Montag, 30. Juni 2008

Fundsache - Zur Renaissance des Sozialismus

Ein ueberaus lesenswerter Artikel "Ich!" von Franziska Augstein findet sich heute in der Süddeutschen Zeitung.

"Die Idee des Sozialismus läuft nicht darauf hinaus, dass eine Staatspartei alles bestimmt und die arbeitende Bevölkerung im Namen des Staates ausbeutet, wie es im Ostblock üblich war.

Sozialisten wollen vielmehr eine Gesellschaftsform entwerfen, in der alle leben und überleben können, jeder seinen Fähigkeiten gemäß. Sie streben danach, dass die Verfügung über das Kapital nicht bei einigen wenigen liegt, sondern von der Gesellschaft kontrolliert werde. Besonders die Herrschaft über die für alle wesentlichen Dinge soll dem sozialistischen Denken zufolge nicht privaten Individuen überlassen werden: die Versorgung mit Wasser und Energie, öffentliche Verkehrsmittel, Post, Krankenversorgung, Altersvorsorge, Kindergärten, Schulen und Hochschulen."
[...]
Angela Merkel irrt, wenn sie denkt, dass alle beim Wort »Sozialismus« erschauern. Auf dem CDU-Parteitag in Hannover im Dezember 2007 erklärte sie, der Sozialismus habe in der DDR »genug Schaden angerichtet! Wir wollen nie wieder Sozialismus! Wir wollen nie wieder Unterjochung der Freiheit!« Aber diese Sätze haben nur einen Sinn, wenn man sie als späten Kommentar einer früheren FDJ-Funktionärin zur DDR auffasst. Sie blenden die eigentlichen Anliegen des sozialistischen Denkens aus.
[...]
In einer parlamentarischen Demokratie müssen sich die Parteien im Rahmen des Möglichen und Vernünftigen ein wenig danach richten, was die Wähler wollen. Derzeit wünschen sich sehr viele mehr soziale Gerechtigkeit im Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland. Dies Begehren: Man kann es christlich-demokratisch nennen, auch christlich-sozial oder sozialdemokratisch, theoretisch gesehen ist es zuallererst: sozialistisch."
Nun gut - ein bisschen mehr, als nur "ein wenig" duerfte es dann doch sein. - Im Uebrigen jedoch trifft die Autorin in fast allen Punkten den Nagel auf den Kopf.

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Samstag, 28. Juni 2008

Merkels Mega Moves

Randbemerkung zur Fußball EM 2008.
Schon lange nervt mich, dass während laufenden und nach gelaufenen Spielen mit Beteiligung der deutschen Mannschaft dauernd dieses verkrampft zuckende Etwas mit Namen Merkel ins Bild geschoben wird. Mit Sport hat das doch nun wirklich gar nichts zu tun. Und die Politik soll sich ja angeblich aus dem Sport heraushalten. Den Philosophen Gunter Gebauer scheint dieses Gebaren ebenfalls leicht zu irritieren:

"Sind Sie aus dem Auftreten von Bundeskanzlerin Angela Merkel schlau geworden?

Sie ist in ihrer Körpersprache sehr rätselhaft. Sie verfügt über eine sehr stumme Gestik. Im Unterschied zu ihrer politischen Taktik ist sie motorisch extrem unbegabt. Sie wirkt wie eine, die immer den Sportunterricht geschwänzt hat. Sie kann nicht jubeln, sie kann nicht von einem Bein aufs andere treten. Sie kann auch die Arme nicht richtig in die Höhe reißen. Das ist eine sehr lamentable Art der Körperpräsentation."
Quelle: Frankfurter Rundschau

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Jetzt neu bei ALDI: Kommunismus vom Feinsten!

Einen selten dämlichen Artikel mit dem Titel

Armut und Kapitalismus - Der bedeutendste deutsche Kommunist heißt Aldi"

von Bettina Röhl habe ich vor kurzem bei "Welt Online" gefunden.

Die vollständige "These" von Frau Röhl lautet:
"Der größte und bedeutendste Kommunist der Bundesrepublik Deutschland ist Aldi. (bitte die anderen Discounter Lidl, Plus, Penny, Kik, Ikea u.a. auf keinen Fall vergessen)."
Ja wer, denn nun? Nur ALDI - oder doch alle zusammen?
"Und der größte Kapitalist des Landes sind ebenfalls Aldi und die anderen Billiganbieter."
Aha - alles ist Eins!

Aber lesen wir weiter:
"Aldi und co. liefern auf menschenwürdigem Niveau die Grundversorgung, die der Kommunismus immer versprochen hat: Lebensmittel, Kleidung, Einrichtung, Urlaub, Babybedarf, technische Geräte, Bad-Küche-Baumaterial usw. und dabei geht es längst nicht mehr um Brot und Wasser, sondern schon lange auch um ehedem Königliches, Kaiserliches und Zaristisches: Lachs und Garnelen und Champagner, Orangen und Bananen und eben auch alles andere aus allen Bereichen, was früher Luxus war, wenn auch in abgeflachter Qualität, für jedermann."


Zu dumm nur, dass "ALDI" und Konsorten das alles nicht auch auf nachweislich "menschenwürdigem Niveau" produzieren lässt und vertreibt.
"Im früheren sozialistischen Osten [...] gab's weder freien Kapitalismus noch Kommunismus."

Im "sozialistischen Osten" gab es keinen Kommunismus? Folglich kann "der Kommunismus" dort auch keine Versprechungen gebrochen haben - oder?.

"Marx und die reine Lehre liefern viele Rezepturen, wie man Güter - von Dienstleistungen hatte er noch weniger Ahnung - gerecht verteilt, was immer gerecht sein mag. Ein Rezept, wie eine Volkswirtschaft Güter produziert, ist Marx allerdings schuldig geblieben. Wie denn der Mehrwert produziert werde, den Marx immer verteilen will und den man zum Leben braucht, das ist die Domäne des Kapitalisten und des Kapitalismus. Dazu hat Marx nichts Entscheidendes beizutragen und deswegen ist seine Idee auch nicht in die Praxis umsetzbar. Marx scheitert eben gerade theoretisch und nicht nur praktisch, wie es entschuldigend immer heißt."

Bekanntlich hat Marx überhaupt keine "Rezepturen" geliefert, sondern lediglich Analysen. Dabei hat er auch ziemlich genau beschrieben - wie in der Volkswirtschaft (nach dem Stand der Dinge und der Geschichte) Güter produziert werden.

Zu gerne wüsste ich auch, was die Autorin denn unter dem Mehrwert versteht - bzw. ob sie denn überhaupt einen Begriff dieses doch ziemlich zentralen Begriffes hat. Schon der Bau des Satzes lässt darauf schließen, dass die gute Frau nicht den geringsten Schimmer hat, wovon sie redet. Es ist freilich leicht jemandem Scheitern vorzuwerfen, wenn man meint, seinen Vorwurf nicht weiter begründen zu müssen und damit durchzukommen. Ah - das Scheitern erklärt sich natürlich aus dem Scheitern des sog. "real existierenden Sozialismus" - klar. Die haben sich auf Marx berufen und das ist Beweis genug.

"Was nützt es, wenn der arme Schuster einen kaputten Schuh in seiner Werkstatt repariert, wenn nebenan, also am selben Ort zur selben Zeit ein fabrikneuer Schuh billiger zur Verfügung steht? Der Schuster hätte in so einem Fall einen Minderwert produziert, also volkswirtschaftlich in der Bilanz etwas verbraucht. Auch das, was man den Handel nennt, also der Wirtschaftszweig, der sich mit Güterverteilung beschäftigt, ist den Kommunisten der reinen Lehre ein Dorn im Auge: kein Wunder, dass sie ihn nie gebacken bekommen."

Jeder der etwas produziert, verbraucht zunächst etwas. Und zwar:

1. Roh- und Hilfsstoffe und

2. Arbeitszeit und -kraft.

Und diesen "Verbrauch" erhält er in Form seines "Produktes" zurück. Das Produkt kann dann zunächst hinsichtlich zweier Wertaspekte, aus denen sich dann weitere ergeben, betrachtet werden.

1.Gebrauchswert.
Hat das Produkt einen Gebrauchswert - und wenn ja für wen? Der Gebrauchswert ist rein qualitativer Natur und lässt sich als solcher nicht objektiv messen.

a) Es hat einen Gebrauchswert (ausschließlich) für den Produzenten

b) Es hat einen Gebrauchswert für den Produzenten aber auch für andere, es kann als Ware zum Austausch gegen andere Waren dienen.

c) es hat keinen Gebrauchswert für den Produzenten aber für einen (oder mehrere) andere, es wird von vornherein als Ware produziert.

Im zweiten und dritten Fall hat das Produkt auch einen Tauschwert - ohne aber, dass es einen potentiellen Gebrauchswert hat, hat ein Produkt auch keinen Tauschwert, denn niemand würde es eintauschen wollen. Zwar schreibt Marx:
"Als Gebrauchswerte sind die Waren vor allem verschiedner Qualität, als Tauschwerte können sie nur verschiedner Quantität sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswert."
Marx Engels Werke 23. Das Kapital 1. Bd. Karl Dietz Verlag. Berlin 2001. S.52
Das gilt aber nur soweit die Produkte sich in der Zirkulation, in der sie sich ausschließlich als Tauschobjekte aufeinander beziehen, befinden, denn

"Der Gebrauchswert verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion. Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt des Reichtums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden sie zugleich die stofflichen Träger des - Tauschwerts."
Marx Engels Werke 23. Das Kapital 1. Bd. Karl Dietz Verlag. Berlin 2001. S.50

2.Tauschwert.
"Sieht man nun vom Gebrauchswert der Warenkörper ab, so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten."
Marx Engels Werke 23. Das Kapital 1. Bd. Karl Dietz Verlag. Berlin 2001. S.52
und
"Abstrahiert man nun wirklich vom Gebrauchswert der Arbeitsprodukte, so erhält man ihren Wert, wie er eben bestimmt ward. Das Gemeinsame, was sich im Austauschverhältnis oder Tauschwert der Ware darstellt, ist also ihr Wert."
Marx Engels Werke 23. Das Kapital 1. Bd. Karl Dietz Verlag. Berlin 2001. S.53

Dieses Gemeinsame, die Arbeit ist gewissermaßen das fundierende Element einer jeden Kette von Tauschakten. Durch sie wird das Produkt im eigentlichen Sinne "bezahlt" und erworben. Und aus dieser (grundlegenden) "Zahlung" resultiert dann auch sein ganzer (Tausch-)Wert, soweit sich dieser objektiv (als reelle Äquivalenz) bestimmen lässt. Als Pro-duct, also soweit es Hervorgebrachtes ist, hat es gerade soviel Tauschwert, wie gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit in ihm steckt. Der Mensch tauscht sich in der produktiven Arbeit mit seinem Gegenstand aus - "vergegenständlicht" sich durch seine Arbeit, indem er seine Arbeitskraft auf das Produkt überträgt. In dieser Übertragung liegt dessen "Wert", soweit man einen Wert überhaupt reell messen kann. Die jeweils durchschnittlich erforderliche Arbeitszeit ist zwar vom Stand der Produktionsverhältnisse abhängig und damit eine variable, aber innerhalb bestimmter, gegebener Produktionsverhältnisse eine durchaus feste Größe. Wenn der Schuster den Schuh repariert, dann hat dieser Schuh effektiv einen Wertzuwachs erfahren, da ihm Arbeit zugesetzt wurde. Das Problem ist, dass die durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit fuer die Fertigung eines Schuhs unter der für die Reparatur erforderlichen liegt. Damit ist der Schuster arbeitsmäßig nicht mehr "gesellschaftsfähig". Das Problem hat aber auch Marx schon erkannt:
"Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt, um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen. Nach der Einführung des Dampfwebstuhls in England z.B. genügte vielleicht halb so viel Arbeit als vorher, um ein gegebenes Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der englische Handweber brauchte zu dieser Verwandlung in der Tat nach wie vor dieselbe Arbeitszeit, aber das Produkt seiner individuellen Arbeitsstunde stellte jetzt nur noch eine halbe gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher auf die Hälfte seines frühern Werts."
Marx Engels Werke 23. Das Kapital 1. Bd. Karl Dietz Verlag. Berlin 2001. S.53

Und eben das geschieht mit der Arbeit des von Frau Röhl bemühten Schusters.

Das fundierende und im Grunde ganz einfache Verhältnis geleisteter Arbeit zum durch sie erzeugten Produkt bleibt auch innerhalb komplexer werdender Produktionsverhältnisse bestehen - es ist aber nicht länger ohne weiteres exakt bestimmbar. Ich will versuchen ein Beispiel zu geben: Wenn jemand auf einem niedrigeren Niveau arbeitsteiliger Produktion etwas anfertigt, dann ist das Verhältnis der von ihm geleisteten Arbeit zum Resultat ganz deutlich zu sehen. Nehmen wir an, wir hätten zwei Produzenten die aus selbstgewonnenen Rohstoffen etwas anfertigen, so dass in ihren Produkten am Ende nur ihre je eigene Arbeit sich vergegenständlicht hat; und der eine produziert in 8 Stunden 4 Gegenstände der Kategorie A, während der andere in der gleichen Zeit 16 Gegenstände der Kategorie B herstellt, wobei wir davon ausgehen, dass beide dabei den gesellschaftlich erforderlichen Durchschnitt an Arbeit geleistet haben, dann haben vier Gegenstände der Kategorie B den gleichen Wert wie ein Gegenstand der Kategorie A, denn in beiden steckt das gleiche Quantum an gesellschaftlich notwendiger Arbeit. Sie sind in dieser Beziehung (und nur in dieser) wertäquivalent.

3. Mehrwert.
Der Mehrwert, so wie Marx ihn definiert, entsteht in der Produktion, realisiert sich aber in der Zirkulation. Wie das prinzipiell vor sich geht, will ich an einer Weiterentwicklung des vorstehend gegebenen Beispiels zu zeigen versuchen.

Nehmen wir also an A und B tauschen ihre Waren aus, wobei A 2 seiner 4 Gegenstände liefert und B dafür 4 von seinen hergibt. Dann tauscht sich die in ihnen enthaltene Arbeit im Verhältnis 4 Stunden zu 2 Stunden. Mit anderen Worten: A erhält kein Äquivalent für zwei Arbeitsstunden - er hat diese Arbeit mithin "unbezahlt" verrichtet. B hingegen gewinnt das Äquivalent zweier Arbeitsstunden - er wird mithin zum Eigentümer des Gegenwertes von 8-2+4=10 Arbeitsstunden. Er hat sich 2 Stunden fremder Arbeit angeeignet. Am Gesamtwert der ausgetauschten Produkte hat sich nichts dabei nichts geändert.

Dazu Marx:
"Was die Ware dem Kapitalisten kostet, und was die Produktion der Ware selbst kostet, sind allerdings zwei ganz verschiedne Größen. Der aus Mehrwert bestehende Teil des Warenwerts kostet dem Kapitalisten nichts, eben weil er dem Arbeiter unbezahlte Arbeit kostet."
Karl Marx. Das Kapital 3. Bd. Karl Dietz Verlag. Berlin 2003. S.34

4. Profit:
Nehmen wir weiter an, dass B die von A erhaltenen Produkte an C weitergibt, wobei ihm C im Gegenzug den Gegenwert von 3 Arbeitsstunden aushändigt. Dann hat sich bei B der gewonnene Mehrwert zu 50% realisiert, die anderen 50% des Mehrwertes gehen auf C über. (Nur) Das, was vom Mehrwert bei B verbleibt ist dessen Profit. Mehrwert und Profit sind also nicht unbedingt identisch, obwohl Profit immer als Teil des Mehrwerts abfällt und was wichtig ist: der Mehrwert ist von vornherein ein Teil des in der Ware befindlichen Wertes, er wird nicht aus dem Nichts generiert, er entsteht auch nicht durch Übervorteilung des Käufers. Der Käufer einer Ware erhält immer den vollen Wert der Ware, unabhängig davon welchen Preis er zahlt. Offen ist allerdings, ob er dabei für seine eigene Ware den vollen Gegenwert erhält. Das zeigt sich, wenn wir unser Beispiel etwas erweitern.

A und B tauschen äquivalent. D.h. A liefert 2 Gegenstände der Kategorie A und B im Gegenzug 8 Gegenstände der Kategorie B. Es werden also je vier Arbeitsstunden gegeneinander ausgetauscht. Dabei fallen weder Mehrwert noch Profit an. Wenn nun C wieder einen Gegenwert von 3 Arbeitsstunden anbietet, dann fällt C ein Mehrwert von 1 Arbeitsstunde zu. C besitzt jetzt das Produkt von 4 Stunden Arbeit und B das Produkt von 3 Stunden. In diesem Fall hat also B eine Stunde unbezahlter Arbeit verrichtet. B ist aber nicht doof und wendet sich an D, von dem er den Gegenwert von 6 Arbeitsstunden verlangt und diesen auch erhält. Damit hat dann D zwei Stunden unbezahlter Arbeit geleistet und B einen Mehrwert von 2 Arbeitsstunden "erwirtschaftet". D ist also im Besitz des Gegenwertes von 4 Arbeitsstunden obwohl er 6 Stunden "investiert" hat. Und B besitzt nun den Gegenwert von 6 Arbeitsstunden obgleich er dafür nur 4 Stunden Arbeit aufwenden musste. Marx beschreibt das wie folgt:
"Wird die Ware daher zu ihrem Wert verkauft, so wird ein Profit realisiert, der gleich dem Überschuß ihres Werts über ihren Kostpreis ist, also gleich dem ganzen im Warenwert steckenden Mehrwert. Aber der Kapitalist kann die Ware mit Profit verkaufen, obgleich er sie unter ihrem Wert verkauft. Solange ihr Verkaufspreis über ihrem Kostpreis, wenn auch unter ihrem Wert steht, wird stets ein Teil des in ihr enthaltenen Mehrwerts realisiert, also stets ein Profit gemacht. [...] Zwischen dem Wert der Ware und ihrem Kostpreis ist offenbar eine unbestimmte Reihe von Verkaufspreisen möglich."
Karl Marx. Das Kapital 3. Bd. Karl Dietz Verlag. Berlin 2003. S.47

Solange die Handelspartner Produkte gegen Produkte austauschen sind zwei Aspekte offenbar: beide tauschen ihre in den jeweiligen Produkten "geronnene" menschliche Arbeit gegeneinander aus und beide agieren sowohl als Käufer, wie auch als Verkäufer. Ein Mehrwert bildet sich immer dann, wenn eine Seite an sich einen Überschuss aus fremder Arbeit aneignen kann. Sobald Geld als Tauschmittel ins Spiel kommt verschwindet diese Klarheit, weil das Geld ja nur vermittelnde Funktion hat und somit im Grunde genommen der Tausch Ware <-> Geld nur eine "halbe" Transaktion sichtbar werden lässt, aber gemeinhin für eine ganze genommen wird. Ein vollständiger Austausch endigt aber beidseitig immer in Arbeit. Diese Arbeit muss weder vom Geldbesitzer noch vom Warenbesitzer ganz oder auch nur teilweise selbst geleistet worden sein, u.U. ist auch gar nicht mehr exakt feststellbar, wer sie geleistet hat - aber: sie muss geleistet worden sein oder geleistet werden.

Marx stellt die Tauschverhältnisse in der Geldwirtschaft bekanntlich in der Form W-G-W (Ware-Geld-Ware respektive: G-W-G (Geld-Ware-Geld) dar. Dabei verschwindet leider die Besonderheit des fundierenden Tauschaktes A-P (Arbeit-Produkt), in dem jeder Tauschakt auf jeder Seite irgendwann enden bzw. seinen Ausgang nehmen muss. Ein vollständiger Zyklus würde unter Berücksichtung, dass Arbeit - auch wenn sie als Ware gehandelt wird - eben nicht eine x-beliebige Ware ist, etwa wie folgt aussehen: A-P-W-G-W-P-A, wo bei zwischen A-P und P-A die Beziehung W-G-W n-fach vorkommen kann, also z.B: A-P-W-G-W-G-W-G-W-G-W-P-A. In Wirklichkeit ist das Ganze noch etwas verwickelter, da hier davon abgesehen wurde, den Tauschakt ebenfalls als Arbeit zu kennzeichnen. Sofern der Tauschakt selbst "in Arbeit ausartet", wird dem Produkt durch diese Arbeit selbstverständlich Wert zugesetzt. Man könnte auch sagen: das Produkt verwandelt sich im Zuge des Austausches in ein anderes (neues), insofern als es der materiellen Substanz nach zwar das selbe, aber bezogen auf Raum und Zeit nicht identisch bleibt. Es erfährt mithin eine (wertbildende) Veränderung, die ihm nicht ohne weiteres anzusehen ist, z.B. durch Transport (Raum) und/oder Lagerung, Pflege, Konservierung (Zeit).

Damit sollte klar sein: "die Kommunisten" sind sich durchaus bewusst, dass in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ein Austausch von Produkten stattfinden muss und dass einer Ware im Zuge dieses Austausches u.U. Wert zugesetzt wird, der grundsätzlich einen höheren Verkaufspreis rechtfertigt. Da liegt auch gar nicht das Problem. Die Frage ist eben, ob im Zuge der Transaktionen ein Mehrwert abfällt und wenn ja, wie dann mit diesem zu verfahren ist, wem er zufällt bzw. zufallen soll, mit welchem Recht usw. Der Mehrwert fällt nicht wie Manna vom Himmel. sondern erwächst wie gezeigt aus unbezahlter Arbeit. Es ist derjenige Anteil von auf ein Produkt aufgewendeter Tätigkeit, der dem Tätigen nicht ersetzt wird. Unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen wird diese unvergütete Tätigkeit von vornherein verschleiert, denn der Kapitalist kauft ja die gesamte Arbeitskraft des Beschäftigten - zahlt ihm dafür aber nur die zur Fortsetzung seiner Tätigkeit gesellschaftlich notwendigen Reproduktionskosten. Wäre es anders, dann müsste ein Arbeiter von seinem Lohn soviel Produkte kaufen können, wie er seinem Arbeitsanteil nach produziert hat. Auf dieser Basis würde aber kein Händler Gewinne machen - wenngleich selbstverständlich auch die Arbeitszeit der Fabrikanten/Händler usw. wertbildend in das Produkt eingeht und somit auch diese ein Recht auf ein entsprechendes Einkommen aus ihren Tätigkeiten besitzen. Es ist also nicht die Forderung, dass dem Arbeiter das ganze Produkt seiner Tätigkeit gehören müsse, sondern, dass er ein Recht auf seinen vollen Anteil am Gesamtprodukt besitzt. Klar ist auch, dass unter hochkomplexen, arbeitsteiligen Produktionsbedingungen, kaum nocht exakt bestimmbar ist wem jeweils wieviel Mehrwert entzogen wurde, daraus folgt aber nicht automatisch ein ewiges Recht, auf individuelle Aneignung dieses Mehrwerts durch beliebige Dritte. Wenn "gerechte" individuelle Zuweisungen nicht möglich sind, dann ist die gemeinsame Verwaltung der akkumulierten Ueberschüsse zumindest eine diskutable Alternative.

"Händler, Makler, (die großen Industriebarone waren ja sowieso Feindbild) galten als diejenigen, die sich an der ehrlichen Arbeit des Proletariers nur bereicherten. Und dies obwohl die Güterverteilung doch der Kern ihrer ganzen Idee, Philosophie und Moral ist, allerdings nie praktisch, sondern schwelgerisch-schwülstig-ideologisch. Es ist also nicht unverständlich, dass in den kommunistischen Diktaturen die Güter bei den Armen nie angekommen sind. Dieser Mangel war allerdings kommunistisch auf alle Proletarier gerecht verteilt. Verteilungsgerechtigkeit auf niedrigstem Niveau! Dabei ist gleiche wirtschaftliche Teilhabe hinter allen Tonnen gedruckter Theorie letzen Endes schon der moralische Clou der Konsumreligion Kommunismus. Anders Aldi, Lidl und co., die halten was Marx versprach. Und als gute Kapitalisten schaffen sie auch noch Arbeit und investieren, was auch Arbeit schafft."

Bezeichnend, dass die Autorin auf jeden Nachweis für ihre "Thesen" Verzicht leistet. Es sollte ihr eigentlich ein leichtes sein, das "schwelgerisch-schwülstig-ideologisch[e]" mit wenigstens einem Zitat zu belegen. Aber dazu müsste sie ja womöglich Marx auch noch lesen - pfui Spinne.

Es würde sich aber auch zeigen, dass zumindest in Bezug auf Marx jede Feindbildthese unzutreffend ist. Er sah klar und deutlich, dass auch der Kapitalist nur in Abhängigkeit der gegebenen Produktionsverhältnisse erscheinen kann - mehr sogar: erscheinen muss. Für Marx ist der Kapitalismus notwendige Bedingung für die Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft. Ob die postkapitalistische Gesellschaft wirklich eine sozialistische oder kommunistische sein wird, mag dahingestellt bleiben, vielleicht wird sie es faktisch sogar auch und dabei einen anderen Namen tragen (müssen), denn die Bezeichnungen Sozialismus/Kommunismus sind als Folge des sogenannten "real existierenden Sozialismus" vermutlich auf lange Sicht "verbrannt". Wer aber glaubt, dass der Kapitalismus nun "das Ende der Geschichte" - das Ziel gesellschaftlichen Wandels schlechthin - sei, der hat in Geschichte ganz offensichtlich gepennt. Auf eine bestimmte Erscheinung folgt immer eine andere, sonst koennte von "folgen" keine Rede sein. Doch in einem möchte ich Frau Röhl zustimmen: die Belege dafür, dass "Aldi, Lidl und co" halten, was Marx versprach, häufen sich. Um das festzustellen muss man nur mal das Personal befragen.

"Als gute Kapitalisten schaffen sie vor allem Kapital und mit je weniger Arbiet das zu schaffen ist, desto besser."

Dazu lesen wir im Kapital: "

John Stuart Mill sagt in seinen "Prinzipien der politischen Ökonomie":
"Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben."

Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie Waren verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, zu verlängern. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert."
Marx Engels Werke 23. Das Kapital 1. Bd. Karl Dietz Verlag. Berlin 2001. S.391
"Sozial ist, was Arbeit schafft" und das ist der Kapitalismus, ist und bleibt richtig."

Wunderbar! Eigentlich erübrigt sich hier jeder Kommentar. Der Kapitalismus schafft die Arbeit (siehe oben) ab, bzw. reduziert sie und verewigt sie zugleich. Da fehlt nur noch, dass die Heiligen der INSM über das Wasser wandeln. Der Rest ist ähnlich konfus. Ich beschränke mich daher darauf, die markantesten Stellen zu erwähnen:
"Je ärmer desto kapitalistischer müsste man wählen, um aus der Armutsfalle heraus zu kommen. Sozial ist nicht die Abschaffung des Kapitalismus, wie die Kommunisten es wollen: das ist unsozial. Sozial ist den Kapitalismus hegen und pflegen und die Reichen und Leistungsstarken zu noch mehr Leistung und Risikofreude und Ideenreichtum heraus zu fordern."

Wir stellen fest: je radikaler, desto besser ...
"Ein guter Kapitalist ist gierig und listenreich - das ist die gesunde Definition. Und ebenso gesund ist eine Gesellschaft, wenn sie diesen Kapitalisten mit sozialen Forderungen immer wieder neu in Anspruch nimmt und "quält". Das ist das Austarieren des Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit oder sagen wir etwas moderner, zwischen Arbeit und Kapital. Da gibt es keine Patentlösung ein für alle mal, sondern nur ein permanentes Austarieren nach Spielregeln."

... man muss den vollentfalteten Kapitalismus dann nur mit sozialen Forderungen quälen -soso und was, wenn der Kapitalismus das höhere Quälpotential aufweist? Schade auch, dass dem Leser hier vorenthalten wird, wie die erwähnten "Spielregeln" denn konkret beschaffen sein sollen und warum die Autorin glaubt, dass sie beidseitig akzeptiert würden. Zu der restlos überflüssigen und sinnbefreiten Phrase "Das ist das Austarieren des Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit oder sagen wir etwas moderner, zwischen Arbeit und Kapital", erübrigt sich von vornherein jeder Kommentar.

"In den fragilen globalisierten Zeiten ist es an der Zeit, dass die bürgerlichen Kräfte und die Kräfte, die für die freie soziale Marktwirtschaft mit menschlichem Antlitz eintreten, das Heft in die Hand nehmen und selber den Diskurs bestimmen."

Welch wunderbares Konstrukt: "die freie[!] soziale Marktwirtschaft mit menschlichem Antlitz". Dabei versteht sich die "Soziale Marktwirtschaft" im Kern gerade als ein Gegenentwurf zur "freien Marktwirtschaft" - Naja - ich sagte es bereits:


Alles ist Eins!


Anmerkung: Der Autor dieses Beitrags nimmt nicht für sich in Anspruch ein profunder Kenner des Marxschen Oeuvres zu sein. Er hofft dennoch, dass ihm sein in diesem Rahmen - bei aller Länge des Artikels - doch sehr knapp gehaltener Versuch einer Erläuterung Marxscher Grundbegriffe halbwegs gelungen ist und den einen oder anderen Leser vielleicht zu weiterer vertiefender Lektuere animiert. Auch sieht er sich selbst weder als "Marxisten", "Kommunisten, "Sozialisten" oder sonst ein (myst)-istisches Schubladenwesen - schon garnicht, wenngleich er im Laufe seines Lebens auch als solcher zeitweilig (an)gesehen wurde, als Kapitalisten.

;-)

Anmerkung II: Der Artikel wurde mal wieder naechtens verfasst und wird ggf. in einzelnen Punkten noch ueberarbeitet, korrigiert und/oder erweitert.


Anmerkung III: Vielen wird es so gehen wie Carluv, der in seinem Kommentar schrieb: "Außerdem liegen MEW bei mir auch nicht griffbereit." Dem kann abgeholfen werden: MEW-Online. (Ab sofort auch unter "Sonstiges" in der Linkliste zu finden.)

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Donnerstag, 26. Juni 2008

Geistige Armut - Zur Interpretation des Armutsberichtes

Jetzt ist er offiziell, der Armutsbericht und die Politiker uebertreffen sich weiterhin in ihren Bemuehungen, die Lage schoenzureden.
"Die soziale Realität des Jahres 2008 ist eine völlig andere als die des Jahres 2005", bekräftigte Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Die Erfolge der letzten Jahre würden ausgeblendet. "Die Menschen haben vom Aufschwung profitiert."
Quelle: Frankfurter Rundschau

Da kann der Umkehrschluss eigentlich nur lauten: "Wer nicht vom Aufschwung profitiert hat, ist kein Mensch."

Als "Kernaussage" hob das Arbeitsministerium hervor: "Der deutsche Sozialstaat wirkt." Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Kindergeld hätten die Armutsrisiko-Quote von 26 auf 13 Prozent halbiert, unter den europäischen Durchschnitt von 16 Prozent.
ebenda

Dass das nicht zutrifft, da ALG II zwar das fuer 2008 festgelegte Existenzminimum sichert, dieses aber deutlich unter der Armutsgrenze liegt, habe ich ja bereits an anderer Stelle dargelegt. (Mehr dazu auch hier.)

Die Bekämpfung der Kinderarmut gelinge im internationalen Vergleich zwar gut, doch könnten die Hilfen noch zielgerichteter sein, sagte Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Sie warb erneut für mehr Betreuungsangebote, frühe Förderung im Kindergarten und ein zugunsten kinderreicher Familien gestaffeltes Kindergeld.
ebenda

Dieses Gerede von der "Kinderarmut" lenkt vom eigentlichen Problem ab. Arme Kinder gibt es hierzulande in der Regel nur als Kinder armer Eltern. "Kinderarmut" ist also kein "besonderes" Problem, das sich separat loesen liesse.

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Dienstag, 24. Juni 2008

Arbeit und Langeweile

Noch einmal ein Zitat zum Thema Arbeit von Herrn Nietzsche; dieses Mal Roberto J. De Lapuente, dem fleissigen Kommentator Markus sowie mir selbst gewidmet:

Arbeit und Langeweile. - Sich Arbeit suchen um des Lohnes willen - darin sind sich in den Ländern der Zivilisation jetzt fast alle Menschen gleich; ihnen allen ist Arbeit ein Mittel, und nicht selber das Ziel; weshalb sie in der Wahl der Arbeit wenig fein sind, vorausgesetzt, daß sie einen reichlichen Gewinn abwirft. Nun gibt es seltenere Menschen, welche lieber zu Grunde gehen wollen, als ohne Lust an der Arbeit arbeiten: jene Wählerischen, schwer zu Befriedigenden, denen mit einem reichlichen Gewinn nicht gedient wird, wenn die Arbeit nicht selber der Gewinn aller Gewinne ist. Zu dieser seltenen Gattung von Menschen gehören die Künstler und Kontemplativen aller Art, aber auch schon jene Müßiggänger, die ihr Leben auf der Jagd, auf Reisen oder in Liebeshändeln und Abenteuern zubringen. Alle diese wollen Arbeit und Not, sofern sie mit Lust verbunden ist, und die schwerste, härteste Arbeit, wenn es sein muss. Sonst aber sind sie von einer entschlossenen Trägheit, sei es selbst, daß Verarmung, Unehre, Gefahr der Gesundheit und des Lebens an diese Trägheit geknüpft sein sollte. Sie fürchten die Langeweile nicht so sehr, als die Arbeit ohne Lust: ja, sie haben viel Langeweile nötig, wenn ihnen ihre Arbeit gelingen soll. Für den Denker und für alle erfindsamen Geister ist Langeweile jene unangenehme "Windstille" der Seele, welche der glücklichen Fahrt und den lustigen Winden vorangeht; er muß sie ertragen, muß ihre Wirkung bei sich abwarten: - das gerade ist es, was die geringeren Naturen durchaus nicht von sich erlangen können! Langeweile auf jede Weise von sich scheuchen ist gemein: wie arbeiten ohne Lust gemein ist. Es zeichnet vielleicht die Asiaten vor den Europäern aus, daß sie einer längeren, tieferen Ruhe fähig sind, als diese; selbst ihre Narcotica wirken langsam und verlangen Geduld, im Gegensatz zu der widrigen Plötzlichkeit des europäischen Giftes, des Alkohols.

Friedrich Nietzsche. Die fröhliche Wissenschaft. Werke II. Hrsg. Karl Schlechta. Verlag Ullstein GmbH. FfM - Berlin - Wien 1976. S. 340 (66)f.

;-)

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Merkel aufs Maul geschaut - reine Zeitverschwendung

Eigentlich wollte ich hier etwas ueber das Merkel Interview in der F.A.Z. schreiben. Angesichts der Tatsache, dass dieses - wie anders kaum zu erwarten - aus lauter im Nichts schwebenden Sprechblasen ("Es gibt eine Reihe ganz praktischer Fragen, die nur der Lissabon-Vertrag löst. " - "Das Ende des Kalten Krieges hat für viele Millionen Menschen in Deutschland und Europa die Freiheit gebracht.") garniert mit falschen Behauptungen ("Allen Empfängern von Arbeitslosengeld II werden Heizkosten und Strom bezahlt, sie sind damit nicht von den Preissteigerungen betroffen.") besteht, habe ich davon dann doch abgesehen. Deshalb sei stattdessen den Ausfuehrungen von Angela Merkel in der FAZ aber auch denen Ronald Pofallas ("Bewahrung der Schöpfung") an anderer Stelle im Besonderen, sowie der politischen Kaste im Allgemeinen das folgende Zitat gewidmet:

Der Punkt der Ehrlichkeit beim Betruge. - Bei allen großen Betrügern ist ein Vorgang bemerkenswert, dem sie ihre Macht verdanken. Im eigentlichen Akte des Betruges unter all den Vorbereitungen, dem Schauerlichen in Stimme, Ausdruck, Gebärden, inmitten der wirkungsvollen Szenerie, überkommt sie der Glaube an sich selbst: dieser ist es, der dann so wundergleich und bezwingend zu den Umgebenden spricht. Die Religionsstifter unterscheiden sich dadurch von jenen großen Betrügern, daß sie aus diesem Zustande der Selbsttäuschung nicht herauskommen: oder sie haben ganz selten einmal jene helleren Momente, wo der Zweifel sie überwältigt; gewöhnlich trösten sie sich aber, diese helleren Momente dem bösen Widersacher zuschiebend. Selbstbetrug muß da sein, damit Diese und jene großartig wirken. Denn die Menschen glauben an die Wahrheit dessen, was ersichtlich stark geglaubt wird.

Friedrich Nietzsche. Menschliches - Allzumenschliches. Werke I. Hrsg. Karl Schlechta. Verlag Ullstein GmbH. FfM - Berlin - Wien 1976. S. 487 (487)f.

Nachtrag:
24.06.2008 ca.21:25h

Was ich mir hier erspart habe, kann nun teilweise an anderer Stelle als Kommentar nachgelesen werden.

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Montag, 23. Juni 2008

Die Lobredner der Arbeit


Die Lobredner der Arbeit. - Bei der Verherrlichung der "Arbeit", bei dem unermüdlichen Reden vom "Segen der Arbeit" sehe ich den selben Hintergedanken, wie bei dem Lobe der gemeinnützigen unpersönlichen Handlungen: den der Furcht vor allem Individuellen. Im Grunde fühlt man jetzt, beim Anblick der Arbeit - man meint immer dabei jene harte Arbeitsamkeit von früh bis spät -, daß eine solche Arbeit die beste Polizei ist, daß sie jeden im Zaume hält und die Entwickelung der Vernunft, der Begehrlichkeit, des Unabhängigkeitsgelüstes kräftig zu hindern versteht. Denn sie verbraucht außerordentlich viel Nervenkraft und entzieht dieselbe dem Nachdenken, Grübeln, Träumen, Sorgen, Lieben, Hassen, sie stellt ein kleines Ziel immer ins Auge und gewährt leichte und regelmässige Befriedigungen. So wird eine Gesellschaft, in welcher fortwährend hart gearbeitet wird, mehr Sicherheit haben: und die Sicherheit betet man jetzt als die oberste Gottheit an. - Und nun! Entsetzen! Gerade der "Arbeiter" ist gefährlich geworden! Es wimmelt von "gefährlichen Individuen"! Und hinter ihnen die Gefahr der Gefahren - das Individuum!

Friedrich Nietzsche. Morgenröte. Werke II. Hrsg. Karl Schlechta. Verlag Ullstein GmbH. FfM - Berlin - Wien 1976. S. 129 (1129)f.

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Samstag, 21. Juni 2008

Der Vertrag von Lissabon und das Dilemma Demokratie

Die EU begann einmal als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Offenbar ist sie das im Wesentlichen bis heute geblieben. Wie sonst hätte es dazu kommen können, dass Regierungen sich wie "Geschäftsführer" aufführen und ihre Bevölkerungen wie Personal behandeln?


[...] ein Volk nennt man frei und versteht darunter, daß es allein nach Gesetzen regiert wird, diese Gesetze aber selbst gegeben hat: denn alsdann befolgt es überall nur seinen eigenen Willen."
Arthur Schopenhauer. Preisschrift über die Freiheit des Willens. in: Werke in fünf Bänden. Band III. Haffmans Verlag AG Zürich. 1988. S. 362


Was ist eigentlich passiert?

  • Man hat einen Vertrag entworfen, der nur dann als angenommen gilt, wenn er von allen Mitgliedsstaaten der EU akzeptiert wird.
  • (Bislang) ein Mitgliedsstaat der EU hat diesen Vertrag nicht akzeptiert.
  • Damit gilt: der Vertrag ist offenbar nicht so angelegt, dass er für alle Vertragspartner als annehmbar anzusehen ist.


Logische Folge: Der Vertrag ist so zu überarbeiten, dass man von ihm allgemeine Akzeptanz erhoffen darf und dann erneut zur Abstimmung vorzulegen. D.h. auch: er muss möglichst kurz, klar und allgemeinverständlich formuliert werden - oder er ist ganz zu verwerfen.

Dass man den Widerspruch der Iren gerade hierzulande nicht einfach akzeptieren mag, ist wenig verwunderlich. Vermutlich gibt es kein zweites anerkannt "demokratisches" Land auf der Welt, in dem man in gleicher Weise wie in Deutschland seit je gewohnt ist "erfolgreich" gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung zu regieren. Angefangen mit der Installation Adenauers und der bedingungslosen Westbindung der BRD (statt Neutralität), über die "Wiederbewaffung", den "Natodoppelbeschluss" bis hin zur "Agenda 2010" und der Einführung der 19%igen Merkel - sorry: "Müntesteuer" - Es wird nicht etwa politisch umgesetzt was das Volk will - nicht einmal: was es "gewählt" hat, sondern, was (nach Ansicht der Regierenden) gut für es ist - und solange die Regierenden in der Folge nicht einmal böse auf die Schnauze fallen, wird halt murrend ausgelöffelt, was sie auskochen. Der Beweis, dass wirklich je "zum Besseren" entschieden worden wäre, kann und muss nicht erbracht werden - wozu auch: es reicht ja hin, dass es immer "noch schlimmer hätte kommen können" - und so kann man im Gegenteil, sich in jedem Fall (schon) das Ausbleiben herbeiphantasierter "noch größerer Katastrophen" von vornherein als Verdienst anrechnen.

Dieses Land, wie auch alle anderen, die sich "demokratisch" zu nennen belieben, gründet sich vorgeblich auf die Mündigkeit seiner Bürger - behandelt diese jedoch als seien sie mehrheitlich prinzipiell unzurechnungsfähig. Nicht einmal den Mut, die Bevölkerung anlässlich der sog. "Wiedervereinigung" über die eigene Verfassung abstimmen zu lassen - wie es im "provisorischen" (ebenfalls per ordre Mufti erlassenen) Grundgesetz vorgesehen war - hat die politische Kaste der BRD aufgebracht. Das sagt eigentlich schon alles.

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Donnerstag, 19. Juni 2008

Sarrazin sucht dringend 5-Euro Job (netto)

Ist Thilo Sarrazin nicht ausgelastet oder hat er womoeglich versehentlich sein Salaer als Senator weggespart?
"Sarrazin hatte dem Politikmagazin "Cicero" auf die Frage nach seinem persönlichen Mindestlohn gesagt: "Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wären 40 Euro pro Tag". Dabei geht er vom Nettolohn aus."
Quelle (Tagesspiegel)

Ihr geeignetes Stellenangebot senden Sie bitte an:

Senatsverwaltung für Finanzen
z.H. Thilo Sarrazin
Klosterstraße 59
D-10179 Berlin

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Direkte Demokratie - Ein Buch zum Thema - kostenloser download

Direkte Demokratie.
Fakten, Argumente, Erfahrungen

"Dieses Buch zeigt die aktuellen Entwicklungen in unserer Gesellschaft. Es ist in sieben Sprachen erschienen. In der deutschen Ausgabe schildert Gerald Häfner die gegenwärtige Situation in Deutschland."

Das Buch kann hier als PDF heruntergeladen werden

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Mittwoch, 18. Juni 2008

Merkel und die Medien

Verwundert reibt man sich die Augen: ein Artikel auf SPON, der in Bezug auf die ansonsten stets hochgelobte Kanzlerin ganz andere Töne anschlägt, als man es gemeinhin gewohnt ist.

"Keine Fotos von der Seite, keine von unten: Angela Merkel inszeniert sich ausgefeilter als der Medienprofi Gerhard Schröder. Es soll bloß keiner merken."
[...]
Einem Kanzler, egal ob er Schröder oder sie Merkel heißt, gibt das Amt automatisch einen großen Stab an die Hand, der die eigene PR mit Steuermitteln zu optimieren hilft. Diese Propagandamaschine heißt Bundespresseamt und kostet das Volk rund 80 Millionen Euro im Jahr. Dort werden zum Beispiel die Reisen der Journalisten organisiert, die den Regierungschef ins Ausland begleiten. Auch hier wird im Hause Merkel nichts dem Zufall überlassen. Als die Kanzlerin zuletzt nach Lateinamerika reiste, bemühte sich das Bundespresseamt darum, die Korrespondenten führender Tageszeitungen mit an Bord zu haben. Die Wochenpresse war nicht erwünscht. Das Kalkül dahinter ist einfach: Manche Tageszeitungsjournalisten stehen unter höherem Druck, die Reisespesen mit Artikeln zu rechtfertigen, und sei es mit belanglosen Reisebeschreibungen in Ermangelung von ernsthaftem politischem Stoff. Das Ergebnis ist Gefälliges über Merkel: Die Weltenwandlerin im Einsatz für Deutschland."


Da wird mir einiges klar - wenn die Wochenpresse nicht erwünscht ist, dann kann sie schnell mal böse werden.

"In der Neuauflage seines Buchs über Merkel stellte Gerd Langguth im vergangenen Jahr zwölf Thesen auf. These elf lautet: "Stärker als alle ihre Vorgänger" arbeite Merkel mit den Medien. Sie habe "schon als stellvertretende Regierungssprecherin der letzten DDR-Regierung gelernt, dass nur der die öffentliche Meinung gewinnt, der auch die Veröffentlicher von Meinung überzeugen kann"."


Hmmm - dass sie das womöglich schon, als FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda gelernt haben könnte, ist natürlich vollkommen ausgeschlossen. Man sieht: auch hier wird am Ende wieder nur geschrieben, was ins gewünschte Bild passt.

"Es sei völlig ausgeschlossen, dass sie vor der Reise nach Oslo einfach so in den Schrank gegriffen habe. "Sie weiß, welche symbolhafte Wirkung von einem solchen Auftritt ausgeht. Das war ganz gezielt eingesetzt."


Wer hätte das gedacht?

Nachtrag: 19.06. 2008 00:24
Siehe auch (SPON SPAM)


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Dienstag, 17. Juni 2008

Na bitte, es geht doch: keine Studiengebühren in Hessen

Wiesbaden - Der hessische Landtag hat am Dienstag mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken das Gesetz gegen Studiengebühren verabschiedet. Der Landtag musste das Gesetz noch einmal beschließen, weil in der ersten Fassung der entscheidende Satz fehlte, dass die Gebühren zum letzten Mal für das Sommersemester 2008 gezahlt werden müssen. Gegen das Gesetz stimmten CDU und FDP.
Quelle (SPON)

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Montag, 16. Juni 2008

Fundsache: Von der Rechtsauffassung deutscher Wirtschaftseliten

beck-blog:
Wie ich einmal Heinrich von Pierer irritierte
"... platzte Heinrich von Pierer unerwartet der Kragen. Er brüllte (in etwa nach meiner Erinnerung): Das Recht habe die Aufgabe, der Wirtschaft zu dienen; so ein Schnösel wie ich hätte keine Ahnung. Jura sei eine Hilfswissenschaft im Dienste der Industrie, um das möglich zu machen, was die Wirtschaft wolle und brauche."
Weiterlesen bei beck-blog

Gefunden via Subjektivitäten

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Fundsache: Public Private Partnership

PPP-Public Private Partnership oder Privat macht Public Pleite?

Korruptionsexperte [extern] Werner Rügemer deckte in seiner Bilanz "Privatisierung in Deutschland" zahlreiche fragwürdige Praktiken auf - eine vierte, aktualisierte Auflage brachte es jüngst hinsichtlich der Machenschaften von Bahn- und Treuhand auf den neuesten Stand. Sein neues Buch widmet er dem aktuell letzten Schrei der Privatisierer: den "Heuschrecken" im öffentlichen Raum. Thomas Barth sprach für Telepolis mit Werner Rügemer über die "Anatomie" des globalen Finanzinstruments Public Private Partnership.
Gefunden bei Telepolis

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Mit Vorsicht zu genießen: Götz Werner und sein Modell des Bedingungslosen Grundeinkommen


Sommerloch. Außer EM nichts los und die Spiele laufen erst am späten Abend. Also zerrt SPON am Sonntag Nachmittag mal wieder Götz Werner vors Mikrofon und lässt den unter dem Titel "Ich will die Leute skeptisch machen" ein wenig über "seine" Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens schwafeln.
Werner: Schon heute leben 62 Prozent der Bevölkerung hauptsächlich von Transferleistungen und nur noch 38 Prozent überwiegend von eigener Arbeit. Außerdem gibt es schon heute grundeinkommensähnliche Leistungen wie das Kindergeld. Diese Leistungen könnte man als Grundeinkommen in der Verfassung garantieren - und im Gegenzug alle Steuern bis auf die Konsumsteuer abschaffen.

Schon hier irrt Herr Werner, denn es mag ja sein, dass 62% der Bevölkerung hauptsächlich von staatlichen Transferzahlungen leben - von Transferleistungen leben aber im Grunde genommen 100%. Denn ohne den Transfer der Ergebnisse fremder Arbeitsleistungen auf das eigene "Leistungskonto" könnte niemand auch nur einen Cent "Gewinn" machen. Apropos Gewinn - das Wort zeigt es schon an: Wo es Gewinner gibt, da wird man auch nach Verlierern nicht lange suchen müssen. Und wo es Gewinn gibt, da ist der Verlust nicht weit. Götz Werner träumt anscheinend (wenn er denn glaubt, was er sagt) von einer Gesellschaft, in der es zwar Gewinner gibt, aber keine Verlierer und die es mit Hilfe der gerechten "Konsumsteuer" zu verwirklichen gilt.

Werner begründet sein Konzept bekanntlich damit, dass Unternehmen ohnehin in Wirklichkeit keinen Cent Steuern zahlen würden, da sie diese vollständig auf die Preise umlegen und damit auf den Konsumenten abwälzen. Soweit - so gut - so richtig.

Was er aber nicht sagt ist, dass auch die Gewinne der Unternehmen (zugleich schon: Verluste der Beschäftigten) über den Preis auf die Kunden abgewälzt werden. Somit setzt sich der Preis aus zwei Komponenten zusammen: Kosten und Gewinn. Für beide kommt am Ende der Konsument auf. Er zahlt den Unternehmen die Steuern, die Löhne, die übrigen Produktionskosten, Versicherungen usw. und obendrein den Gewinn und der ausgerechnet soll vom Zugriff des Fiskus ausgenommen bleiben - Nachtigall ick hör Dir trapsen.

Lustig dabei ist übrigens, dass das Unternehmen auch das Geld wieder vereinnahmt, das es dem Personal zuvor zum Zwecke der Lohn- bzw. Einkommenssteuerzahlungen, Sozialversicherungen usw. ausgehändigt hat. Kurz: ein florierendes Unternehmen "zahlt" per Saldo gar nichts, nicht einmal die Löhne, Materialkosten, Geschäftseinrichtung usw. - Es schießt diese Kosten lediglich vor, aber es trägt sie nicht, es sei denn, das Unternehmen geht den Bach runter, dann ist der Vorschuss (soweit nicht zuvor bereits ein Gewinn gemacht und abgezweigt werden konnte) beim Deubel - aber selbst das wird höchstens für vollhaftende Einzelunternehmer zum Problem. Der Gewinner wäre damit also schon mal ermittelt.

Nun mal das Ganze von der anderen Seite betrachtet: Wer nur ein geringes Einkommen bezieht, der bekommt also sein Geld, verkonsumiert es zu 100% und zahlt nach dem Wernerschen Modell damit den maximalen Steuersatz von 48%. Wer etwas abzweigen (sparen, anlegen, investieren) kann, der zahlt nur für den Teil seines Einkommens Steuern den er verprasst; je mehr er über seinen Konsum hinaus vereinnahmt, desto niedriger ist sein Steuersatz. Und in der Konsequenz wird am Ende doch wieder die Arbeit besteuert, nicht aber die Gewinne, und zwar: je mehr der Konsument von einem Arbeitseinkommen abhängt desto stärker. Da ist es dann ein ziemlich schwacher Trost, dass er für einen Teil seines Einkommens - das BGE - immerhin nicht arbeiten muss. Lebt er ausschließlich vom Grundeinkommen, dann bekommt er effektiv (netto) ohnehin nur die Hälfte dessen, was als Grundeinkommen festgelegt wird. Kurz: auch hier bleiben die gezahlten Steuern einkommensabhängig - immerhin kann man nur das ausgeben, was man eingenommen hat -, nur dass sie, was die Quote angeht, höhere Einkommen relativ begünstigen und dass sie Einkommen, die nicht verkonsumiert werden, sogar vollständig steuerfrei stellen, von bereits gebildeten Vermögen ganz zu schweigen.

Am Rande: Zusätzliche Einnahmen können letztlich sowieso nur generiert werden, indem auf nicht umlaufendes Geld zugegriffen wird: Sparguthaben und sonstige Rück- und Anlagen - nicht zirkulierendes Vermögen eben. Und das hat der Fiskus längst erkannt: via Hartz IV zapft er nämlich indirekt genau solche Rücklagen seit geraumer Zeit an (mobilisiert sie gewissermaßen) - leider wieder bei denen, die diese Rücklagen am wenigsten entbehren können.

Nochmal zu den Unternehmen. Wenn es außer der MWSt. keine weiteren Steuern und Abgaben mehr gibt, dann vereinfacht das die Buchhaltung natürlich enorm, weil in der Lohnbuchhaltung die Lohnsteuern, Sozialabgaben und - ich nehme mal an, das Konzept sieht das vor - auch die Beiträge zur Berufsgenossenschaft (Unfallschutz) wegfallen. Ferner verschwänden natürlich alle sonstigen Steuerposten (Gewerbesteuer usw.) komplett aus der Buchhaltung. Desweiteren ist die MwSt. die einzige Steuer die kalkulatorisch nicht berücksichtigt werden muss. Kurz: der ganze Steuer- und Abgabenblock (abgesehen von der MwSt.-Voranmeldung) hat sich aus der Buchhaltung ein für alle Mal verabschiedet. Exportorientierte Unternehmen gewännen auf diese Art einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil, da sie vollkommen steuerfrei operieren und kalkulieren könnten und die ausländische Anbieter gerieten unter Druck, weil in ihren Preisen ja nach wie vor die im Erzeugerland zu zahlenden Steuern und Abgaben mitexportieren müssten. Für den Konsumenten bedeutet das Wernersche Konzept also keineswegs, dass sich für ihn etwas zu seinem Vorteil verändern würde, ganz im Gegenteil: nicht nur, dass er über seine Konsumsteuern praktisch den gesamten Staatshaushalt finanzieren müsste, obendrein hätte er auch noch ausgleichslos (sofern er sich importierte Güter dann überhaupt noch leisten kann) einen Teil der in anderen Ländern erhobenen Steuern und Abgaben zu tragen. Das ist gerade angesichts der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft sich ein ums andere Mal zum "Exportweltmeister" ausruft, schon beinahe obszön, auf jeden Fall aber hirnrissig. Immerhin ist dieses Land bis dato ja nicht nur Weltmeister im Export von Gütern, sondern damit einhergehend auch Weltmeister im Export von Steuern und Abgaben. Mit anderen Worten: einen sehr großen Teil der Unternehmenssteuern und sogenannten Lohnnebenkosten zahlt, solange Außenhandelsüberschüsse zu verbuchen sind, am Ende der ausländische Kunde und nicht der inländische Verbraucher. Bei einer reinen Konsumsteuer würde die steuerliche Belastung der Haushalte also eminent zunehmen. Im Übrigen wage ich ohnedies - auch ohne das eigens en detail durchzuspielen, dazu mögen sich Berufenere finden - zu behaupten, dass dieses Modell, ein BGE ausschließlich aus auf dem Binnenmarkt durch den Warenverkehr zirkulierendem Geld zu finanzieren, niemals wird tragfähig sein können.

Ein BGE sollte freilich selbst dann, wenn es funktionieren könnte - nicht allein aus zirkulierendem Geld finanziert werden. Als Recht ist ein BGE das Recht aller Mitglieder der Gesellschaft auf einen Anteil am gesellschaftlich erzeugten Vermögen und muss darum die Funktion besitzen, die individuelle Akkumulation gesellschaftlich generierter Überschüsse (Gewinne) zu begrenzen und einen Teil dieser Gewinne an die Gesellschaft zurückzugeben. So gefasst wäre ein BGE also ein erster Schritt hin zur Herstellung der oft beschworenen "Verteilungsgerechtigkeit". Das aber ist eine Funktion, die einem (dazu erfolgreichen) Unternehmer wie Götz Werner wohl kaum schmecken dürfte.

Immerhin, eins ist Herrn Werner gelungen: mich zumindest hat er äußerst skeptisch gemacht.

Lesen Sie hier, warum ich dennoch für ein Bedingungsloses Grundeinkommen bin.

Es ist spaet geworden - Korrekturlesen folgt demnaechst.

;-)

Alle vorhandenen Artikel zum BGE anzeigen.

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Samstag, 14. Juni 2008

Deutsche zu doof fuer Geld?

"Hamburg - Die Deutschen sind ein Volk der Selbstüberschätzung - zumindest, wenn es um Finanzfragen geht. Sieben von zehn Deutschen behaupten, sich in Geld- und Finanzfragen gut auszukennen. Hakt man allerdings nach, erklären 56 Prozent, die Aussage, "keine Ahnung vom Börsengeschehen" zu haben, treffe auf sie "eher" oder "voll" zu. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die das Mannheimer Institut für praxisorientierte Sozialforschung (Ipos) im Auftrag des Bundesverbands deutscher Banken durchgeführt hat und die SPIEGEL ONLINE vorliegt."
Quelle (SPON)

Naja, laut Guido Westerwelle (bei Anne Will) zahlt die Haelfte der Deutschen ja auch 94% der Einkommenssteuern. Mit anderen Worten: die andere Haelfte der Deutschen besitzt vermutlich ohnehin so gut wie keine Finanzen, mit denen sich zu beschaeftigen der Muehe wert waere. Offen bleibt, wie sich die "Finanzdeppen" auf die beiden Haelften verteilen. Immerhin: hier koennte sich eine neue Einnnahmequelle fuer findige "Freelancer" auftun: Finanzqualifizierung fuer Hartz IV Klienten (maximal 40 Doppelstunden - sonst wirds zu teuer). Das waere doch mal was Sinnvolles; statt der ewig gleichen Bewerbungs- und Kommunikationstrainings: endlich zu lernen, wie man mit mit 312 Euro im Monat zum Finanztycoon aufsteigt. Vielleicht wuerden die derart Qualifizierten am Ende sogar einsehen, welch brillanter Rechner Thilo Sarrazin ist.

Jetzt fehlt eigentlich nur noch, die Gruende fuer wachsende Armut in Deutschland aus der mangelnden Kenntnis des Boersengeschehens abzuleiten.

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Donnerstag, 12. Juni 2008

Julian Nida-Rümelin zum Bedingungslosen Grundeinkommen - Kritik der Kritik

Unter der Überschrift:
Integration statt Ausstieg
- ein bedingungsloses Grundeinkommen würde unsere Gesellschaft noch weiter spalten,

veröffentlichte die Frankfurter Rundschau am 12. Juni 2008 einen kritischen Aufsatz von Julian Nida-Rümelin zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Hier nun meine Kritik der Kritik.

Nida Rümelin weist eingangs darauf hin, dass es "gegenwärtig ein ungewöhnlich breites Spektrum von Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens [gibt]" und die "Konfliktlinie pro und contra bedingungsloses Grundeinkommen nicht nach einem links-rechts Schema [verläuft]. Diese Feststellung legt eigentlich nahe, sich sodann mit den verschiedenen Motiven und Zielen der einzelnen Verfechter auseinanderzusetzen und zu fragen ob und welche davon warum zu verwerfen und welche aus welchem Grund womöglich zu befürworten wären. Eine solche Auseinandersetzung erübrigt sich für Nida-Rümelin allerdings von vornherein. Für ihn ist offenbar nur das seiner Ansicht nach allen Konzepten Gemeinsame wichtig: das Ziel eines radikalen Systemwechsels. Damit deutet sich bereits an: egal wie ein solcher Wechsel aussehen soll oder wird - er scheint dem Autor von vornherein nicht wünschenswert. Weiter heißt es: "In den letzten Jahrzehnten ist die These vom Ende der Arbeitsgesellschaft hinzugetreten, die davon ausgeht, dass Erwerbsarbeit durch Rationalisierungsprozesse zu einem knappen Gut wird, so dass in Zukunft andere Einkommensquellen als die Erwerbsarbeit erforderlich werden. Diese These[...] ist empirisch nicht belegt."

Dazu ließe sich einwenden, dass diese These sehr wohl belegt ist, da es infolge von Rationalisierung immer wieder zu Massenarbeitslosigkeit kommt, die zum Teil dadurch, dass sie ihrerseits Arbeitsplätze für Verwaltung und Betreuung der (gerade) Überflüssigen schafft teilweise etwas an Schärfe verliert. Dass es immer einer Erwerbstätigkeit nachgehende und daneben solche, die keinen Zugang zu ihr finden gibt, wird freilich erst dadurch zum Problem, dass in einer Gesellschaft, die der Erwerbsarbeit als einem Ethos huldigt, diejenigen, die gerade ausgeschlossen sind, stigmatisiert und diffamiert werden. Ferner lässt sich feststellen, dass die von Nida-Rümelin befürchtete Spaltung längst schon nicht nur Bestandteil, sondern fundierendes Element der bürgerlichen Gesellschaft ist. Ein Element, das seit je nur notdürftig dadurch, dass formal alle Mitglieder der Gesellschaft zu freien Bürgern erklärt werden, verschleiert wird. Auf diese Spaltung verweist Nida-Rümelin im Folgenden implizit selbst, wenn er feststellt, dass mit dem BGE "zum ersten Mal der Zwang zur Arbeit nicht nur für einige wenige, sondern für alle im arbeitsfähigen Alter entfallen" würde, ohne jedoch weiter darauf einzugehen, warum denn gegenwärtig die Mehrheit dem Zwang zur Arbeit ausgesetzt ist und warum das für einige wenige nicht gilt und kommt dann zu seinem "zentrale[n] Argument gegen diese so attraktive Idee": der "zu erwartende[n] fundamentale[n] Spaltung der Gesellschaft, in sozialer, kultureller und geschlechtlicher Hinsicht."

Zur Gefahr der sozialen Spaltung führt der Autor an, dass [s]chon ein bescheidenes bedingungsloses Grundeinkommen zu einer extrem hohen Steuerbelastung führen [würde]. Dem ist entgegenzuhalten, dass er sich offenbar nicht mit den zu erwartenden Kosten auseinandergesetzt hat. Dazu ist zu z.B. bei FOCUS.de zu lesen, dass die Sozialausgaben der Bundesrepublik im Jahr 2005 bei rund 690 Mrd. Euro lagen. Hans Werner Sinn (Ist Deutschland noch zu retten?) gibt für das Jahr 2002 Sozialausgaben in Höhe von 685 Mrd. Euro an, von denen "nur" 395 Mrd. Euro aus den Sozialkassen stammen, d.h. unmittelbar von denen aufgebracht werden, die mehrheitlich selbst auf Sozialtransfers noch am ehesten angewiesen sind: den sozialversicherungspflichtig abhängig Beschäftigten. (Beispiel: Man zahlt in die Rentenkasse oder Alo-Versicherung und beantragt Wohngeld, erhält Kindergeld usw.). Legt man die 690 Mrd. Sozialausgaben auf 80 Millionen Bundesbürger um, so ergibt sich ein pro-Kopf Betrag von 8225 Euro im Jahr. Auch wenn vermutlich mit der Einführung eines BGE (die ja keineswegs mit einem Schlag vollzogen werden müsste, sondern ggf. schrittweise einzuführen wäre) nicht alle in den 690 Mrd. Euro enthaltenen Leistungen fortfallen würden, so gibt es dennoch keinen Grund rundheraus zu behaupten, dass ein BGE nicht finanzierbar sei. Weiter lesen wir:

"Eine Existenz auf der Basis des bedingungslosen Grundeinkommens wird nur für Teile der Bevölkerung attraktiv sein, dazu gehören insbesondere Jüngere in der Phase nach dem Abschluss ihres Bildungsweges und vor dem Einstieg in die Erwerbstätigkeit und diejenigen, die etwa durch innerfamiliäre Transferleistungen aus Arbeitseinkommen ihren Lebensstandard oberhalb des bedingungslosen Grundeinkommens sichern können."

Immerhin - wo man seinen Lebenstandard "durch innerfamiliäre Transferleistungen aus Arbeitseinkommen ihren Lebensstandard oberhalb des bedingungslosen Grundeinkommens sichern" kann, da muss entweder ein Teil der Familie erwerbstätig sein und über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen oder es muss ein gewisses Vermögen vorhanden sein, von dem sich leben lässt, ohne dass es in seiner Substanz angegriffen wird. Man darf also annehmen, dass die zu dieser Kategorie zu zählenden Aussteiger gerade nicht unbedingt auf die Einführung eines BGE angewiesen sind, um sich einem dauerhaft arbeitslosen Leben hingeben zu können. Im Übrigen ist die Höhe der für die Finanzierung eines BGE erforderlichen Steuermittel davon abhängig, wie viele Menschen sich darauf beschränken, ausschließlich von ihrem Grundeinkommen zu leben, denn den "Einkommenstarken" muss das BGE ja nicht ausgezahlt, sondern kann ihnen ggf. als Steuerfreibetrag gutgeschrieben werden, - Und es ist eigentlich auch nicht zu erwarten, dass eine überwältigende Mehrheit der Menschen dieses Grundeinkommen als zureichend ansehen wird, dafür sind die Verlockungen die von diversen "überflüssigen" Konsumgütern ausgehen, vermutlich doch zu groß und der gewohnte materielle Lebensstandard der meisten Bürger (noch?) zu hoch..

Zum nächsten Punkt, "Absenz von der Erwerbstätigkeit":

Die empirische Evidenz ist jedoch überwältigend, dass eine längere Absenz von der Erwerbstätigkeit die Erwerbsfähigkeit drastisch reduziert. Absolventen müssen nach Abschluss ihrer Ausbildung bzw. ihres Studiums rasch in das Erwerbsleben integriert werden, weil sonst ihre Qualifikation an Wert verliert. Langzeitarbeitslose sind auch dann nur schwer in das Erwerbsleben zu integrieren, wenn sie über gute Qualifikationen verfügen. Anreize zur langjährigen Absenz vom Erwerbsleben sind schon von daher unverantwortlich. Sie führen zu einer Spaltung der Gesellschaft in dauerhaft Erwerbstätige und dauerhaft - wenn auch mit bedingungslosem Grundeinkommen versorgte - Erwerbslose."

Wenn das so ist, dann fragt man sich, warum ein - gewissen Berufsgruppen mögliches - sog. "Sabbatjahr" nicht zu einer Beschränkung der Erwerbsfähigkeit führt? - Was ist das überhaupt: Erwerbsfähigkeit? Eine neue Kunst? - Und was ist eine Qualifikation, die "an Wert verloren hat"? Eine, die nicht (mehr) ausreicht? Dann wäre sie nicht wertloser, sondern einfach nicht gegeben oder der angestrebten Tätigkeit nicht angemessen. Oder weil sie nicht "angewandt" wurde? Das wurde sie auch (noch) nicht, wenn der Absolvent unmittelbar nach dem Abschluss ins Berufsleben einsteigt. Dass Langzeitarbeitslose schwer integrierbar sind, weil sie langzeitarbeitslos sind, ist zumindest in Teilen eine Verkehrung von Ursache und Wirkung und als These so monokausal ohnehin nicht zu belegen. Dazu müssten die besonderen Begleitumstände der Langzeitarbeitslosigkeit unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen hinzugezogen, untersucht und ausgewertet werden. Und dann würde man evtl. feststellen, dass nicht die Dauer der Absenz von der Erwerbstätigkeit das entscheidende Moment für die Dauer der Absenz von der Erwerbstätigkeit sein kann. Alles in allem sagt Nida Rümelin hier nicht mehr als: "Langzeitarbeitslose sind langzeitarbeitslos, weil sie langzeitarbeitslose Langzeitarbeitslose sind". - Meinen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis! Der Umkehrschluss: dass manche Menschen einfach schwer ins moderne Erwerbsleben zu integrieren und deshalb langfristig ohne Anstellung sind, ist da wohl eher einleuchtend. Außerdem ist die Annahme, dass die Gesellschaft sich in "dauerhaft Erwerbstätige und dauerhaft [...] Erwerbslose." spalten werde unzulässig - je mehr Menschen sich zeitweilig aus dem Erwerbsleben zurückzögen, desto unwahrscheinlicher würde eine solche Spaltung, die N-R eben nur deswegen konstruieren kann, weil er die Möglichkeit des "Teilzeitausstiegs" gar nicht erst ernstlich in Betracht zieht.

Weiter geht es mit der Gefahr der kulturellen Spaltung

"Die kulturelle Spaltung der Gesellschaft: Für manche kulturelle Milieus ist die Existenz auf der Basis eines bedingungslosen Grundeinkommens unattraktiv, das gilt besonders für diejenigen, die über ihr individuelles Dasein hinaus Verantwortung, zum Beispiel in Form von Elternschaft und Familie, übernommen haben. Aber auch für diejenigen, die sich vom Beruf durch seine Gestaltungsmöglichkeiten, die sozialen Netze und die gesellschaftliche Anerkennung mehr als nur ein gesichertes Arbeitseinkommen erwarten. Der kulturellen Integration durch Erwerbstätigkeit, durch Arbeitsethos und Berufsverantwortung, durch Entwicklungschancen und strukturierte Kooperationen im Berufsleben steht die kulturelle Integration durch freiwilliges, meist nur punktuelles und kurzfristiges Engagement oder auch die Cliquenbildung der Freizeitgesellschaft gegenüber."

Die alte Leier: Die einen arbeiten gerne und finden Erfüllung in ihrem Dasein, weil ihnen ihr Beruf neben dem gesicherten Einkommen auch "Gestaltungsmöglichkeiten, die sozialen Netze und die gesellschaftliche Anerkennung" bietet und brauchen schon deswegen so ein doofes BGE überhaupt nicht und die anderen, denen eh nur ein prekäres Einkommen winkt, soll man bloß nicht durch ein BGE vom Arbeiten abhalten - wo bliebe denn auch die schöne Erfüllung, ohne Gehilfen, die die Drecksarbeit machen? Außerdem sorgt die allgemeine Erwerbstätigkeit für "kulturelle Integration". Und auch hier wieder: reine Schwarz-Weiß Malerei: Entweder Beruf oder Freizeit - tertium non datur -; irgend etwas ganz anderes, das weder dem einen noch dem anderen voll entspräche, bleibt jenseits des Nida-Rümelinschen Vorstellungsvermögens. Mir scheint mitunter, dass wo heutzutage "Integration" gesagt wird, immer öfter Repression und Totalitarismus gemeint sein mögen.

"Man wird hier entgegenhalten, dass doch auch politisches und bürgerschaftliches Engagement all die Möglichkeiten und Verpflichtungen bereitstellt, die im Beruf eine Rolle spielen können. Die empirischen Befunde sind aber auch hier andere. Die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem politischen Engagement sinkt drastisch mit dem Ausstieg aus dem Erwerbsleben, das gilt nicht nur für Arbeitslose, sondern auch für Ruheständler. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde die ohnehin bestehende kulturelle Spaltung der Gesellschaft in beruflich Integrierte und beruflich Nicht-Integrierte, sei es durch prekäre und häufig wechselnde Beschäftigungsverhältnisse oder durch Arbeitslosigkeit, vertiefen."

Gut, dass wir die möglichen Entgegenhaltungen schon vorher kennen; und auch hier wieder: kein Wort über die gesellschaftlich bedingten Begleitumstände. Die spezifischen Bedingungen der Arbeitslosigkeit unter herrschenden Verhältnissen werden einfach nicht weiter hinterfragt, sondern das aus ihnen entspringende Verhalten wird zum zeitlosen Prinzip erhoben. Und nebenbei: die Frage ist doch, ob man von "Arbeitslosigkeit" da überhaupt noch wird reden können - wo Erwerbsarbeit ihren (gesellschaftlichen) Zwangscharakter verloren hat?

Und nun noch zur Gender Spaltung:

"Die Gender-Spaltung: Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde sich in der Realität wie eine üppig ausgestattete "Herd-Prämie" auswirken, wie sie von der CSU vorgeschlagen worden ist. In vielen Migranten-Familien, in denen die die Berufstätigkeit der Frau nach wie vor kulturell fremdartig ist, wäre das Thema der Berufstätigkeit der Ehefrau endgültig erledigt. Millionen von Frauen, die gegenwärtig - unter den aktuellen sozialen Bedingungen mühsam genug - Mutterschaft und Beruf zu verbinden versuchen, würden aus dem Erwerbsleben vorübergehend und in den meisten Fällen wohl auch endgültig ausscheiden. Die bestehende Gender-Spaltung würde dramatisch vertieft werden."

Hurra, wir haben ein Reizwort! Die "Herd-Prämie", "üppig ausgestattet" obendrein, solls richten. Hier meldet sich einmal mehr der alte Obrigkeits- und Zwangsstaat - dieses Mal im Namen von Emanzipation und Integration - zu Wort. - Dabei ist m.E. höchst unklar, wie weit sich diese Begriffe überhaupt vereinbaren lassen. In vorgängigen gesellschaftlichen Verhältnissen war ja auch hierzulande gerade die emanzipierte Frau eher nicht "integriert". Man könnte dieses "Argument" auch so lesen: "Wenn wir Migranten integrieren wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass alle erwachsenen Familienmitglieder gezwungen sind einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, denn aus freien Stücken werden die Frauen der Emigranten nie einen Beruf ergreifen (dürfen)." Und was heißt hier "Mutterschaft und Beruf"? Warum nicht "Elternschaft und Beruf?" - Vielleicht würde ja auch mancher Vater lieber vorübergehend auf sein Erwerbsleben verzichten oder es einschränken zugunsten der Familie? - Richtig ist, dass jeder Mensch, der irgendeinem Beruf nachgehen möchte, daran nicht gehindert werden sollte. Es ist aber etwas ganz anderes, der gesamten Bevölkerung ein möglichst dauerndes und ununterbrochenes Erwerbsleben geradezu aufzuzwingen. Wenn ich meine Kinder lieber selbst aufziehen möchte, statt sie irgendwelchen Profi-Erziehern zum Zwecke des Broterwerbs zur Verfügung zu stellen und sie somit von vornherein zu marktrelevanten Objekten zu machen, dann muss das bitteschön meine Sache bleiben - Ja - ich weiß - das geht so natürlich nicht - wenn ich weniger arbeite und infolgedessen auch noch die Nachfrage nach Erzieherarbeitsplätzen senke, dann ist das vielleicht gut für mein Sozialleben aber gar nicht gut für das Sozialprodukt.

"In Deutschland besteht eine deutliche Fehlallokation sozialer Ressourcen, ein Beispiel ist die Familienförderung. Die gewaltigen Summen, die etwa über das Kindergeld zur Förderung von Familien eingesetzt werden, verfehlen den gewünschten Effekt. Weder führen sie zur ökonomischen Selbstbestimmung der Frauen noch zu einer angemessenen Betreuung der Kinder. In Deutschland gibt es zu wenige Ganztagseinrichtungen, zu wenige Krippen, zu wenige Ganztagsschulen, eine unzureichende Förderung von Bildungsinstitutionen, weil die Mittel fehlen, um diese Angebote zu finanzieren. Stattdessen fließen Milliarden-Summen unabhängig von der Bedürftigkeit in die privaten Haushalte und heben dort den Lebensstandard ein wenig an. Die Freiheitsgewinne von Eltern und die Bildungsgewinne von Kindern würden in weit höherem Maße durch den Einsatz eines Großteils dieser Mittel für Ganztagseinrichtungen gefördert."

Dass das Kindergeld nicht einmal hinreichend ist, zur Existenzsicherung der Kinder und damit schon gar zur Existenzsicherung (mindestens) eines Erwachsenen und seiner Kinder und schon deshalb eine "ökonomische Selbstbestimmung" durch es nicht zu erreichen ist, wird man wohl niemandem erklären müssen. Ein BGE hingegen, das ja auch für die Kinder - anstelle des entfallenden Kindergeldes - zu zahlen wäre, könnte einiges zur "ökonomischen Selbstbestimmung" (und nicht nur: der Frauen und Eltern) beitragen.

Ferner fragt sich, ob Ganztagseinrichtungen zur Kinderbetreuung die einzige oder überhaupt eine generell richtige und allgemein wünschenswerte Lösung darstellen. Gemeinschaftliche und außerhäusliche Erziehung ist weder eine Erfindung unserer Zeit noch unserer Kultur. Neu daran ist allerdings, dass die Erzieher aus Erwerbsgründen ihre Tätigkeit ausüben (müssen) wobei die Passion vermutlich häufiger als man es sich wünschen möchte auf der Strecke bleiben dürfte. - Mögliche Alternativen werden auch hier von Herrn Nida-Rümelin gar nicht erst in Erwägung gezogen, obwohl es mit Sicherheit auch andere Möglichkeiten gäbe, Beruf und Familie (bzw. Kinder) zu verbinden, ohne dass es zu einer Spaltung von Kindern und Erwachsen kommt. Richtig ist, dass Kinder Kontakt zu anderen Kindern brauchen und auch suchen - und angesichts schrumpfender Geburtenzahlen sowie der wachsenden Zahl von Einzelkindern und Alleinerziehern, dieser Kontakt oft nur noch außerhalb der Familien herzustellen ist. Zu bedenken bleibt aber, dass in den meisten Ganztagseinrichtungen die Kontakte weitgehend auf Gleichaltrige, sowie die als Erzieher tätigen Erwachsenen beschränkt bleiben. Ferner sind die Beziehungen zu Erziehern nicht nur wegen der spezifischen und bereits angesprochenen Motivation (Gelderwerb) von anderen Beziehungen zu Erwachsenen verschieden, sondern u.U. auch durch häufigen Wechsel der Bezugspersonen, der nicht unbedingt schädlich sein muss, aber auch nicht von vornherein als Vorzug angesehen werden kann, gekennzeichnet. Ein weiterer Punkt ist, dass mit einer flächendeckenden Versorgung mit Krippen und Horten noch lange keine ebenso flächendeckend gleiche und hohe Qualität der Betreuung gewährleistet wäre.

Hier nun scheint es an der Zeit, auf die Spaltungen der Gesellschaft hinzuweisen, die Nida-Rümelin entweder gar nicht sieht oder - wenn doch - dann offenbar als unerheblich ansieht: die Spaltung der Generationen: Kinder in die Krippe, Erwachsene in die Fabrik, ins Büro oder in "Maßnahmen", Greise ins Altersheim, Psychische Kranke und andere Problemfälle ins Irrenhaus; Sozialkontakte mit ausschließlich gleichaltrigen oder gleich Versehrten sowie mit bezahltem Personal (hier also eigentlich: ökonomische Kontakte) - Das ist genau besehen nichts anderes als eine optimale Vermarktung von "Menschenmaterial"; von der Wiege bis zur Bahre: Mensch als Ware. Wenn sich schon aus der Arbeitsfähigkeit (weil noch nicht entwickelt oder bereits "verbraucht") kein Kapital schlagen lässt, dann soll offenbar wenigstens die "Zuwendung" noch Geld einbringen.

"Der deutsche Sozialstaat setzt generell in zu hohem Maße auf solche Transfers und in einem zu geringen Maße auf soziale Dienstleistungen. Der Öffentliche Dienst in Schweden umfasst dreimal so viele Personen wie in Deutschland (anteilig zur Bevölkerungszahl). Die Lohn- und Gehaltssumme von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes beläuft sich in Deutschland auf 12, in Schweden auf 34 Prozent. Ein Ausbau der öffentlichen und sozialen Dienste ist daher die Antwort auf die sozialen Verwerfungen, die in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben."

Möglicherweise wäre auch in Schweden das Geld besser in die Selbständigkeit, Autarkie und die vielbeschworene "Selbstverantwortung" investiert. Aber nein - wie gehabt, das trägt ja nichts zum Sozialprodukt bei und würde so gar nicht den Erfordernissen der Marktwirtschaft entsprechen.

"Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde die Fehlallokation potenzieren. Sehr viele, die keine Unterstützung benötigen, würden diese in Anspruch nehmen, während das Geld für Ganztagseinrichtungen und soziale Dienste weiter fehlte oder - dies geht jedenfalls aus vielen Verlautbarungen der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens hervor - ganz gestrichen würde."

Hört, hört! nicht nur verstärken, sondern gleich potenzieren. Auf die Idee, dass wo alles Soziale über "Soziale Dienste" geregelt werden muss, ein genuines "Sozialleben" offenbar nur noch unzureichend oder gar nicht mehr stattfindet und dass man einer solchen Entwicklung gewiss nichts entgegen setzt, wenn man die Umstellung von (empathischen) Sozialbeziehungen auf (monetäre) Marktbeziehungen forciert betreibt, damit "das Soziale" nicht komplett den Bach runter geht, müsste man allerdings auch erst mal kommen - dazu scheint es bei Herrn Nida-Ruemelin freilich nicht zu reichen. Schade.

"Ich plädiere stattdessen für eine Erneuerung der Idee der Arbeitsgesellschaft. Es muss uns um die humane Gestaltung (gesetzlicher Mindestlohn, Arbeitsschutz, Kündigungsschutz, Arbeitszeitverkürzung und Arbeitszeitsouveränität) der Arbeit, die Selbstbestimmung (Arbeitnehmerrechte, Mitbestimmungsrechte) der Arbeitnehmerinnen, die Inklusion in die Arbeitsgesellschaft (Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und anderer Formen der Ausschließung) gehen, nicht um die Förderung des Ausstiegs aus der Arbeitsgesellschaft."

Inklusion: Na darauf haben wir gewartet: Inklusion in die alleinseligmachende (Zwangs-)Arbeitsgesellschaft. Wer dafür plädiert, der kann natürlich ein Grundeinkommen, dass ja gerade der Emanzipation von dieser Gesellschaftsform dienen soll, nicht befürworten (darauf dass Emanzipation und "Inklusion" oder "Integration" durchaus unverträgliche Begriffe sein können, wurde ja weiter oben bereits hingewiesen.)

"Wir sollten einen politischen, ökonomischen und sozialen Wandel organisieren, der den Frauen die gleichen Partizipationschancen im Arbeitsleben und unter gleichen Bedingungen öffnet und wir werden auch über die stärkere Integration der älteren Generationen jenseits des Ruhestandsalters in die Arbeitsgesellschaft der Zukunft reden müssen. Menschen leben in der Regel länger und besser, wenn sie in die Arbeitsgesellschaft auch in höherem Alter integriert bleiben."

Emanzipation bedeutet: etwas überwinden. Die ganze Emanzipation der Frau läuft aber bislang nicht auf Überwindung der durch das Patriarchat geschaffenen Strukturen hinaus, sondern lediglich auf deren Öffnung für das weibliche Geschlecht (bis auf weiteres bei etwas mieserer Bezahlung) und damit letztlich auf Ausweitung und Perpetuierung des Arbeitszwangs.

"Auf den Einwand, wie das denn angesichts des immer weiter zurückgehenden Arbeitsvolumens gehen soll, gibt es zwei Antworten, die sich kombinieren lassen: erstens eine tarifvertragliche und gesetzliche Strategie der Arbeitszeitverkürzung und zweitens das große Maß unbefriedigter kultureller und sozialer Interessen. Die Idee eines im großen und ganzen festen Potentials marktgängiger, das heißt nachfragerelevanter Interessen, die bei fortschreitender Rationalisierung mit einem immer geringeren Volumen an Arbeitszeit zu bewältigen sind, ist eine Chimäre.
Diesen Fundus gibt es nicht. Aber selbst wenn es ihn gäbe, könnte jeder gesamtwirtschaftliche Rationalisierungsgewinn durch eine korrespondierende Verkürzung des durchschnittlichen Arbeitsvolumens pro Kopf ohne Wohlstandseinbußen kompensiert werden."

Arbeitszeitverkürzung ist auch eine Form von Arbeitsreduktion und Arbeitsumverteilung - allerdings eine, die die Dominanz des Marktes unangetastet lässt und in der, die Arbeitenden nicht aus freien Stücken entscheiden können ob und wieviel sie arbeiten möchten. Dass man seine unbefriedigten sozialen und kulturellen Interessen evtl. auch außerhalb der Markt- und damit der Erwerbssphäre befriedigen könnte und dass manch einer das vielleicht auch will und diese Art der Befriedigung womöglich sogar als nachhaltiger oder tiefer empfindet und dass man seinen kulturellen Interessen womöglich dort am Meisten gerecht wird, wo man selbst Kultur produziert, kann sich der Kritiker offenbar nicht vorstellen, genausowenig, wie ihm der Gedanke, dass "Wohlstand" mehr als nur eine Frage der materiellen Versorgung sein könnte, allem Anschein nach nicht einmal ansatzweise in den Sinn kommt.

Alles in Allem: Änderungen ja - aber so, dass (strukturell) alles beim Alten, oben oben und unten unten bleibt. Also am liebsten nur solche Änderungen, die wirkliche Veränderungen auszuschließen geeignet sind.


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Nachtrag (15.06.2008)

Im Netz gefunden: pointierte Zusammenfassung des Aufsatzes.

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Mittwoch, 11. Juni 2008

Eigentum und Geld und Freiheit

oder:

Je mehr man sich leisten kann, desto weniger muss man selbst leisten.

Zur Abwechslung mal wieder etwas laenger. Und wie immer, wenn es etwas anstrengender wird, mit deutschen Umlauten.

1. Prolog


In einer komplexen zivilisierten Gesellschaft mit hochgradig differenzierter, funktionaler Arbeitsteilung mag schnell der Eindruck entstehen, es gäbe sehr große Unterschiede hinsichtlich des individuellen Leistungsvermögens der jeweiligen Mitglieder, die ihren gleichsam "natürlichen" Ausdruck in ungleicher Vermögensverteilung und der damit unvermeidlich einhergehender Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche finden und dass diese Unterschiede, als scheinbar "natürliche", ebenso unabänderlich seien, woraus folgt, dass die Verhältnisse so sind, wie sie sind, weil sie eben anders nicht sein können. Dieser Eindruck täuscht jedoch, denn die gravierenden Missverhältnisse liegen im Wesentlichen eben nicht in einem enormen Gefälle hinsichtlich des "angeborenen" Leistungsvermögens einzelner Menschen, sondern zum größten Teil in den gesellschaftlich bedingten Differenzen der jeweils von den Individuen vorgefundenen Ausgangslagen. Natürlich darf man annehmen, dass es auch Schwankungen und Unterschiede hinsichtlich dessen gibt, was einzelne Menschen "aus sich selbst heraus" oder "auf sich selbst gestellt" zu leisten vermögen; solche Annahmen sind aber von vornherein spekulativer Natur, denn als gesellschaftliches Wesen dockt jeder einzelne Mensch immer schon an die Vorleistungen anderer Menschen an und ist deshalb niemals vollkommen auf sich gestellt (Selbst Max Stirner [Der Einzige und sein Eigentum] behauptet nicht etwa, sich selbst auf sich gestellt zu haben, sondern sagt nur: "Ich hab mein Sach auf mich gestellt"). Und darum lassen sich aus irgendeiner hypothetisch angenommenen "natürlichen" Ungleichheit allein niemals die Einkommens- und Vermögensdifferenzen, wie sie in zivilisierten Gesellschaften gang und gäbe sind erklären, geschweige denn rechtfertigen. Darauf, dass die natürlichen Unterschiede des individuellen Leistungsvermögens im Grunde genommen marginal sein dürften, lässt sich auch aus alten Flächen- und Längenmaßen, wie z.B. "Ein Morgen Land" (entspricht der Ackerfläche die ein einzelner Bauer unter bestimmten Voraussetzungen an einem Morgen allein bearbeiten kann) oder auch: "Eine Wegstunde" usw. schließen. Damit dieses - an sich geringe - Gefälle aber deutlich wird, müssten eben auch die Ausgangslagen der einzelnen Individuen so gleich wie irgend möglich sein, was aber praktisch nur bei relativ naturnah lebenden (unzivilisierten) Gesellschaften der Fall sein kann. Die konkret vorgefundenen und teilweise enormen Differenzen der Ausgangslagen sind das Resultat vorgängiger Privatisierung von Ressourcen, deren gegenwärtige Rechtmäßigkeit sich in letzter Instanz auf bloße Faktizität stützt.


2. Zur Genese des bürgerlichen Eigentumsrechtes


Der bürgerliche Eigentumsbegriff ist ohne einige weitere Begriffe wie Arbeit, Erwerb, Vertrag und Freiheit kaum zu erklären.

2.1 Arbeit


Dass die Quelle allen materiellen Reichtums die Arbeit ist und damit die beständige von menschlichem Geist intendierte Transformation des in der Welt je vor-Gefundenen in Manifestationen menschlichen Geistes und Geschickes, steht ganz außer Frage. So ist die Arbeit freilich zunächst "nur" die Quelle gesellschaftlichen Reichtums oder vielleicht besser: gesellschaftlichen Wohlstands, denn es fehlt vorerst das dialektische Gegenstück zum Reichtum: die Armut. Besonderer privater Reichtum lässt sich allein durch eigene Arbeit nicht ansammeln, dazu bedarf es der Möglichkeit, sich über das eigene Arbeitsprodukt hinaus noch Überschüsse aus fremder Arbeit anzueignen und hierzu bieten sich (vom Glück mal abgesehen) drei Möglichkeiten: Gewalt, List und Liebe (oder liebende Sorge). Nicht ohne Grund sagt der Volksmund: "Durch Arbeit ist noch niemand reich geworden", aber auch: "Und ist der Handel noch so klein, bringt er doch mehr als Arbeit ein." Damit ist das Wesentliche bereits ausgesprochen: Reichtum kann nicht erarbeitet, sondern er will erworben werden. Und damit haben wir schon so etwas wie einen Unterschied zwischen eigentlicher Arbeit und Erwerbsarbeit (oder - was vielleicht treffender ist: Erwerbstätigkeit) angedeutet.

2.1.1 Erwerbsarbeit

Von Erwerbsarbeit sprechen wir gemeinhin, wenn mit der Produktion notwendig ein Handel verbunden ist, wenn also das Nahziel der Produktion darin besteht, eine Ware herzustellen, die als solche gegen andere Waren eingetauscht werden soll. Mit anderen Worten: wenn wir nicht unmittelbar, sondern mittelbar für die Befriedigung unserer eigenen Bedürfnisse arbeiten. Ab dem Augenblick, von dem an das vorwiegend der Fall ist, wird die Distribution und - in der Marktwirtschaft - damit der Handel ein wesentliches Moment aller produktiven Tätigkeiten. Wer ausschließlich oder vorzugsweise für fremden Bedarf produziert, ist nicht länger nur Produzent oder nur Arbeiter, er muss zugleich immer auch als Händler auftreten. In dieser Funktion liegt nun der Schlüssel zum "gewaltfrei" und rechtmäßig enstehenden sozialen (Miss-)Verhältnis von Armut und Reichtum: wem es gelingt, den anderen davon zu überzeugen, dass die angebotene Ware einen höheren Einsatz an dessen eigener Tätigkeit "wert" ist (was nicht ausdrücklich zur Sprache gebracht werden muss und im Normalfall auch nicht zur Sprache gebracht wird), als er selbst dafür aufwenden musste, der mehrt seine eigenen Überschüsse auf Kosten des Gegenübers. Habe ich mir z.B. ein Produkt durch eine vierstündige Tätigkeit angeeignet und tausche dieses gegen ein anderes Produkt für dessen Aneignung der Produzent sechs Stunden Arbeit aufwenden musste (unter Annahme gleicher Nebenkosten), dann hat mein Tauschpartner zwei Stunden Arbeit für mich (bzw. für mein Eigentum) gearbeitet. Wo nur noch für die Warenproduktion und und praktisch nicht mehr für die unmittelbare Eigenbedarfsdeckung gearbeitet wird, da muss - das liegt auf der Hand - jedes Mitglied der Gesellschaft (auch) als Händler fungieren. Die verbürgerlichte Erwerbsgesellschaft ist mithin eine Gesellschaft von Klein- und Kleinstkrämern, von denen die bei weitem meisten nur eine einzige und bei jedem gleichermaßen vorrätige Ware anzubieten haben: ihre je eigene Arbeitskraft.

2.2 Eigentum


Dass es Eigentum überall gibt, wo es Menschen gibt, bedarf eigentlich keiner besonderen Erörterung. Allerdings ist es durchaus der Rede wert, dass unter Eigentum keineswegs überall und zu jeder Zeit das Gleiche zu verstehen ist; kurz: dass es unterschiedliche Eigentumsformen gibt, gegeben hat und geben wird. Außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft finden wir die Begriffe "Besitz" und "Eigentum" vielfach gleichbedeutend gebraucht, doch gerade in der scharfen begrifflichen Unterscheidung von Eigentum und Besitz liegt eines der wesentlichen Merkmale des bürgerlichen Eigentumsbegriffes. Vereinfacht gesagt besteht dieser Unterschied darin, dass etwas mein Eigentum sein kann, das nicht in meinem Besitz ist - ja, das ich womöglich nie gesehen habe und nie sehen werde, über das ich dennoch uneingeschränkt verfügen, mit dem ich nach Belieben verfahren und von dessen Gebrauch ich andere ausschließen darf. Hegel hat es auf den Punkt gebracht: "Die äußerliche Inbesitznahme ist unvollkommen, unvollständig überhaupt. - Mensch nimmt in Besitz, hat Eigentum - als denkender Mensch."
G.F.W. Hegel. Werke in zwanzig Bänden. 7 - Grundlinien der Philosophie des Rechts. Suhrkamp Verlag. FfM. 1982. S. 120.

Dieses bürgerliche Eigentum, mit dem wir uns hier vorzugsweise befassen wollen, hat sich zu seiner derzeitigen Form seit etwa dem 17. Jahrhundert entwickelt; es wurzelt also in einer Zeit, in der der Wandel von feudalen zu absolutistischen Verhältnissen seinem Ende entgegen ging und das aufstrebende Bürgertum sich mit den Königen im Kampf gegen den Feudaladel verbündet hatte. Der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) postulierte, sich dabei auf "Natur" und "Vernunft" berufend, in seinem Werk "Leviathan" für den im "Naturzustand" lebenden Menschen ein unbeschränktes Aneignungsrecht, das sogar die Aneignung anderer Menschen noch einschloss:

"Und weil sich die Menschen [...] im Zustand des Krieges eines jeden gegen jeden befinden, was bedeutet, das jedermann von seiner eigenen Vernunft angeleitet wird, und weil es nichts gibt, das er nicht möglicherweise zum Schutz gegen seine Feinde verwenden könnte, so folgt daraus, daß in einem solchen Zustand jedermann das Recht auf alles hat, selbst auf den Körper eines anderen. Und deshalb kann niemand sicher sein, solange dieses Recht eines jeden auf alles besteht, die Zeit über zu leben, die die Natur dem Menschen gewöhnlich einräumt, wie stark und klug er auch sein mag. Folglich lautet eine Vorschrift oder allgemeine Regel der Vernunft: Jedermann hat sich um Frieden zu bemühen, solange dazu Hoffnung besteht. Kann er ihn nicht herstellen, so darf er sich alle Hilfsmittel und Vorteile des Kriegs verschaffen und benutzen. Der erste Teil dieser Regel enthält das erste und grundlegende Gesetz der Natur, nämlich: Suche Frieden und halte ihn ein. Der zweite Teil enthält den obersten Grundsatz des Naturrechts: Wir sind befugt, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen."
Thomas Hobbes. Leviathan. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1978. S.110f.


Angemerkt sei noch, dass der Hobbesche Begriff der "Freiheit" - über die an anderer Stelle noch zu sprechen sein wird - ein eher negativer war, da Hobbes unter Freiheit lediglich die Abwesenheit von äußeren Hindernissen verstand.
John Locke (1632-1704), sah das etwas anders und schränkte dieses Recht wieder ein:

"Es ist völlig klar, daß Gott, wie König David sagt [...]'die Erde den Menschenkindern gegeben' hat, also der Menschheit insgesamt. [...] Ich will [...] zu zeigen versuchen, wie es dazu kommen konnte, zu einem Eigentum zu gelangen, was Gott den Menschen insgesamt zugeteilt hat, ohne daß es hierzu eines ausdrücklichen Vertrages mit allen anderen Menschen bedurfte.
[...]
Die Erde und alles, was darin ist, ward den Menschen in ihrer Gesamtheit zu ihrem Unterhalt und Wohlsein gegeben. Und obgleich alle Früchte, die sie auf natürlichem Wege hervorbringt, und alle Tiere die sie ernährt, der Menschheit insgesamt gehören, [...], muß doch das, was dem Menschen zu seinem Gebrauch gegeben wurde auf diese oder jene Weise erst einmal angeeignet werden, bevor es verwendbar und überhaupt nutzbringend für irgendeinen bestimmten Menschen wird.
[...]
Obgleich die Erde und alle niederen Geschöpfe der Menschheit insgesamt gehören, hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner Person. Darauf hat niemand ein Anrecht als er selbst. Die Arbeit seines Leibes und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigentlichen Sinne sein eigen. Was immer er also aus dem Zustand entfernt, indem die Natur es geschaffen und belassen hat, wird dadurch, daß er es mit seiner Arbeit vermischt und ihm etwas ihm Eigenes zugesellt hat zu seinem Eigentum. Indem es durch ihn aus dem Grundzustand entfernt wird, [...] ist ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefügt worden, das das gemeinschaftliche Anrecht anderer Menschen darauf ausschließt.
[...]
Die Arbeit, die mein war [...] hat mein Eigentumsrecht [...] fest begründet."
John Locke. Abhandlung über den wahren Ursprung, Umfang und Zweck des staatlichen Gemeinwesens. Kapitel V. Über das Eigentum. In: Bürgerliche Gesellschaft und Staatsgewalt.Verlag Philipp Reclam. Leipzig 1980. S. 115ff.


Indem der Mensch der Natur als Verfügender dem Verfügbaren gegenübergestellt wird, ist er von der Inbesitznahme durch andere Menschen ausgeschlossen, er ist (hier: positiv) frei und mehr noch: da er etwas von sich selbst dem Produkt seiner Arbeit hinzugefügt hat, wird dieses Produkt im Gegenzug quasi seiner Person hinzugefügt. Aneignen, "sich etwas zu eigen machen", das wird hier verstanden, als etwas zum integralen Teil der je eigenen Person werden lassen. Und dieser erarbeitete, äußerliche Teil der Person gilt nun als ebenso unantastbar, wie die natürliche Person selbst, kann aber aus freiem Willen vom Eigentümer aufgegeben oder übertragen werden. - Vom Eigentum als Teil einer Person, so scheint mir, ist es dann nur noch ein kleiner Schritt dahin, das abgelöste Eigentum selbst zur ("juristischen") Person zu erklären (GmbH, AG usw.). Dass der angeeignete Teil der Person dennoch nicht untrennbar mit dieser verbunden ist, ergibt sich gleichsam von selbst, wenn man sich vergegenwärtigt, dass er mit dem Tod des Eigentümers (also der Auflösung des "natürlichen" Eigentums - der Person) nicht auch untergeht.

Ferner setzt Locke dem Eigentum zunächst feste Grenzen:

"Man wird vielleicht hiergegen einwenden, daß falls das Sammeln der Eicheln oder anderer Früchte der Erde usw. ein Recht auf sie begründe, dann jedermann soviel davon anhäufen koenne, wie er wolle. Darauf antworte ich: Mitnichten. Dasselbe Naturgesetz, das uns in dieser Weise Eigentum gibt, hält dieses Eigentum auch in Grenzen. 'Gott gibt uns reichlich allerlei zu genießen' (Neues testament, 1. Brief des Paulus an Timotheus, 6;17) spricht die durch die Offenbarung bekräftigte Stimme der Vernunft. Wozu also gibt er uns? Um es zu genießen! Jeder darf sich durch seine Arbeit nur soviel aneignen, wie er zum Vorteil für sein Leben nutzen kann, ehe es verdirbt. Alles was darüber hinausgeht, ist mehr, als ihm zusteht und gehört anderen. Gott hat nichts geschaffen, damit es durch Menschen verschwendet und vernichtet werde."
John Locke. Abhandlung über den wahren Ursprung, Umfang und Zweck des staatlichen Gemeinwesens. Kapitel V. Über das Eigentum. In: Bürgerliche Gesellschaft und Staatsgewalt.Verlag Philipp Reclam. Leipzig 1980. S. 118.


Wie gesagt: "zunächst", denn - Gott sei's gedankt! - findet sich ein Ausweg aus dieser, den Weg zum grenzenlosen privaten Reichtum verstellenden Misere: das Gold. Gold verdirbt nicht und kann und darf deshalb unbegrenzt gehortet werden:

"Die Natur hat das Maß des Eigentums durch die Reichweite menschlicher Arbeit und die Lebensbedürfnisse der Menschen sinnvoll festgelegt. Niemandes Arbeit konnte sich alles untertan oder zu eigen machen, [...]. Dieses Maß hielt jedermanns Besitzanteil innerhalb sehr beschränkter Grenzen.
[...]
ich wage mit aller Entschiedenheit die kühne Behauptung, daß eben diese Eigentumsregel, wonach jeder Mensch soviel haben soll wie er verwenden kann, auch heute noch auf der Welt Bestand hätte - und zwar ohne daß irgend jemand dafür etwas einbüßen würde, da es auf der Welt Land für doppelt soviele Bewohner gibt - hätten nicht die Erfindung des Geldes und die stillschweigende Übereinkunft der Menschen, ihm einen Wert beizumessen, (mit allgemeiner Zustimmung) größere Besitztümer und einen Rechtsanspruch auf diese entstehen lassen.
[...]
Am Anfang - ehe der Wunsch, mehr als das dem Menschen Erforderliche zu besitzen, den inneren, nur auf die Nützlichkeit für das menschliche Leben bezogenen Wert der Dinge verändert hatte oder die Menschen übereingekommen waren, daß ein Stückchen gelben Metalls, das weder der Abnutzung noch dem Verschleiß unterworfen wäre, ein großes Stück Fleisch oder einen ganzen Haufen Korn wert sein sollte - konnte das, was Menschen sich, und zwar jeder für sich und nur soviel, wie sie zu nutzen vermochten, von den Dingen der Natur durch ihre Arbeit anzueignen berechtigt waren, nicht sehr viel sein oder den anderen zum Nachteil gereichen, da ihnen noch immer der selbe Reichtum offenstand, sofern sie den selben Fleiß aufbrachten. Dazu möchte ich noch anfügen, daß, wer sich durch seine Arbeit Land aneignet, den gemeinsamen Vorrat der Menschen ja nicht verringert, sondern vielmehr vergrößert."

John Locke. Abhandlung über den wahren Ursprung, Umfang und Zweck des staatlichen Gemeinwesens. Kapitel V. Über das Eigentum. In: Bürgerliche Gesellschaft und Staatsgewalt.Verlag Philipp Reclam. Leipzig 1980. S. 121f.


Ähnlich wie später Marx identifiziert bereits Locke die Arbeit als den eigentlichen Quell aller Werte. Diese Feststellung dient ihm allerdings vornehmlich als Apologie bürgerlichen Expansionsdranges, denn das "Eigentum aus Arbeit" erlangt ihm zufolge

"größere Bedeutung [...] als das gemeinsame Eigentum an Land. Denn tatsächlich ist es doch die Arbeit, die jedem Ding seinen unterschiedlichen Wert gibt. Man bedenke welchen Unterschied es macht, ob ein Morgen Land mit Tabak oder Zucker bepflanzt, mit Weizen oder Gerste besät wird oder ob er als Gemeindeland unbewirtschaftet bleibt, und man wird feststellen, daß die Veredelung durch Arbeit den weitaus größten Teil des Wertes ausmacht. Ich halte es für eine nur sehr maßvolle Schätzung, wenn ich sage, daß die für das menschliche Leben nützlichen Erzeugnisse der Erde zu neun Zehnteln das Ergebnis von Arbeit sind. Ja, wenn wir die Dinge so wie sie in unseren Gebrauch gelangen richtig veranschlagen und eine Rechnung darüber aufmachen, was davon einzig der Natur und was unserer Arbeit entspringt, so werden wir feststellen, daß die meisten von ihnen zu neunundneunzig Prozent allein auf das Konto der Arbeit gehen."
John Locke. Abhandlung über den wahren Ursprung, Umfang und Zweck des staatlichen Gemeinwesens. Kapitel V. Über das Eigentum. In: Bürgerliche Gesellschaft und Staatsgewalt.Verlag Philipp Reclam. Leipzig 1980. S. 125f.


Damit dürfen implizit sowohl die Landnahme englischer Siedler in überseeischen Kolonien, als auch die "Einhegungen" (enclosures) auf den britischen Inseln selbst, als gerechtfertigt angesehen werden. Es reicht nach bürgerlichem Verständnis nicht hin, über das Land zu laufen und "Eicheln zu sammeln" um Eigentum an ihm zu erwerben - es muss auch Spuren der Bearbeitung aufweisen um als besonderes Eigentum Anerkennung zu finden und andererseits verschafft die sichtbare Nutzung (Bearbeitung) eben dieses Eigentum auch über solches Land, das längst in anderer Weise arbeitend genutzt wird. Welche vorzügliche Wichtigkeit man dieser Definition beimaß zeigt, "[d]ass sogar ein aufgeklärter Mann wie Benjamin Franklin sagte, man solle im Rum ein Geschenk der Vorsehung sehen, das dazu diene, 'diese Wilden auszurotten und für jene Platz zu machen, die die Erde kultivierten'."
Peter Farb. Die Indianer. Verlag Fritz Molden. Wien - München - Zürich 1971. S.297.

Im Laufe des 19. Jahrhundert

"entwickelte sich die Vorstellung vom bürgerlichen Eigentum als eines nach Belieben des Inhabers zu seinem Vorteil einzusetzenden Rechtes. Der gemeinrechtlichen Pandektenrechtsdoktrin gelang es in den Quellen des römischen Rechts das bürgerliche Eigentum nachzuweisen und ihm damit eine zeitüberdauernde historische Würde zu verleihen. Das war allerdings nur bei selektiver Verwendung der Quellen und gründlicher Verkennung der ganz anderen gesellschaftlichen Zusammenhänge zur Zeit der Entstehung der klassischen Rechtsquellen möglich."
Hartmut Rittstieg. Eigentum als Verfassungsproblem. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt. 1975. S. 205


Bleibt noch anzumerken, dass auch das ausschließende Erbrecht, das für uns die "normalste Sache der Welt" zu sein scheint, alles andere als "natürlichen" Ursprungs oder seit je und überall ausgeübter Brauch ist. Davon legen Grabfunde die zeigen, dass man Verstorbenen in früheren Zeiten vielfach ihre gesammte Habe - mitunter sogar Sklaven und Ehefrauen mit ins Grab gab, beredtes Zeugnis ab. In anderen Kulturen ist (oder war) es teilweise üblich, die gesammte Habe des Verstorbenen - einschliesslich seines Hauses oder seiner Hütte nach seinem Ableben zu verbrennen. Soviel in aller gebotenen Kürze zu rechtsphilosophischen und rechtsgeschichtlichen Hintergründen.

2.3 Exkurs: Andere Formen des Eigentums


So ziemlich alle bekannten "jungen" Kulturen (Nicht: Zivilisationen!) zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen das Privateigentum an Grund und Boden unbekannt ist. Das gilt auch für die frühen Kulturen des Abendlandes. Wo der Boden nicht gemeinschaftlich bewirtschaftet wurde, da wurde er "verlost". Im alten (vorklassischen) Griechenland erhielt jeder erwachsene Mann bei der Familiengründung ein Stück Land, das groß genug war, ihn und seine Familie zu ernähren, aus dem "Pool" der Gemeinde. Bei seinem Ableben konnte er dieses Stück Land jedoch nicht an seine Nachkommen vererben, sondern es fiel an die Gemeinschaft zurück um erneut "verlost" zu werden. In frühen Phasen des sich entwickelnden Eigentumsrechtes war es immer noch strikt verboten, das Land, das einem einmal zugesprochen worden war, zu veräußern. Diese Vorschriften wurden wahrscheinlich durch zunehmenden Bevölkerungsdruck und daraus resultierender fortschreitender Zersplitterung der Parzellen zunächst unterlaufen und später ganz außer Kraft gesetzt.

Nordamerikanische Indianer entwickelten zum Teil - unter europäischem Einfluss - eine besondere Form des "Privateigentums" an Grund und Boden:

"Eigentumsverletzung war dann gegeben, wenn jemand das Revier eines anderen betrat - doch nur dann, wenn er Felle zu Verkaufszwecken gewinnen wollte. Betrat er das fremde Revier um zu fischen, Beeren zu sammeln oder einen Baum für den Bau eines Kanu zu entrinden, stellte dies keine Eigentumsverletzung dar. Das heißt die Produkte des Landes waren immer noch gemeinsamer Besitz. Eigentumsverletzung bezog sich nur auf die Felle, die den weißen Händler interessierten. Ein Indianer durfte im fremden Revier sogar einen Biber töten, wenn er hungrig war, doch das Fell mußte er dem Revierbesitzer aushändigen. Das Revier ist kein Beweis für ein angeborenes Streben nach Besitz, nicht einmal auf dem primitiven Niveau der Sippe. Es ist lediglich ein Beweis dafür, wie eine eher lockere und flexible gesellschaftliche Organisation einer Herausforderung begegnen und sich anpassen kann."
Peter Farb. Die Indianer. Verlag Fritz Molden. Wien-München - Zürich 1971. S.84.


Im und während des Feudalismus waren

"[w]esentliche Ansatzpunkte der Herrschaft [...] Rechte an Grund und Boden, der neben der Arbeit bis in das 19. Jahrhundert hinein im größeren Teil Europas der entscheidende Produktionsfaktor war. Es gab kein Bodeneigentum im Sinne des modernen Eigentumsbegriffes, d.h. einer zum Ausschluß Dritter berechtigenden, willkürlichen Verfügungsgewalt. Für das mittelalterliche Rechtsdenken standen vielmehr konkrete, gewachsenen Rechte im Vordergrund, die vielfach gleichzeitig mit der Verfügung über den Bodenertrag die Herrschaft über seine Bewohner zur Folge hatten, aber durch Pflichten gegenüber dem Lehnsgeber einerseits und gegenüber den Bewohnern andererseits begrenzt waren."
Hartmut Rittstieg. Eigentum als Verfassungsproblem. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt. 1975. S. 3


3. Eigentum und Freiheit


Für die Möglichkeit rechtmäßigen Erlangens von Reichtum in der bürgerlichen Gesellschaft sind folgende Punkte von zentraler Bedeutung:
  • Vertrag(srecht)
  • exkludierendes (ausschließendes) Eigentumsrecht
  • die daraus resultierende Freiheit der Person als Eigentümer (seiner selbst)
  • exkludierendes Erbrecht


Das bürgerliche Recht gründet sich - wie gezeigt - wesentlich auf die Übereinkunft (den Vertrag), dass jedes Individuum ein andere ausschließendes Recht auf das Eigentum zunächst an seiner eigenen Person und damit auf das ebenfalls ausschließende Recht auf die durch die Tätigkeit (Arbeit) dieser Person hervorgebrachten Güter und sodann auf das Recht zur Übertragung dieser Güter durch Vertrag - und damit das Recht auf Aneignung und Veräußerung von Eigentum an Gütern, die nicht der eigenen Arbeit zu verdanken sind. Man sieht, warum der Vertrag an erster Stelle steht und nicht das Recht auf Eigentum:
  • der Vertrag sichert zunächst das Recht auf exkludierendes Eigentum überhaupt, bzw. begründet es durch die Zusicherung der Gegenseitigkeit und
  • durch den Vertrag kann das Eigentumsrecht modifiziert werden.


Dass der Vertrag dabei das Eigentum bzw. die Autonomie immer schon implizit voraussetzen muss, ist ein bekannter Schönheitsfehler, der hier nicht weiter diskutiert werden kann.

In der Fassung der Unverletzlichkeit (also Freiheit) der eigenen Person (also des eigenen Lebens) als Unverletzlichkeit eines Eigentums wird die ganze Gesellschaft - unabhängig davon ob die einzelnen Mitglieder überhaupt irgendwelche materiellen Güter besitzen - zu einer Gesellschaft von freien Eigentümern a priori erklärt. In dieser Hinsicht (als Eigentümer) sind alle gleich - und demzufolge - das kann nun unterstellt werden - müssen auch ihre Interessen als Eigentümer gleich sein, da das Eigentum zugleich Garant ihrer Freiheit ist. Hier werden also drei Begriffe, die im Grunde nichts miteinander zu tun haben zu einem Einzigen verschmolzen und Freiheit, Leben und Eigentum werden als geradezu so unzertrennlich zusammenhängend gedacht, wie die drei Quarks im Proton eines Wasserstoffatoms.

Ich halte es für überaus leichtfertig, Freiheit und Eigentum dergestalt zu verknüpfen und zu fast schon synonymen Begriffen, wie es etwa bei den Paläo-Neo-Liberalen der Fall zu sein scheint, zu machen und zwar besonders dann, wenn davon abgesehen wird, unter verschiedenen Formen des Eigentums zu unterscheiden, sondern diese sogar implizit gleichzusetzen. Es sind diese: Eigentum an der eigenen Person (historisch, wie gezeigt, alles andere als eine Selbstverständlichkeit), Eigentum an existentiellen Gütern und Dingen des täglichen Bedarfs, der Kultur, Bildung etc. und endlich Eigentum an Produktionsmitteln. Das einzige Eigentum, das der Freiheit anderer von vornherein Schranken setzt - und zwar mit Notwendigkeit -, ist das Letztgenannte. Es ist darüber hinaus dasjenige, das ein konkretes Machtmittel darstellt und geeignet ist, die "Freiheit" (hier: zur Macht) einzelner oder weniger Individuen auf Kosten der Übrigen zu befestigen und zu vergrößern, denn die scheinbare Privatangelegenheit wird hier unausweichlich zum Gegenstand öffentlichen Interesses und hätte ohne dieses Interesse keinen Bestand. Das tatsächlich rein private Eigentum an einem "Eigen"heim (oder das eigene Auto z.B.) kann solches nicht leisten. Im Gegenteil: es zwingt sogar zu verstärkter Anpassung und Aufgabe gewisser Freiheiten - es bindet.

Sich etwas aneignen, heißt, wie bereits angemerkt, in der geltenden Fassung des Eigentumsrechts: anderen den Zugang dazu zu verwehren oder diesen Zugang kontrollieren zu dürfen, im Falle hoher Eigentumskonzentration also: Macht über andere auszuüben, und zwar nicht demokratisch legitimierte Macht - wenn sie auch prinzipiell demokratisch reguliert sein sollte, was faktisch aber bloß ein Lippenbekenntnis ist. Wo es sich bei diesem Aneignen nicht um Güter von existentieller Bedeutung für die Allgemeinheit handelt, mag ein solches Recht noch angehen. Die kapitalistische Wirtschaftsweise basiert aber gerade auf dem Prinzip der forcierten Aneignung von allgemein benötigten Ressourcen durch Minderheiten, wobei die besitzlose Allgemeinheit diesen Ressourcen einfach zugeschlagen wird (Humankapital, Arbeitsmarkt).

4. Eigentum und Demokratie


Nach dem vorstehend skizzierten ist wohl kaum noch zu übersehen, dass die gegenwärtig gegebenen Eigentumsverhältnisse nicht aus demokratischen Verfasstheiten hervorgegangen sind. Sie haben - wie gezeigt wurde - ihren Ursprung im Spätfeudalismus und waren zunächst vor allem der Durchsetzung des Absolutismus dienlich. Die - nachgereichte - politische Demokratie hat es seit je versäumt, das zu berücksichtigen; das ist ein wesentliches Manko, das sich zunehmend zu rächen scheint. Wenn man eine solche Ideologie des faktisch uneingeschränkten Rechts zur Akkumulation konsequent zu Ende denkt, dann wird man feststellen, dass auch die Aneignung aller Ressourcen durch eine einzige Person durchaus rechtmäßig wäre. Ganz "blind" gegenüber diesem Problem ist die Demokratie allerdings nicht, siehe GG Artikel 14, demzufolge Enteignung ein rechtmäßiges demokratisches Mittel ist, das allerdings sehr selten angewandt wird, und wenn, dann seltsamerweise häufig gerade da, wo es in erster Linie um (privat-)wirtschaftliche Interessen geht (z.B. Braunkohlenabbau) und eher selten im Dienste des Gemeinwohls. "Enteignung" ist sowieso ein nicht gerade präziser (wenn nicht: sophistischer) Begriff. Er unterstellt nämlich, dass die Enteigneten hernach vollkommen besitzlos wären, was aber nicht der Fall ist, sie besitzen nur keinen überproportionalen Anteil an Machtmitteln mehr.

Ein Grundproblem aller existierenden demokratischen Staaten findet sich also allem Anschein nach in dem Umstand, dass bei deren Gründung davon abgesehen wurde, die unter feudalen Verhältnissen gewachsenen Strukturen radikal zu "demokratisieren", so dass es im Folgenden zwar zu einer formellen, nicht aber zu einer substantiellen Neuordnung gekommen ist. Vieles in unserer Rechtsprechung ist nicht aus "demokratischem Geist" geschöpft, sondern aus vordemokratischen Gepflogenheiten übernommen und lediglich auf ein verändertes Machtgefüge (Bourgeoisie statt - oder zunächst plus - Adel) angepasst worden. D. h. es ging vornehmlich darum, die vorgefundenen Strukturen soweit umzubilden, dass das wirtschaftlich bereits dominante Bürgertum als neu entstandenes Element in ihnen einen Platz an beherrschender Stelle finden konnte. Dieser Akt der Emanzipation des Bürgertums konnte freilich nur unter Einbeziehung und Teilemanzipation auch der unteren Klassen gelingen. Und diese Teilemanzipation der breiten Massen ging dann auch gerade soweit, dass die personale Gewalt des Adels über sie gebrochen wurde, sie aber den herrschenden Klassen, zu denen das Bürgertum nun aufgestiegen war und die auch weiterhin nur jeweils ca. 5% der Gesamtbevölkerung ausmachten, als ausbeutbares Arbeitskräftereservoir weiter zur Verfügung standen.

4.1 Exkurs: Was ist Demokratie?


Unter Demokratie verstanden wird gemeinhin die Herrschaft über das Volk durch das Volk selbst. In dem, was wir als "real existierende Demokratie" - auch repräsentative Demokratie genannt - kennen, ist davon freilich nicht viel aufzufinden. In Wirklichkeit herrscht nach wie vor nicht das Volk, sondern es darf lediglich seine Herrscher wählen, wobei das Angebot an Kandidaten oft recht eingeschränkt, auf jeden Fall aber schon innerhalb bestimmter Gruppen (Parteien) preselektiert ist, und bekommt in regelmäßigen Intervallen die Möglichkeit, diese Wahl zu widerrufen und sich eine andere Herrschaft zu wählen. Ob diese Wahl nun auf Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht beruht, ist zunächst von relativ untergeordneter Bedeutung, ebenso wie die Frage, ob es sich um eine parlamentarische oder eine präsidiale Demokratie handelt. Wäre das anders, so könnten wir Frankreich, Großbritannien oder die USA z.B. gar nicht als demokratisch verfasste Staaten anerkennen. D. h.: was sich Demokratie nennen darf, ist alles andere als eindeutig definiert.

Das Grundprinzip der "real existierenden Demokratie" kann nach gängiger Auffassung wohl als erfüllt gelten, solange das Volk in der Lage bleibt, die einmal an Personen oder Parlamente delegierte (besser: "verliehene") Macht wieder "zu kassieren". Was allerdings grundsätzlich ausgeschlossen bleibt, ist die Möglichkeit, diese Macht - wenn einmal entzogen - nicht sofort wieder zu verleihen. Wollte das Volk die Macht "bei sich" behalten, wäre es paradoxerweise die Macht los.

Als ein zentraler Wert der Demokratie gilt neben der Würde des Menschen die Freiheit, und zwar die größtmögliche Freiheit eines jeden Einzelnen. (Nach Immanuel Kant ist die Freiheit übrigens eine der drei sogenannten "Vernunftideen" (Gott, Freiheit, Unsterblichkeit) also: ein metaphysischer Begriff, ein Begriff an den man glauben darf.) Diese Freiheit kann aber nicht grenzenlos sein, da sie spätestens am Freiheitsanspruch des "Nächsten" ihre erste Hürde finden muss. Damit diese konkurrierenden Freiheitsansprüche nicht in partikulare Machtansprüche und Machtkämpfe kippen, muss zur Freiheit die Ordnung treten. Die Ordnung, so unverzichtbar sie ist, kann aber niemals den gleichen Rang einnehmen wie die Freiheit. Sie soll ein Höchstmaß an (allgemeiner individueller) Freiheit ja erst ermöglichen und sichern. Die Koexistenz von Freiheit und Ordnung ist also ebenso notwendig wie problematisch. Jede Ordnung schränkt Freiheit ein, indem sie Wahlmöglichkeiten reduziert und ist andererseits Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine Wahl getroffen werden kann. Ernst Bloch hat das sehr pointiert um Ausdruck gebracht:

"Nur der Wille Freiheit hat einen Inhalt, der Logos Ordnung hat keinen eigenen Inhalt; mit anderen Worten: das Reich der Freiheit enthält nicht wieder ein Reich, sondern es enthält die Freiheit oder jenes Fürsichsein, zu dem hin einzig organisiert und geordnet wird."
Ernst Bloch. Das Prinzip Hoffnung Bd.2 Suhrkamp FfM 1973. S.620


"Konkretes Freisein ist Ordnung als die seines eigenen Felds, konkretes Geordnetsein ist Freiheit als die seines einzigen Inhalts."
Ernst Bloch. Das Prinzip Hoffnung Bd.2 Suhrkamp FfM 1973. S.621


Ordnung hat also vornehmlich die Aufgabe die Freiheit zu garantieren und zu befördern, ist der Freiheit jedoch (Vorsicht: Paradox) nachgeordnet. Auf die Demokratie übertragen könnte man also sagen: Im Begriff Demokratie drückt sich der "Wille Freiheit" aus, im Begriff Verfassung hingegen der "Logos Ordnung". Die geordnete Freiheit erfährt ihren stärksten Ausdruck vielleicht in der Aufgabe jeglicher individueller Freiheit zur Gewalt zugunsten des Staatlichen Gewaltmonopols. So wird aus der Freiheit zur, die Freiheit von Gewalt. Die monopolisierte staatliche Gewalt hat nur mehr einen Zweck: die individuelle Gewaltausübung in Schach zu halten und ihr ggf. entgegenzutreten. Idealiter würde sie mit der Abschaffung jeglicher ausgeübter Gewalt zusammenfallen. Theoretisch ist vorgesehen, dass in einer demokratisch verfassten Gesellschaft jeder Mensch (soweit er als "Bürger" gilt) jeden Platz in deren Strukturen einnehmen kann, faktisch sind wir davon vielleicht weiter entfernt als je zuvor. Dieses Problem ist alles andere als neu und nicht erst seit gestern bekannt. Zu einem guten Teil ist es womöglich der bereits angesprochenenunseligen Verschmelzung der Begriffe Freiheit, Leben und Eigentum zu verdanken. Eine Synthese deren Fehlerhaftigkeit gar nicht erst zur Sprache gebracht wird. Dazu noch einmal Hartmut Rittstieg:

"Die in vorindustrieller Zeit geprägten Formeln über den Zusammenhang von Eigentum, Freiheit und menschlicher Persönlichkeit werden in immer neuen Variationen gleichsam axiomatisch verwendet, ohne daß ihre Tragfähigkeit unter den Bedingungen der Industriegesellschaft geprüft wird. Ungeprüft bleibt auch ihr Bestand vor den erst später akzeptierten Postulaten der politischen Demokratie und der Sozialstaatlichkeit."
Hartmut Rittstieg. Eigentum als Verfassungsproblem. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt. 1975. S. XIV.


Anmerkung: Ein weiterer (umstrittener) Begriff ist der Begriff der Gleichheit - zumindest in Bezug auf Freiheit muss aber Gleichheit gegeben sein (bzw. gewährleistet werden). Wird aber die Freiheit (wie gezeigt) mit dem dem Eigentum verschmolzen, dann folgt daraus eigentlich, dass die Gleichheit auch hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse gefordert werden müsste.

5. Noch einmal: Leistung


Was ein einzelner Mensch zu leisten in der Lage ist, hängt von folgenden Faktoren ab:
  • von den vorhandenen materiellen und imateriellen (intellektualen) Ressourcen
  • von den persönlichen Fähigkeiten diese Resourcen zu "verarbeiten" d.h. sie in etwas anderes zu verwandeln, das dann seinerseits wieder zur Ressource weiterer Transformationen werden kann.
  • von Möglichkeiten der Kommunikation und Kooperation, die es z.B. ermöglichen, dass die Idee eines Menschen, die dieser - aus welchen Gründen auch immer - nicht selbst realisieren kann, von anderen Menschen in die Tat umgesetzt wird. Wobei viele Ideen überhaupt erst infolge eines kommunikativen Prozesses entstehen können. Kommunikationen haben eine horizontale (räumliche) und eine vertikale (zeitliche) Richtung. Die horizontaleAusdehnung entscheidet über die Möglichkeiten des Austausches unter gleichzeitig lebenden Menschen. Die vertikale Ausdehnung entscheidet über den Umfang des Zugriffs auf vorgängige Kommunikationen. Die verfügbaren Resultate vorgängiger Transformationen und Kommunikationen gehen damit in den Fundus verwertbarer Ressourcen ein. Und das bedeutet: sowohl materielle als auch geistige Ressourcen lassen sich noch einmal in (natürlich) vorgefundene und (gesellschaftlich) hervorgebrachte unterteilen.
  • von der Möglichkeit des Zugriffs auf vorhandenen Ressourcen. Das bedeutet: auf niedriger Entwicklungsstufe ist vorwiegend die vorgefundenen Beschaffenheit der natürlichen Umwelt von entscheidender Bedeutung, die auf entwickelter Stufe mit räumlich erweiterten Zugriffsmöglichkeiten hingegen zunehmend durch die sich herausbildenden gesellschaftlichen Strukturen, insbesondere der Struktur des Rechts abgelöst wird.
  • von den Regeln (Gesetzen) und Rechten die für die real gegebenen Zugriffsmöglichkeiten von ausschlaggebender Bedeutung sind


Die quantitativen Eigenschaften der genannten Ressourcen unterscheiden sich signifikant dadurch, dass durch jeden einzelnen Akt individueller Aneignung die frei und unberührt vorfindbaren materiellen Ressourcen verknappt, die geistigen Ressourcen (Wissen) hingegen infolge eines jeden einzelnen Aneignungsaktes vermehrt werden. (Nur) Was sich mit-teilen lässt, lässt sich praktisch unbegrenzt teilen. Sowohl materielle als auch geistige Ressourcen existieren ab einer bestimmten Entwicklungsstufe vorwiegend als gesellschaftlich tradiertes Vor-Produkt. Das "Rohmaterial" gewinnt zunehmend an Raffinesse.

Eingangs wurde bereits gesagt, dass es für die konzentrierte Anhäufung von Gütern, die nicht Produkte der je eigenen Arbeit sind und damit für die Bildung von Reichtum drei Möglichkeiten gibt: Gewalt, List und Liebe. Konkret realisiert finden wir diese Möglichkeiten in den Formen
  • 1. des Raubes z.B. im Feudalismus, der sich letztlich auf die Gewalt über andere Menschen gründet und damit den Zugriff auf deren Arbeitsprodukte per physischem Zwang bzw. Zwangsandrohung ermöglicht.
  • 2. im Teilen und Schenken wie es in einigen naturnah lebenden Gesellschaften vielleicht (noch) üblich sein mag, das aber auch in der bürgerlichen Gesellschaft noch eine gewisse Rolle - insbesondere in Form des ausschließenden Erbrechts (darum Liebe bzw. liebende Sorge) - spielt. Und
  • 3. im Ergaunern, Betrügen und Übervorteilen, wie es für jede auf gewinnorientiertem Handel basierende Gesellschaft kennzeichnend sein muss.


Es liegt auf der Hand, dass aufgrund der theoretischen Grundlagen des bürgerlichen Eigentumsrechtes und der postulierten Unantastbarkeit der Person die Option des Raubens, zumindest als eine legitim erscheinende, von vornherein ausscheidet. Um so wichtiger sind die beiden anderen Optionen, wobei der legalisierte Betrug die allgemeine und die Liebe die (nur) im besonderen angewandte Methode darstellt. Der Betrug beginnt bereits damit, die Arbeitskraft, die Produkte erst hervorbringt, selbst schon als etwas dem Menschen Äußerliches und damit Veräußerliches, das Produzierende als Produkt mithin als potentielle Ware anzusehen und auf diese Weise jeden Menschen a priori mit dem Eigentümer in eins zu setzen. Wer ein Recht auf Eigentum besitzt, hat damit noch kein konkretes, gegenständliches Eigentum, sondern nur ein abstraktes: er ist (als "Eigentümer") gerade Eigentümer dieses Rechts - weiter nichts; zur Realisierung dieses Rechts muss es zuerst noch durchgesetzt werden, es kann nicht - soll es denn mehr als nur eine Farce sein - als "in sich" erfüllt gelten. Dass der mit dem Handel verdeckt stets einhergehende Betrug (Nicht von ungefähr ist Merkur der Gott der Handels und der Diebe) trotzdem kaum auf Kritik stößt mag damit zusammenhängen, dass in einer Gesellschaft, in der jeder der arbeiten will zuvor immer schon als Händler aufzutreten gezwungen ist, alle das Gefühl haben (müssen) "unter einer Decke zu stecken".

Eine Person, die in der, in einer arbeitsteiligen Gesellschaft unentbehrlichen, Funktion des Distributors auftritt und deren ganze Arbeit darin besteht für den notwendigen Austausch der Arbeitsprodukte zu sorgen, dürfte, wenn nur ihre eigene Arbeit vergütet werden soll, eben auch nicht mehr Wert abschöpfen, als sie durch diese Tätigkeit den Gütern an Wert zusetzt. Und der würde sich nach Marx z.B. aus der durchschnittlich erforderlichen abstrakt gesellschaftlichen Arbeit(szeit) bestimmen lassen. Der Distributor müsste also, wenn jeder den (Gegen-)Wert seiner Arbeit erhalten soll, dem Lieferer genau den Betrag, der der in der Ware bereits enthaltenen Arbeit entspricht, zahlen und vom Abnehmer wiederum nur den lediglich um den Wert der vom Distributor zugesetzten Arbeit erhöhten Betrag erhalten. Dass die Marxsche Wertlehre und deren Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert von bürgerlichen Ökonomen gemeinhin in Bausch und Bogen abgelehnt wird, ist hinlänglich bekannt. Dagegen wäre auch gar nichts einzuwenden, wenn sie denn ein präziseres oder einleuchtenderes Modell anzubieten hätten und nicht bloß ein obskures "Gesetz" von Angebot und Nachfrage, aus dem dann von vornherein folgen muss, dass gerade das, was jeden Wert erst schafft, die menschliche Arbeitskraft, aufgrund des exorbitanten Überangebotes praktisch vollkommen wertlos ist und deswegen zu Dumpingpreisen gehandelt wird.

6. Epilog


Es gibt also selbstverständlich individuell bedingte Unterschiede "angeborener" menschlicher Potentiale, aber es gibt auch sozial bedingte Unterschiede, und diese gewinnen mit fortschreitender gesellschaftlicher Entwicklung kontinuierlich an Bedeutung und werden so zur treibenden Kraft und entscheidenden Moment für die Kluft zwischen Habenden und Habenichtsen. Die konkreten Differenzen zwischen Armen und Reichen sind folglich keinesfalls ohne weiteres denjenigen zuzuschreiben, die leer ausgegangen sind, ausgehen, ausgehen werden. Sie fallen einfach nicht in die Verantwortung eines Einzelnen und sind von ihm allein auch unmöglich aufzuheben. Niemand hat sich im Augenblick seiner Geburt bereits irgendwelche Verdienste erworben und zumindest zu diesem Zeitpunkt sollten die Rechte und Chancen aller gleich sein. Faktisch ist es aber so, dass einige wenige schon "Verdienst" anhäufen, noch ehe sie das Licht der Welt erblicken, während viele andere nicht mal das Nötigste bekommen, um sich überhaupt gesund entwickeln zu können. Bis auf weiteres scheint somit der folgende Ausspruch Johann Gottlieb Fichtes seine Gültigkeit zu behalten:

"Man hat die Aufgabe des Staates bis jetzt nur einseitig und nur halb aufgefasst, als eine Anstalt, den Bürger in demjenigen Besitzstande, in welchem man ihn findet, durch das Gesetz zu erhalten. Die tiefer liegende Pflicht des Staates, jeden in den ihn zukommenden Besitz erst einzusetzen, hat man übersehen."
Johann Gottlieb Fichte. Zitiert nach Ernst Bloch. Das Prinzip Hoffnung Bd. 2. Suhrkamp Verlag. FfM 1973. S.641

Dieser Zustand wachsender Ungleichheit ist aber, ebenso wie unser gegenwärtiges Eigentumsrecht (und jedes andere gesetzte "positive" Recht), alles andere als eine "ewige Wahrheit". Im Grunde handelt es sich nicht mal um einen Zustand, den wir aus freien Stücken gewählt hätten. Er ist das vorläufige Endergebnis eines historischen Prozesses und bloß auf uns überkommen, ohne dass wir selbst den geringsten Anteil an seinem Zustandekommen hätten und so kann "[d]er Kapitalist [...] jetzt als der Eigner des ganzen gesellschaftlichen Reichtums in erster Hand betrachtet werden, obgleich kein Gesetz ihm das Recht auf dies Eigentum übertragen hat ..." MEW Bd.23. Das Kapital Bd.1. Dietz Verlag Berlin 2001. S.373

Solange wir uns nur einigermaßen komfortabel in ihnen einzurichten wissen, zeigen wir gemeinhin wenig Neigung die vorgefundenen Verhältnisse zu ändern - selbst dann nicht, wenn die Vernunft für eine Änderung spräche. Oft bejahen wir sie sogar, ohne dass wir unmittelbar an ihnen partizipieren würden. Dazu sind wir vor allem dann geneigt, wenn wir uns einbilden dürfen, dass jeder Einzelne jede beliebige Stelle in den bestehenden Strukturen einnehmen könnte, so er nur "fleißig, kreativ und zur richtigen Zeit am richtigen Ort" ist. Unsere Bejahung des Bestehenden ist aber nie mehr, als ein nachträgliches Abnicken, das zum Einen aus der Sorge, Veränderungen könnten zu (weiteren) Verschlechterungen führen, zum Anderen durch die permanent geschürte Hoffnung auf eine mögliche Verbesserung der eigenen Position, bzw. der möglichen Steigerung des eigenen Wohlbefindens innerhalb der bestehenden Verhältnisse, bewirkt wird.

Solche Hoffnungen werden aufrechterhalten durch Ausnahmekarrieren, die das System schon deswegen bereitstellen muss, weil es ein "Ventil" braucht. Andere Ventile sind total groteske Bezüge von Spitzensportlern, Lotterien mit enormen Gewinnbeträgen bei minimalen Gewinnchancen, Millionär werden (können) bei Günter Jauch, Castingshows oder ein Jahr im Container bei RTL II als Silberstreif am Horizont der ganz und gar zu kurz gekommenen. Das alles sind Ausnahmen von der Regel, die letztlich bloß die Regel bestätigen, die aber immer wieder massiv als scheinbar für jeden greifbare Realität ins Bewusstsein der Massen gerückt werden. Kein Tag ohne einen Gewinner. Häufig sind solche Ausnahme-Aufstiegschancen auch mit der Bedingung des (überspitzt gesagt) "Klassenverrats" verknüpft, der sich selbst auf vorgeblich "rein private" Bereiche erstrecken kann: "Man sagt, dass der sozial Aufsteigende in der Regel auch seine Konfession wechseln 'muss', wenn er aus einer 'niederen Konfession', etwa der Lutheraner oder Baptisten kommt." Dahrendorf. Die angewandte Aufklärung.
Man muss sich ganz und gar auf die "andere Seite" schlagen. Und wie so oft, ist es auch hier meist gerade der Proselyt, der sich am reaktionärsten gebärdet (man denke nur an Gerhard Schröder) und der das Bestehende, in dem er komfortabel einzurichten sich anschickt, mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gewillt scheint.

Immerhin ist für die große Mehrheit nicht nur der deutschen, sondern der Weltbevölkerung ihre Arbeitskraft nicht nur die einzige "Ware", sondern auch das ganze "Kapital", das sie besitzt. Wenn dieses "Kapital" immer weiter entwertet wird, ist kaum abzusehen, wie es in Zukunft überhaupt noch als Verrechnungseinheit in Anschlag gebracht werden könnte. Man wird sich in also künftig wohl oder übel nach einem anderen "Verteilungsschlüssel" umsehen müssen - wenn es denn dann überhaupt noch was zu verteilen gibt. Aber das ist nun in der Tat ein ganz anderes Thema..

Es ist sonnenklar, dass das Allermeiste, was wir haben und nicht missen möchten, nur unter arbeitsteiligen Bedingungen zustande kommen kann. Ebenso klar ist, dass es dazu eines hohen Maßes an Koordination bedarf. Es ist auch überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass der Eine mehr und der Andere weniger besitzt - manchen interessiert ein größeres Besitztum vielleicht auch gar nicht. Es ist aber von wesentlicher Bedeutung, ob man zur Besitzlosigkeit von vornherein "genötigt" wird oder sie aus freien Stücken wählen kann.

Es kann und darf hinsichtlich zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklung freilich nicht bloß um die "sozialverträgliche" Verteilung von Arbeitsprodukten und schon gar nicht um die "Umverteilung" - ein Begriff, der lediglich anzeigt, dass die Verteilung nicht geklappt hat - gehen, sondern um die Aufhebung privater Besitzrechte an essentiellen Ressourcen, die immer Gegenstand öffentlichen Interesses sind, also um eine Demokratisierung der Art und Weise, wie mit ihnen verfahren wird, wie und durch wen oder was ihre Ausbeutung und ihre Verwertung kontrolliert und geregelt werden soll. Diese Kontrolle muss keineswegs durch den Staat vorgenommen werden um sie demokratisch nennen zu dürfen, sie sollte es auch nicht, denn die Teilung der Machtmittel (und organisierte Wirtschaft ist ein Machtmittel, und zwar seit je - d.h. seit es herrschaftliche Verhältnisse überhaupt gibt) und damit eine gewisse Teilautonomie der Wirtschaft ist durchaus sinnvoll. Diese Kontrollen müssen aber, wenn denn diese Gesellschaft als Ganzes das Prädikat "demokratisch" verdientermaßen tragen möchte, auch demokratischer Natur sein. Erste Ansätze dazu gab es ja bereits in Form der paritätischen Mitbestimmung in der Montanindustrie. Solche Ansätze werden aber zunehmend unterlaufen und sabotiert. In einer Zeit, in der das Wirtschaftsleben vorwiegend von Kapitalgesellschaften (also nicht von Einzelunternehmern) beherrscht wird, gerät die Floskel vom "Unternehmerischen Risiko", das entsprechend hohe und teilweise einfach überzogene Gewinnchancen fordern muss, zunehmend zur reinen Augenwischerei. "Unternehmer" dieser Art riskieren fast gar nichts, denn sie haften ja nicht mit den Gewinnen, die sie in guten Tagen machen oder ihren besonderen Einkünften aus den Firmen, sondern lediglich mit ihrer Einlage. Die wirklichen Risikoträger (auch für das Risiko unternehmerischen Versagens und Misswirtschaft) sind die Beschäftigten, die nach der Entlassung auf dem Arbeitsamt Schlange stehen dürfen, während, der arme, "ruinierte" Kapitalist bereits das nächste Eisen ins Feuer schiebt.

Ein Minimum an Verantwortlichkeit und ökonomischer Demokratie könnte immerhin dadurch erreicht werden, dass eine Firma, die unter wirtschaftlichen Druck gerät, sich nicht einfach auf Kosten der Gesamtgesellschaft entlasten kann indem sie "Arbeitskräfte freisetzt", das Management mit einer Millionengratifikation in den "wohlverdieneten" Vorruhestand verabschiedet und die Produktion in irgendein Billiglohnland verlagert, wo das Spiel dann von vorn beginnt, sondern dass alle an einem Unternehmen Beteiligten gemeinsam, also wenn man so will als eine Art "Produktionsgemeinde", Strategien entwickeln, mit deren Hilfe sie sich wieder "ins Spiel" bringen können. Dazu ist aber ein Rückgriff auf zuvor gemeinsam erwirtschaftete Überschüsse erforderlich, der bei privater Gewinnabschöpfung ja nicht möglich ist. Das sogenannte "Humankapital" - die Menschen jedenfalls gilt es zuerst zu retten und erst dann die Marktanteile und Aktienkurse. Man nehme sich ein Beispiel an der "Christlichen Seefahrt": Frauen und Kinder zuerst und der Kapitän verlässt das sinkende Schiff zuletzt.

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