Dienstag, 9. September 2008

divide et impera

Die Herbstoffensive nimmt Fahrt auf. Nachdem BILD in der vergangen Woche seinen Lesern gezeigt hat, was für Riesenarschlöchern mittels Hartz IV zu einem locker luxuriösen Lebenstil verholfen wird, wechselt man nun die Stoßrichtung und widmet sich jenen "Guten", die lieber für eine Handvoll Reis arbeiten, als ALG II beziehen würden. Diese Taktik ist noch infamer, als das Vorführen irgendwelcher Deppen, die stolz darauf sind, dass sie es (angeblich) ständig schaffen "den Staat zu bescheißen". Denn obwohl man hier ja gar keine Hartz IV Empfänger ins BILD setzt - man trifft sie um so ärger. Und man trifft sie alle, weil sich so zeigen lässt: von ALG II zu leben ist zutiefst unmoralisch und wer auch nur einen Funken Anstand im Leib hat, der geht lieber für 8 Euro Treppen putzen als zum Arbeitsamt.


Flankiert wird das Maneuver von ausgewiesenen Experten. Heute ist es der Chef der Arbeitsagentur selbst, Frank Jürgen Weise, den man scheinheilig befragt ob Hartz IV Luxus sei (was der immerhin verneint) und ob er die "Chemnitzer Studie" für seriös halte, was er "nicht bewerten kann und will". Ich nehme mal an, er will eher nicht, dass er könnte. "Wissenschaftler sind frei und dürfen alles erforschen. Aber: Mir ist nicht bekannt, dass in der Politik derzeit ernsthaft über eine Senkung von Hartz IV nachgedacht wird." Man beachte die Wortwahl und übersetze: "Meine Name ist Weise; ich has von nichts!"

Sodann kommt BILD zu ihren eigentlichen Anliegen (der Fortsetzung der Attacke auf die "Schmarotzer") und begehrt zu erfahren:
Wie viele Hartz IV-Empfänger sind denn Sozial-Abzocker?

Weise: Seit Januar 2007 haben wir rund 100 000 nachgewiesene Missbrauchsfälle im Bereich Hartz IV. Gut 20 000 davon haben wir wegen des Verdachts einer Straftat an die Staatsanwaltschaft übergeben. Bei über sieben Millionen Menschen, die derzeit Hartz IV beziehen, reden wir also über eine Größenordnung des Missbrauchs von einem Prozent. Sicher gibt es eine Dunkelziffer, aber die allermeisten Menschen sind ehrlich.

Den Rest mag der interessierte Leser im Original nachlesen. Interessant wäre allerdings zu erfahren, was man denn bei der Arbeitsagentur so alles unter "nachgewiesene Missbrauchsfälle" versteht. Dass nur ein Fünftel dieser Missbrauchsfälle auch zu strafrechtlichen Konsequenzen führt, legt jedenfalls die Vermutung nah, dass es sich beim Rest um ausgesprochene Lappalien handelt, wenn nicht gar um einen "Missbrauch", der den umständlichen Verfahrensweisen der Agentur selbst geschuldet ist. So kann es z.B. vorkommen, dass jemand einer angemeldeten Tätigkeit ohne gleichbleibend hohes Einkommen nachgeht und sein - fristgerecht nachgereichter - Einkommensnachweis eine Korrektur der Bezüge des Vormonats erforderlich macht. Dieser ehrliche Mensch erhält dann ein Schreiben, in dem ihm - im Tonfall einer Anklageschrift - erklärt wird, dass er "zu Unrecht" Leistungen bezogen und diese zurückzuzahlen habe und das natürlich nicht ohne den obligatorischen Verweis auf mögliche Leistungskürzungen und/oder andere Sanktionen auskommt. Und solange bis der Vorgang abgewickelt und "geklärt" ist, steht dieser "Abzocker" faktisch unter MIssbrauchsverdacht.

Damit ist die Attacke aber noch nicht abgeschlossen, denn BILD hat noch "Sieben unbequeme Wahrheiten über Hartz IV" zu verkünden. Hier eine Auswahl:
Wahrheit 2:
"Fünf Prozent der Hartz-IV-Bezieher, so Experten, schummeln bei ihren Anträgen – das sind rund 171 000 Fälle im Jahr."

Klar das die "Experten" hier nicht genannt sind. Herr Weise jedenfalls scheint nicht zu ihnen zu gehören. Denn der hatte ja für mehr einen Zeitraum von 18 Monaten eine Zahl von 100.000 genannt und eine Quote von weniger als 1%. Das ist für eine ordentliche Kampagne offensichtlich zu mager, weshalb also nachgeladen werden muss.

Wahrheit 3:
Wirtschaftsexperten sind sich einig, dass bei niedrigeren Hartz-IV-Bezügen mehr Menschen Arbeit suchen würden.


Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts: „Die Höhe der Sozialleistungen bestimmt, ab welchem Lohn ein Mensch bereit ist zu arbeiten.“[...]

Dem stimmt auch Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (DIW) „im Prinzip“ zu: „Wenn gar keine Leistungen mehr gezahlt würden, müssten alle Menschen sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, weil sie ansonsten verhungern müssten.“

Das Problem ist also nicht, dass es nicht genügend (Erwerbs-)arbeitsplätze gibt (dafür liefert ja schon die Protagonistin des eingangs genannten Artikels das leuchtende Beispiel), sondern, dass der Zwang zur Arbeit nicht groß genug ist.

Man muß es einmal deutlich sagen: das Sozialsystem ist keine altruistische Veranstaltung, sondern ein Instrument zur Sicherung der bestehenden Verhältnisse, die aber gerade von denen, die am stärksten von ihnen profitieren, unablässig untergraben werden (im Sinne ihrer weiteren "Verbesserung" zugunsten selbsternannter "Leistungsträger"). Für Massenarbeitslosigkeit sind nicht die Massen der Arbeitslosen verantwortlich, sondern diejenigen, die meinen, dass eine Masse Profit einer Masse von Arbeitnehmern, die diesen Profit nur schmälern, vorzuziehen ist.

Man möchte fast schon hoffen, dass Herrn Schäfers brilliante Theorie einmal praktisch erprobt würde. Ich bin mir jetzt schon ziemlich sicher, er würde sich dann sehr schnell wünschen, dass die Schlagzeilen wieder von "Sozialschmarotzern" beherrscht würden und nicht von (Selbst-)morden, Diebststählen, Einbrüchen, Raubüberfällen und was es für Verzweifelte sonst noch so an "frei verfügbaren" Tätigkeitsfeldern zu beackern gäbe.

Das scheint denn auch der eigentliche Zweck der Kampagne zu sein: man testet aus, wie weit man sich Menschen an den Rand drängen lassen, ehe sie in ihrer Verzweiflung offenen Widerstand leisten und zu "handgreiflicher" Gegenwehr übergehen.

2 Kommentare:

Anonym,  10. September 2008 um 11:23  

"Man muß es einmal deutlich sagen: das Sozialsystem ist keine altruistische Veranstaltung, sondern ein Instrument zur Sicherung der bestehenden Verhältnisse, die aber gerade von denen, die am stärksten von ihnen profitieren, unablässig untergraben werden (im Sinne ihrer weiteren "Verbesserung" zugunsten selbsternannter "Leistungsträger")."

Sehr richtig. Da fällt mir noch gleich die allfällige Behauptung ein, die die ja soooviel Steuern zahlen, erhielten dafür ja gar keine 'adäquate Gegenleistung', der Staat würde für sie ja gar nichts tun - und ja auch nicht müssen. Im Gegenteil - der Staat sichert eben die Verhältnisse, unter denen sie so viel mehr einfahren als andere. Und das erstreckt sich von Militär über Polizei bis eben zu dem 'Sozialklimbim', mit dem die Abgezockte so gerade noch ruhig gehalten werden (sollen).

"Das scheint denn auch der eigentliche Zweck der Kampagne zu sein: man testet aus, wie weit man sich Menschen an den Rand drängen lassen, ehe sie in ihrer Verzweiflung offenen Widerstand leisten und zu "handgreiflicher" Gegenwehr übergehen."

Solange der - wenn er denn mal ausbricht - sich nicht irgendwie 'organisiert', käme er vielleicht sogar noch recht, denn 'Handgreiflichkeit' - im Gegensatz zu der kaum hinterfragten 'strukturellen Gewalt' - disqualifiziert sich im 'öffentlichen Diskurs' ja immer gleich selbst. Nur den 'Flächenbrand' darf man dabei natürlich auch nicht riskieren.

Anonym,  24. Februar 2009 um 01:36  

Zitat:

"von ALG II zu leben ist zutiefst unmoralisch und wer auch nur einen Funken Anstand im Leib hat, der geht lieber für 8 Euro Treppen putzen als zum Arbeitsamt."

Zitat Ende.

Es soll tatsächlich Leute geben, die soviel Anstand besitzen und sich sogar die Hände schmutzig machen, statt der Allgemeinheit auf der Tasche zu liegen. Stellen Sie sich DAS mal vor!

Zitat:

"Das scheint denn auch der eigentliche Zweck der Kampagne zu sein: man testet aus, wie weit man sich Menschen an den Rand drängen lassen, ehe sie in ihrer Verzweiflung offenen Widerstand leisten und zu "handgreiflicher" Gegenwehr übergehen."

Zitat Ende.

Exakt.
Dies geschieht aber nur, weil eine unermesslich hohe Anzahl von Leistungsempfängern der fälschlichen Auffassung ist, dass das ausbezahlen von Sozialgeldern eine "Pflichtkür" der leistenden Gesellschaft wäre.

Auf die Idee, sich für jegliche Unterstützung zu bedanken - insbesondere DANN, wenn man noch nie auch nur einen Cent zur Sozialstruktur beigetragen hat - auf die Idee kommen solche Leute gar nicht. Ganz im Gegenteil!

Es wird sich sogar noch beschwert, dass man sich von Hartz4 ja gar keinen "Karibikurlaub leisten könne", der ja mehr als angemessen wäre, da man als Hartz4-Empfänger ja unter ENORMEN Leistungs- und vor allem, psychischen Druck stehen würde, von dem man sich ja "erholen" müsste!

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