Freitag, 26. Juni 2009

Déjà-vu

Auf dem Nachweis für ungelernte Arbeiter des Bezirks Kreuzberg war ein unaufhörliches Kommen und Gehen. Im Hausflur stand dick und wichtig der Portier Langscheidt. Im dritten Stock wurde gestempelt, im vierten war der Aufenthalts und Arbeitsvermittlungsraum. Die Luft war überall stickig und verbraucht. Die Fenster waren nur in ihrem oberen Teil geöffnet.
[...]
"Heute wird's wohl keene Arbeit mehr geben, is ja schon elf Uhr."
"Sag mal, Gustav, hast Du schon mal gearbeitet?"
"Ick? Solange wie ick aus der Schule raus bin noch nich. Als Schulrabe ja. Ick wer wohl ooch keene mehr kriejen", sagte er ruhig. Und halb lachend, halb bedauernd fuhr er fort: "Und als ich zehn Jahre alt war, hat der Alte jesagt: 'Gustav, Du wirst mal Rechtsanwalt!' Heute bin ick zu Hause bloß noch det 'Sticke Mist'."
Kater kaute an einem Streichholz. "Det sin wir ja alle", sagte er so ganz nebenbei. "Aber laß man. Wern wir eben Verbrecher. Eeen andern Beruf jibts ja für uns nich mehr. Schade, daß Du nich Rechtsanwalt bist, da hätt ick een billigen Verteidiger ..."

Ein Mann mit schwarzer Hornbrille und schwarzem Lüsterjackett kam in den Saal. Alles sprang auf. Der Mann stellte sich auf das Podium und sah sich von oben die Leute an.
"Nu los doch Mensch! Laß uns nicht so lange warten!"
"Immer ruhig, junger Mann, nicht wahr?"
Die Erwerbslosen standen dichtgedrängt um ihn herum und sahen zu ihm auf wie zu einem Lehrer, der interessante Geschichten zu erzählen hat. Er begann laut:
"Zwei Mann Zettel verteilen, Speisehaus Friedrichstraße."
"Wieviel? Wieviel Mark die Stunde?"
"Das steht nicht bei. Jedenfalls handelt sich's um ein Speisehaus, und ein Mittagessen wird schon abfallen."
"Oho! Det kenn wir, det Mittagessen! Pellkartoffeln und Soße! da jeht keener hin!"
"Was wollen Sie denn schon wieder? Sie können doch die Leute nicht von der Arbeit abhalten! - Also los: Wer will hingehn? Lohn nach Vereinbarung."
Zwei alte Männer meldeten sich. Sie gaben ihre Stempelkarten ab und gingen still lächelnd fort. Spinne machte ein verächtliches Gesicht und stieß Gustav an: "Zettel verteiln! Det soll nu für unsereens Arbeet sin! Arbeitsburschenstellen kommen überhaupt nicht mehr raus. Dreck verfluchter!"

Jemand lachte ganz laut. Niemand drehte sich nach ihm um. Sechzig Erwerbslose warteten auf Arbeit. Aber keiner hatte Hoffnung. Der Mann mit der Brille tat immer wichtiger. Er wühlte geschäftig zwischen den Papieren in seiner Hand und kramte eine neue Vermittlungskarte vor. Es wurde wieder ruhig und die Augen der Wartenden wurden gespannt.

"Zwei Mann zum Teppichklopfen. Sie müssen das schon öfters gemacht haben. Stunde achtzig Pfennig. Es handelt sich um je zwei Stunden."
Zehn, zwölf Leute drängten sich zur Mitte hin und hielten ihre Karten in die Luft. "Hier!" - "Icke!" - "Icke!" ...
"Halt, nur zwei Mann. Wer ist länger als anderthalb Jahr arbeitslos?"
Das waren fast alle, die sich gemeldet hatten. Der Mann suchte zwei Junge Leute aus und empfahl ihnen, gleich hinzugehen: Großbeerenstraße 58, bei Frau Schnacke.
"Paß off det Jeld off, det aus die Teppiche fällt!" rief man den beiden nach.
Der Kreis um den Ausrufer wartete noch.
"Kommt denn heute noch wat raus?"
"Ja, das weiß ich nicht. Sie können ja warten. Sie haben ja so viel Zeit!"
"Du alter Tintenklohn, det denkste Dir ja bloß. Los, schwinge Deine Scheißständer un kiek nach, ob neue Arbeit da ist! ..."
"Denkst wohl, weil Du die Ruhe weg hast, haben wir ooch Zeit, wat? Ick muß noch nach de Wohlfahrt zum Kottbusser Damm!"

Enttäuscht schlich jeder zu seinem Platz zurück. Sie wurden ja immer enttäuscht. Immer und überall. Enttäuscht und gedemütigt.. Sie wurden herumgejagt mit nutzlosen Formularen, von einem Amt zum anderen, von Behörde zu Behörde. Manchmal nur wegen eines Stempels. Nur wenige murrten. Sie fraßen alles in sich hinein.

Walter Schönstedt. Arbeitslose (Aus: Kämpfende Jugend. 1932). in: Hans Magnus Enzensberger et. al. Klassenbuch 3. Ein Lesebuch zu den Klassenkämpfen in Deutschland 1920-1971. Luchterhand Verlag. Darmstadt und Neuwied 1973.

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Mittwoch, 24. Juni 2009

Bizarre Logik (II)

Machen wir uns nichts vor: Die drei gefallenen Soldaten von Kundus werden nicht die letzten Opfer dieses Krieges sein. Und mit jedem Toten wird der Ruf nach einem Rückzug lauter werden.

Doch genau das wäre Verrat!

Verrat an den jungen Männern, die für die Sache von Freiheit und Menschenrecht im Morast von Kundus ihr Leben gelassen haben. Wenn ihr Leben und Sterben einen Sinn gehabt hat, dann ist es ein Auftrag an uns alle: nicht nachzugeben, der Fratze des Terrors nicht zu weichen.

Damit wir im fernen Deutschland in Frieden leben können.
Rolf Kleine. BILD.

Mit anderen Worten: "wir" dürfen nicht nachgeben, andere für "uns" den Kopf hinhalten und sich abschlachten zu lassen. "Wir" müssen Kriege ausfechten (lassen) um "unseren" Frieden zu haben.

Orwell hatte also Recht: Krieg ist Frieden!

P.S.:
Herrn Kleine sei - ebenso wie Herrn Jung und anderen Maulhelden diesen Schlages - dringend empfohlen, dem großen Wort die konsequente Tat folgen zu lassen und sich umgehend freiwillig zum Afghanistaneinsatz zu melden.



Mehr bizarre Logik:
(I), (II), (III), (IV), (V), (VI)

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Dienstag, 23. Juni 2009

Bizarre Logik

"Aber ich denke[sic!], wir sind es auch gerade unseren gefallen Soldaten schuldig, dass wir unseren Auftrag weiter erfüllen, den Terroristen im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wirkungsvoll entgegenzutreten."
"Verteidigungs"-Minister Franz-Josef Jung in der Tagesschau (mp3)

Mit anderen Worten: wir lassen es darauf ankommen, dass weitere unserer "Bürgerinnen und Bürger" in Uniform" in Afghanistan ihr Leben verlieren, und werden folglich noch mehr "gefallenen Soldaten schuldig" sein, "dass wir unseren Auftrag weiter erfüllen" mit der Folge, dass noch mehr Bürgerinnen und Bürger in Uniform ums Leben kommen, denen wir dann noch mehr schuldig sein werden usw. usf.

Und wer bislang keinen Grund für Auslandseinsätze der Bundeswehr (ein-)sah, muss letztlich doch einsehen, dass wir nicht tatenlos zusehen dürfen, wie diese Terroristen unsere Bürgerinnen und Bürger einfach abmurksen, nur weil die sich bewaffnet im Ausland aufhalten.

Immerhin: angesichts der begrenzten Anzahl wehrfähiger Bürgerinnen und Bürger, die diesem unserem Lande zur Verfügung stehen, ist letztlich wohl doch ein Ende dieses Wahnsinns absehbar.



Mehr bizarre Logik:
(I), (II), (III), (IV), (V), (VI)


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Sonntag, 21. Juni 2009

Right Place, Wrong Time


Man beachte, wer hier wo parkt.



Im Folgenden noch einige Impressionen vom - sowie Anmerkungen zum - (gescheiterten) Versuch einer "Massenbesetzung des Ex-Flughafens Tempelhof" ("Squat Tempelhof").

Bilder anklicken für Ansicht in voller Größe




Die Polizei war eindeutig in der Übermacht. In der rbb-Abendschau war zunächst von mehreren hundert "Autonomen und Links-Aktivisten" sowie von rund 1.800 im Einsatz befindlichen Polizisten - darunter Kräfte der Bundespolizei, aus Sachsen-Anhalt und Baden Würtemberg - die Rede. Laut Tagesschau waren es kurz darauf schon "mehrere Tausend Demonstranten". Diese "Zahl" wurde im Folgenden auch von rbb-Info-Radio angegeben. Im blog der Initiative "Squat Tempelhof" ist von "über 5000" potentiellen Besetzern die Rede, während bei der Berliner Polizei heute zu lesen ist, dass "[r]und 2000 Personen[...] gestern rund um den Flughafen Tempelhof überwiegend friedlich für eine Öffnung des Geländes demonstriert" hätten. Alles in allem kann man den Aufwand zur Verteidigung dieses öden Ackers, zu dem auch die Präsenz von mindestens drei Wasserwerfen sowie umfangreiche "Luftaufklärung" (den ganzen Tag knatterten Hubschrauber über dem Szenario) gehörten, nur als absolut überzogen bezeichnen. Schon am Nachmittag kam es zu einem äußerst üblen Zwischenfall, der von der Polizei wie folgt dargestellt wird:

Als ein Zivilfahnder gegen 15 Uhr 20 einen Mann festnahm, der gerade dabei war, mit einer Zange den Maschendrahtzaun am Columbiadamm aufzuknipsen, kam es zu einer versuchten Gefangenenbefreiung. Zahlreiche schwarz gekleidete Täter rannten dabei in aggressiver Haltung auf den Beamten zu, der daraufhin zu seinem eigenen Schutz die mitgeführte Schusswaffe demonstrativ auf den Boden richtete.

Photos, die diesen Vorfall dokumentieren, zeigen eine wahrlich erschreckende "Übermacht" von zwei offensichtlich unbewaffneten - möglicherweise zur "Gefangenenbefreiung" bereiten - Personen. Da werden doch gleich Erinnerungen an den seinerzeit "von mehreren mit Messern bewaffneten Demonstranten" bedrohten Karl-Heinz Kurras wach.


Quelle (Bild oben): Berliner Morgenpost






"Hopp, hopp, hopp - Schweinchen lauf Galopp."
(Aufmunternder Zuruf aus der "Menge" der Demonstranten.)


Auch die diversen Seitenstraßen blieben nicht "unbeaufsichtigt".







Und noch einmal: "Right Place ..."




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Dienstag, 16. Juni 2009

Systemrelevanz

Hans Werner (Irr-)Sinn hat bekanntlich schon vor geraumer Zeit"Systemversagen" als Ursache der Wirtschafts- und Finanzkrise identifiziert.


Sollte er mit dieser Einschätzung ausnahmsweise einmal richtig liegen, so wäre die logische Folge eigentlich, gerade die sogenannten "systemrelevanten" Banken nicht etwa zu "retten", sondern schnellstmöglich abzuwracken.

Mein' ja nur ...



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Mittwoch, 10. Juni 2009

Aber bitte mit Sahne ...

Eine Art inoffizielles "Ortseingangsschild" des Bezirks Kreuzberg von Berlin verkündet den Einreisenden:

Von berlin by bike
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Was die Sahne angeht: es versteht sich wohl von selbst, dass weniger als die ganze Molkerei absolut inakzeptabel wäre..

;-)

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Montag, 8. Juni 2009

Europa hat gewählt





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Immerhin ...

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