Montag, 30. Juni 2008

Fundsache - Zur Renaissance des Sozialismus

Ein ueberaus lesenswerter Artikel "Ich!" von Franziska Augstein findet sich heute in der Süddeutschen Zeitung.

"Die Idee des Sozialismus läuft nicht darauf hinaus, dass eine Staatspartei alles bestimmt und die arbeitende Bevölkerung im Namen des Staates ausbeutet, wie es im Ostblock üblich war.

Sozialisten wollen vielmehr eine Gesellschaftsform entwerfen, in der alle leben und überleben können, jeder seinen Fähigkeiten gemäß. Sie streben danach, dass die Verfügung über das Kapital nicht bei einigen wenigen liegt, sondern von der Gesellschaft kontrolliert werde. Besonders die Herrschaft über die für alle wesentlichen Dinge soll dem sozialistischen Denken zufolge nicht privaten Individuen überlassen werden: die Versorgung mit Wasser und Energie, öffentliche Verkehrsmittel, Post, Krankenversorgung, Altersvorsorge, Kindergärten, Schulen und Hochschulen."
[...]
Angela Merkel irrt, wenn sie denkt, dass alle beim Wort »Sozialismus« erschauern. Auf dem CDU-Parteitag in Hannover im Dezember 2007 erklärte sie, der Sozialismus habe in der DDR »genug Schaden angerichtet! Wir wollen nie wieder Sozialismus! Wir wollen nie wieder Unterjochung der Freiheit!« Aber diese Sätze haben nur einen Sinn, wenn man sie als späten Kommentar einer früheren FDJ-Funktionärin zur DDR auffasst. Sie blenden die eigentlichen Anliegen des sozialistischen Denkens aus.
[...]
In einer parlamentarischen Demokratie müssen sich die Parteien im Rahmen des Möglichen und Vernünftigen ein wenig danach richten, was die Wähler wollen. Derzeit wünschen sich sehr viele mehr soziale Gerechtigkeit im Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland. Dies Begehren: Man kann es christlich-demokratisch nennen, auch christlich-sozial oder sozialdemokratisch, theoretisch gesehen ist es zuallererst: sozialistisch."
Nun gut - ein bisschen mehr, als nur "ein wenig" duerfte es dann doch sein. - Im Uebrigen jedoch trifft die Autorin in fast allen Punkten den Nagel auf den Kopf.

3 Kommentare:

Anonym,  1. Juli 2008 um 00:47  

Der einstige ideologische Scharfmacher der CDU, Heiner Geißler, hat früher von "Freiheit statt Sozialismus" geredet; heute propagiert das neue Mitglied von Attac "Freiheit statt Kapitalismus".

Ist das nun ehrliche Reue, späte Einsicht und echte Überzeugung oder blanker Populismus?

Kurt aka Roger Beathacker 1. Juli 2008 um 01:27  

Ich glaube, dass es weder Reue ist noch Populismus. Der Kapitalismus gegen den er heute anrennt ist nicht der Kapitalismus an den er frueher geglaubt hat (was nicht bedeutet, dass der Kapitalismus zu der Zeit ein anderer gewesen waere - er hat ihn aber fuer einen anderen gehalten). Und Populismus hat er (mangels Karrierechancen) nicht mehr noetig.

Siehe auch was ich an anderer Stelle dazu geschrieben habe:

"Herr Geißler ist das soziale Feigenblatt der anderen Regierungspartei, in der er eigentlich nichts mehr zu melden hat, weshalb er ungeniert Ansichten vertreten darf, über die sich seine Parteikollegen insgeheim kaputtlachen. Die Alternative wäre Norbert Blüm gewesen, der - nachdem er jahrelang Helmut Kohl als nützlicher Idiot gedient hat - in der CDU inzwischen offen ausgelacht wird, sobald er das Wort "Solidarität" in den Mund nimmt. - Blüm neigt aber dazu sich zu sehr aufzuregen, wenn es um die soziale Frage geht und dann wird noch mehr gefeixt. Der frühzeitig in der Partei entmachtete Geißler hingegen, der in früheren Zeiten immerhin keinerlei Hemmungen hatte, Gorbatschow mit Goebbels zu vergleichen, kommt inzwischen "altersweise" und "würdig" daher und neigt wenig dazu, sich zu ereifern - bei ihm wagt obendrein auch keiner (offen) in Gelächter auszubrechen, wenn er "Solidarität" sagt."

Anonym,  6. Juli 2008 um 12:25  

Wenn man berücksichtigt, daß die gegenwärtige (besser: widerwärtige) kapitalistische Reichtumsproduktion immer ungenierter offene und verdeckte Armut hervorbringt, sollte man auch Blüm und Geißler als Verbündete ansehen.

Blüms Unterhaltungswert kann in den Talkshows nützlich sein und "Grandseigneur" Geißler kann wiederum andere an der heutigen Politik zweifelnde Personengruppen ansprechen, die sich nicht mit "linker" Kritik anfreunden können.

Außerdem müssen ja auch diejenigen irgendwie erreicht werden, die nicht so schlau sind, kritische Webseiten anzuklicken ;-)

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