre 2002, 2003, 2004, 2005, 2006 und 2007 gemeldet. Erst für das Jahr 2008 ist wieder ein leichter Anstieg des Krankenstandes zu verzeichnen:

Erstmals seit Jahren ist der Krankenstand in Deutschland wieder gestiegen. Laut der Statistik des Bundesgesundheitsministeriums war der deutsche Durchschnittsarbeitnehmer im Jahr 2008 3,4 Prozent seiner Soll-Arbeitszeit krank geschrieben. Dies entspricht einer Steigerung um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr und etwas 7,5 Tage im gesamten Jahr.

Quelle: noows.de

Wenn man also die Statistiken über einen längeren Zeitraum betrachtet, dann bietet sich gerade nicht das Bild zunehmender "Faulheit", sondern ganz im Gegenteil, das Bild geradezu übermäßigen, ständig wachsenden Fleißes und zunehmender Beflissenheit. Die Gründe dieser niedrigen Krankenstände sind freilich vornehmlich in der sukzessiven Demontage des Sozialstaats und der damit einhergehenden Erhöhung des Drucks auf die Arbeitnehmerschaft zu suchen und nicht etwa in rapide sich entwickelnder Volksgesundheit. Wenn Menschen aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes nicht mehr wagen, im Krankheitsfall den Arzt aufzusuchen, geschweige denn sich krankschreiben zu lassen, dann hat das rein gar nichts mit Fleiß, dafür aber sehr viel mit Einschüchterung und Unterdrückung zu tun.

Hahnes Gerede von den "guten alten Tugenden" entlarvt sich somit selbst als Etikettenschwindel. "Trugbild statt Vorbild", das gilt nicht etwa für die "Arbeitsmoral" der deutschen Arbeitnehmerschaft, dem Gegenstand von Hahnes "Gedanken zum Sonntag", sondern vielmehr für den Verfasser dieses Elaborates selbst. "Deutschland fleißig Vaterland" - eine ohnehin schon selten geistlose Sentenz, schließlich ist "Fleiß" weder eine geographische Eigenschaft noch eine Eigenschaft politischer Staatengebilde - "Deutschland fleißig Vaterland" - wenn man diese krumme Konstruktion, ihrer Unsinnigkeit zum Trotz, denn doch noch aufgreifen mag - das war noch nie; und wenn es überhaupt einen Zeitpunkt gibt, auf den diese ideologische Worthülse sich halbwegs anwenden ließe, dann wäre dieser Zeitpunkt gerade erst gekommen: heute, da mehr Menschen in diesem Land einer Erwerbstätigkeit nachgehen (müssen) als je zuvor und der Krankenstand, trotz leichten Anstiegs 2008, noch immer weit niedriger liegt, als man es sich zu den von Hahne als "vorbildlich" verklärten Zeiten je hätte träumen lassen ("Rekordtief" 2003: 13,5 Tage, Stand 2008: 7,5 Tage).

Den absoluten Gipfel der Frechheit aber erklimmt der ehrenwerte Herr Hahne, wie kaum anders zu erwarten, erst am Ende seiner tiefschürfenden Betrachtungen:

es darf nicht sein, dass Drückeberger-Deutschland das letzte Drittel, das noch engagiert bei der Sache ist, die komplette Arbeit machen lässt.

Es zeigt sich: Peter Hahne hat nicht nur unrecht im Sinne eines Irrtums oder aus Unwissenheit, sondern er diffamiert hier mit schon beinahe unfassbarer Kaltschnäuzigkeit und offensichtlich ganz vorsätzlich zwei Drittel der arbeitenden Bevölkerung Deutschlands und einen womöglich noch grösseren Prozentsatz seiner Leser. Wir halten fest: nur "das letzte Drittel" macht Hahnes Aussage zufolge die komplette Arbeit. Die übrigen zwei Drittel hingegen haben ihren Arbeitsplatz offenbar bloß, um sich permanent vor der Arbeit drücken zu können. Damit ist klar: die sind nicht nur faul, wenn sie "krankfeiern", sondern auch dann, wenn sie (vorgeblich) ihrer Arbeit nachgehen.

Jemand der einen solchen Schwachsinn zusammenschreibt, sollte sich freilich nicht wundern, wenn ihm womöglich vorgeworfen wird, dass ihm wohl entweder das "klare Denken", für das zumindest ein Klappentexter ihn einmal gepriesen hat, ausgegangen sein muss, oder aber, dass er ein hinterfotziger Intrigant und Volksverhetzer sei. Etwas, das ich freilich ausdrücklich nicht tun werde, denn

Peter Hahne ist ein ehrenwerter Mann!


Bildquelle: peter-hahne.de


Lesen Sie hierzu auch:
Biedermann sucht Feuerlöscher (nebenbei bemerkt ... - 25.01.2009)
Ein Vordenker? (ad sinistram - 04.02.2009)
Gottes Mann beim ZDF (taz - 05.02.2009).

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Samstag, 17. Januar 2009

Klartext bitte!

Lächerlicher geht es kaum noch:

Commerzbank, demnächst Hypo Real Estate, vielleicht auch die Deutsche-Bank-Beteiligung Postbank: Ein Institut nach dem anderen fällt in die Hände der Steuerzahler.

textet SpOn

Zutreffend wäre doch viel eher:
Commerzbank, demnächst Hypo Real Estate, vielleicht auch die Deutsche-Bank-Beteiligung Postbank: Ein Institut nach dem anderen nimmt die Steuerzahler in Geiselhaft.

Da rechnen wir wohl besser schon jetzt damit, dass man uns künftig, wenn wir etwa unser Gehalt abheben wollen, des Bankraubs beschuldigen wird.


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Freitag, 16. Januar 2009

Wiedervorlagen: Volksbegehren pro-reli, Hartz IV Urteile

1. Volksentscheid vermutlich durchgesetzt

Wie es aussieht hat die Initiative "pro-reli" ihre Forderung nach einem Volksentscheid, den Status von "Religion" als Pflichtfach an Berliner Schulen betreffend, durchgesetzt. Laut Innensenator Körting sind inzwischen insgesamt rund 195.000 Unterschriften abgegeben worden. Sofern sich der Anteil ungültiger Unterschriften im üblichen Rahmen hält, sollte die erforderliche Zahl von 170.000 gültigen Unterschriften damit erreicht worden sein.

Zu diesem Thema gab es bereits gestern einen m. E. sehr lesenswerten Artikel in der F.A.Z.

Hier ein Auszug:

So, wie die Kirchen den Kampf für Volksbegehren und -entscheid führen, gewinnen sie selbst dann nicht, wenn am Ende das Wahlpflichtmodell verwirklicht wird.

Mit der Trägerschaft der laufenden Kampagne „Pro Reli“ haben sie auch deren Propaganda mit allen Verzerrungen, Entstellungen und Lügen übernommen. „Pro Reli“ erklärt, dass Berlin seine Bürger auf in Deutschland einzigartige Weise bevormunde, dass Ethikunterricht Zwangsunterricht sei, dass er ohne spezifische religiöse oder weltanschauliche Ausrichtung Werte überhaupt nicht vermitteln könne, dass er mit der Vermittlung von Werten das staatliche Neutralitätsgebot verletze, dass er den Fundamentalismus fördere - es sind Verzerrungen und Entstellungen, die sich jetzt auch die Kirchen zurechnen lassen müssen. Die Kampagne spielt mit der Angst vor fundamentalistischer Indoktrination im islamischen Religionsunterricht und behauptet, Religionsunterricht sei nur als ordentliches Lehrfach in einem Wahlpflichtbereich durch den Staat auf Lehrinhalte und -methoden zu überprüfen - es ist falsch, aber die Kirchen stellen es nicht richtig und distanzieren sich nicht davon. „Pro Reli“ behauptet, die Zahl der Schüler, die am Religionsunterricht teilnahmen, habe sich mit der Einführung des Ethikunterrichts um 25 Prozent verringert, und die Kirchen greifen die Behauptung auf - nach statistischen Angaben der Zeitung „Die Welt“ beträgt der Schwund zwei bis drei Prozent.
Angemerkt sein noch, dass die von pro-reli geforderte Regelung selbst innerhalb der Kirchen keineswegs ungeteilte Zustimmung erfährt. Diese Opposition scheint indes nicht besonders stark zu sein. Immerhin durfte aber gestern Abend am Ende eines Beitrags in der Berliner Abendschau ein Berliner Pfarrer seine Skepsis äußern.

2. Obskure Hartz IV Urteile
Zur Rechtsprechung deutscher Gerichte hinsichtlich der Frage, ob Steuererstattungen als Einkommen oder Vermögen anzusehen seien, hat mich gestern ein Leser in einem Kommentar auf ein bereits im Jahr 2005 ergangenes Urteil des BGH hingewiesen, in dem es heißt:

"(...) Im Fall einer Rückerstattung wird aus dem Steueranspruch des Staates der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen (§ 37 Abs. 2 AO), ohne dabei seinen öffentlich-rechtlichen Charakter zu verlieren. Der an den Steuerpflichtigen zu erstattende Betrag erlangt, auch wenn er wirtschaftlich betrachtet das auf den Veranlagungszeitraum entfallende Einkommen erhöht, nicht wieder den Charakter eines Einkommens (...)"
BGH Urteil IX ZR 115/04 vom 21.07.2005

Im oben angeführten Fall ging es zwar nicht um eine Aufrechnung der Steuererstattung gegen ALG2 Zahlungen, dennoch sollte man meinen, dass damit eigentlich schon klar und allgemeinverbindlich (vor-)entschieden wurde, dass es sich bei solchen Zahlungen nicht um Einkommen handelt und es mithin keine Grundlage gibt, die es rechtfertigen würde, Empfängern solcher Erstattungen die ALG2-Bezüge zu kürzen.

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Donnerstag, 15. Januar 2009

Wenn der Amtsschimmel wiehert (3): Besuch auf dem Job-Center

Pünktlich um 9:45 Uhr klopft B. Dürftich an die Tür seines "persönlichen Ansprechpartners" (PAp) im Job-Center und öffnet sie, nachdem er von drinnen ein undeutliches Grummeln vernommen hat. Der PAp ist indes noch mit einer anderen persönlichen Ansprache befasst.

  • PAp: "Herr Dürftich? - Nehmen Sie bitte noch einen Moment draußen Platz. Ich brauche hier noch 10 Minuten."


Dürftich trollt sich in die robust möblierte Wartenische (Sitze aus Stahlblech), wo schon ein anderer Wartender darauf wartet, dass seine Warterei ein Ende haben möge. Nach einer Weile wird der Leidensgenosse erlöst und der bedürftige Dürftich wechselt seinen Platz, so dass er die Tür zum Büro seines pAp im Blick hat. Die Zeit vergeht. B. Dürftich wird unfreiwilliger Ohrenzeuge der Unterhaltung zweier weiblicher Wesen. Am Ende des Gangs taucht ein älteres Pärchen auf. Vermutlich türkischer Abkunft. Der Mann studiert nacheinander die Namenschilder an den Türen und klopft dann an eben die Tür, hinter der Dürftichs PAp residiert: grummelndes Geräusch von drinnen. Der Mann öffnet die Tür, fragt etwas und wird offenbar ebenfalls vertröstet, denn das Paar begibt sich nun auch in den "Wartebereich".

Die "10 Minuten" dauern eine gute halbe Stunde, dann wird der bedürftige Dürftich endlich vorgeladen. Ehe sein PAp-Kamerad sich aber mit ihm befasst, sind - telefonisch - noch andere Angelegenheiten zu klären und so erfährt B. Dürftich so allerlei über die draußen auf das Ergebnis dieser Recherchen wartende Bittstellerin. Immerhin: an den Schaltern bei der Anmeldestelle wird stets peinlich auf das Einhalten der sog. "Diskretionszone" geachtet.

Der PAp erklärt dann kurz, dass es im Job-Center zu Umstrukturierungen gekommen sei - sortiert wird nun nicht länger nach Anfangsbuchstaben des Nachnamens, sondern nach Nummern der Bedarfsgemeinschaft, weshalb Dürftich nunmehr "das Vergnügen" habe, mit ihm verkehren zu dürfen - na toll.

  • PAp: "Sie waren bis zum 28.01 in einer MAE?"
  • "Ja."
  • PAp: "Und die ging auch bis zum 28.?"
  • "Ja."
  • PAp: "Dann sind Sie also ab dem 29. arbeitslos .." - hackt auf seiner Tastatur herum - "Was haben sie denn da gemacht in der MAE?"
  • "Wissenschaftliche Mitarbeit, Datenbankeinrichtung, Bibliotheksmanagement, Seminarplanung, Webseitenerstellung ..."
  • PAp: "Ah - dann ist doch das hier bestimmt etwas, für das sie sich eignen!" .. - Liest vor: "Mitarbeiter f. Erfassung/Sortierung Schriftstücke/Dokumente. Vollzeit 38 Stunden. 1.300 Euro brutto"
  • "Sorry - aber das hat doch mit dem, was ich vorher gemacht habe, überhaupt nichts zu tun ..."

Es folgt eine Auseinandersetzung, die hier nicht im Wortlaut wiedergegeben werden kann. Der PAp übersetzt sich Dürftichs Einwand mit "Arbeitsunwilligkeit". Dürftich kritisiert die vollkommen überflüssige "Argumentation", dass dieser Job "aufgrund" zuvor ausgeübter Tätigkeiten für ihn in Frage komme, den könne schließlich jeder machen, ebenso wie Steine zählen (oder Dönerbuden). Er wisse, dass man ihm hier jeden Mist aufdrücken könne, was da dann diese scheinheilige Bezugnahme auf seine bisherige Tätigkeit solle? Natürlich könne er - Dürftich - diesen Job machen, das könne aber auch der PAp selbst oder dessen Vorgesetzter ...

Es ist aber auch zu drollig: wer sich überhaupt für irgendetwas qualifiziert hat, der ist natürlich auch für jeden Job der keinerlei Qualifikation voraussetzt automatisch qualifiziert.

Der PAp kriegt sich wieder ein und camoufliert seine Lust am Drangsalieren notdürftig hinter einer Maske von Wohlwollen und Hilfsbereitschaft, quasselt von "Hilfsangeboten" usw., schließlich sei das eine "gutbezahlte Tätigkeit", die er Dürftich da habe anbieten wollen und damit wäre Dürftich ja immerhin raus aus der Bedürftigkeit ...

  • PAp: "Sie sind schon 52?"
  • "Ja." - denkt: 'Dass der das auch schon gemerkt hat ..'
  • PAp: "Ja - da hätte ich eine Maßnahme für über 50 jährige .. blablubb... Pilotprojekt blahuba .."

"Pilotprojekt", d.h. auf Deutsch: keiner hat'n Plan und alles weitere wird sich finden, Hauptsache der Träger kommt auf seine Kosten. Dürftig kennt das: Man unterschreibt z.B. die Verpflichtung, brav am "Unterricht nach Lehrplan" teilzunehmen und erfährt dann, dass es gar keinen Lehrplan gibt - Pilotprojekt eben. Und dann besteht so ein Projekt am Ende zu mindestens 50% aus Bewerbungstraining, selbstverständlich mit dauernd wechselnden Dozenten, die unterschiedlichste und sich teilweise komplett widersprechende Patentrezepte für die erfolgreiche Bewerbung offerieren ...

Dürftich lässt sich das Projekt aufdrücken und bekommt als Dreingabe und zum Zeichen, dass man auch wirklich gewillt ist, ihn nach besten Kräften zu "fördern", auch noch ein "Networking"-(Pilot)Projekt verordnet, bei dem er zusätzlich alle 14 Tage abends zu erscheinen hat. Das kann ja heiter werden.

t.b.c.


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Mittwoch, 14. Januar 2009

Alles beim Alten?

Marx dachte an Vergesellschaftlichung der Wirtschaft auf der Höhe ihrer Produktionskraft, und jetzt, damals nach 1918, Sozialisierung der Pleite. Da stimmte etwas nicht.


Wer hats gesagt?

Theodor Heuss 1946.Zitiert nach: Was heißt heute liberal? Bleicher Verlag. Gerlingen 1978. S.31


Nachbemerkung: Wenn man so sieht, wie und was gegenwärtig mit großem Eifer "verstaatlicht" wird, könnte man auch konstatieren, dass es sich dabei eigentlich viel eher um die zunehmende Privatisierung des Staates (nämlich: seine Instrumentalisierung für partikulare private Interessen) handele.

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Dienstag, 13. Januar 2009

Die Binnenkonjunktur ankurbeln!

Ehrlich gesagt, kann ich das Wort "Binnenkonjunktur" langsam nicht mehr hören. Das liegt vor allem daran, dass es zunehmend (und leider auch von unabhängigen, undogmatischen Linken) als Argument für die Erhöhung von Sozialleistungen a la ALG2 in Anschlag gebracht wird. Das finde ich nicht nur falsch, sondern als zeitweiliger Empfänger solcher Leistungen auch entwürdigend. Tut mir leid, aber ich habe nicht die geringste Lust mich als Treibstoff für den Konjunkturmotor instrumentalisieren zu lassen.

Das bedeutet nicht, dass ich mit dem gegenwärtigen Zustand, der Höhe der Zahlungen oder der Bedingungen die an die Gewährleistung solcher "Transferleistungen" geknüpft sind einverstanden wäre. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Aber die Argumentation sollte doch anders aufgebaut sein und nicht "konjunkturabhängig", denn dieses "Argument" wäre spätestens, sobald die Konjunktur wieder "Fahrt aufgenommen" hat passé und würde niemandem mehr einleuchten.

Außerdem zeigt sich, dass wer so argumentiert, im Grunde längst vor dem Anspruch "der Marktwirtschaft", nicht nur eine Wirtschaftsform unter oder neben anderen, sondern zugleich die Gesellschaftsform der Moderne schlechthin zu sein, kapituliert und - bewusst oder unbewusst - die Frage, ob der Markt für die Menschen oder die Menschen für den Markt da sein sollen, zu Gunsten des Marktes vorentschieden hat.

Unter "Binnenkonjunktur" versteht man Summe der inländischen Nachfrage nach Investitions- und Konsumgütern. So weit so gut. Was dabei nicht gesagt wird ist, dass es sich dabei natürlich nur um den über Märkte laufenden Warenverkehr handelt und nicht etwa die Gesamtheit wirtschaftlicher Aktivität berücksichtigt wird. Das lässt sich leicht bebeispielen: Habe ich einen Obstgarten und verkaufe meine Ernte auf dem Markt, dann beleben diese Transaktionen die Konjunktur. Kaufe ich dann für den Erlös an anderer Stelle anderes Obst, dann belebt das die Konjunktur sogar noch mehr. Verzehre ich meine Ernte hingegen selbst oder verschenke sie, dann lahmt die Konjunktur, obwohl sich im Grunde nichts geändert hat. Beauftrage ich aber ein Unternehmen damit, alle meine Obstbäume abzuholzen, den Obstgarten mit einer Betonschicht zu versehen und somit jede weitere Produktion (von Obst) zu unterbinden, dann belebt diese Maßnahme die Konjunktur, weil wieder einmal Geld über den Markt geflossen ist und Kaufkraft den Besitzer gewechselt hat.

Ich hätte hier gerne mehr und Gescheiteres geschrieben, habe mir aber leider eine Erkältung eingefangen, die meinen Gedankenfluss doch merklich hemmt. Deshalb abschließend nur noch ein Beispiel aus den siebziger Jahren, das uns zeigt, wie einfach es doch sein kann, die Konjunktur anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern, sofern man sich auch für den grössten Stumpfsinn nicht zu schade ist, sobald er nur geeignet scheint, der lahmenden Wirtschaft auf die Beine zu helfen.



;-)


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