Zur Wiedervorlage: der "demographische Faktor"
Bereits vor einigen Monaten schrieb ich hier einen kurzen Beitrag zum "demographischen Faktor", der eigentlich diesen Namen zu Unrecht trägt, da er nur einen Teil des "Demos" überhaupt berücksichtigt, nämlich die Anzahl von Personen im erwerbsfähigen Alter in ein Verhältnis zur Anzahl der Personen im Rentenalter setzt und andere Gruppen, die ebenfalls von den gerade Erwerbstätigen mitzuversorgen sind, außer Acht lässt, wodurch ein schiefes Bild der tatsächlichen Verhältnisse entsteht.
Es ist erfreulich feststellen zu können, weder der Erste noch der Einzige zu sein, dem die Fehlerhaftigkeit der gängigen Argumentation aufgefallen ist. Und noch erfreulicher ist es, seine Einwände nicht nur geteilt, sondern auch durch empirische Zahlen untermauert zu finden:
Jede Gesellschaft besteht aus einem Teil "unwirtschaftlicher" Mitglieder, die ihr Leben nicht (mehr / noch nicht / zeitweilig nicht) aus eigenem Vermögen sichern können. Das sind aber eben nicht nur Rentner, sondern auch Kinder und Jugendliche, chronisch Kranke, Behinderte, Invaliden aber auch Arbeitslose usw. Der derzeit hochgejazzte "demographische Faktor" - bei dem es sich aus der Nähe besehen eigentlich um eine Verkürzung zum bloß "geriatrischen Faktor" handelt - ist deswegen m.E. eine vollkommen irrelevante Bezugsgröße. Aussagekräftiger dürfte evtl. ein Quotient sein, der das Verhältnis Erwerbstätiger zu Erwerbslosen allgemein darstellt, wenngleich auch eine solche Darstellung noch ihre Tücken hat, denn nicht jeder "Erwerbslose" ist infolge dieses Status auch gleich unproduktiv, auch wenn seine Leistungen sich nicht im Bruttosozialprodukt spiegeln.
Es ist erfreulich feststellen zu können, weder der Erste noch der Einzige zu sein, dem die Fehlerhaftigkeit der gängigen Argumentation aufgefallen ist. Und noch erfreulicher ist es, seine Einwände nicht nur geteilt, sondern auch durch empirische Zahlen untermauert zu finden:
52 alte Menschen pro 100 Menschen im Arbeitsalter - das ist die Grundlage für die gängigen Szenarien von Alterskatastrophe, Rentendesaster und Lebensstandardkiller.
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Schon heute kommen auf 26,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 20,1 Millionen Rentner. Das ist ein Verhältnis von 100 zu 75 und es wird, wenn auch nicht ohne Mühe, geschultert. Zugleich zahlen diese 26,6 Millionen Versicherten mit ihren Beiträgen auch den Lebensunterhalt von 1,4 Millionen Arbeitslosengeld-I-Empfängern. Und sie tragen zum Auskommen von 2,5 Millionen arbeitslosen und 2,6 Millionen sonstigen erwerbsfähigen Arbeitslosengeld-II-Empfängern bei. Unterstellt man für das Jahr 2030 den selben Anteil von Erwerbspersonen an der Zahl der Menschen im Alter von 20 bis 65 wie gegenwärtig, so ergibt sich mit 66 zu 100 ein milderes Verhältnis von Älteren zu Erwerbspersonen als heute zwischen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und gesetzlichen Rentnern. Selbst mit einer Arbeitslosigkeit von rund zehn Prozent würde die Belastung 2030 kaum höher sein als heute das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern.
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Die hohe Arbeitslosigkeit und die von ihr mitverursachte Frühverrentung sind heute eine ebenso starke Bürde wie die für 2030 erwartete demografische Alterung. Die Arbeitslosigkeit wird bis 2030 stark absinken. Zum Ersten ist Knappheit an Arbeitskräften das zentrale Argument der demografischen Bedrohungsszenarien.
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Wichtiger für die künftige Entwicklung ist ohnehin der “Gesamtquotient” der Jungen und Älteren - die Zahl der Menschen jünger als 20 und älter als 65 zur Zahl der Menschen von 20 bis 65. 1970 lag er bei 78 zu 100 und ist dann stark abgesunken, auf heute 65 zu 100. Er wächst - wie man heute glaubt - bis 2030 auf 80 zu 100, folglich mit einer Jahresrate von 0,9 Prozent, und dann bis 2050 mit einer Rate von 0,5 Prozent. Keine bekannte Prognose der Produktivität liegt so niedrig. Die Produktivität der Arbeitsstunden hat von 1991 bis 2006 pro Jahr um zwei Prozent zugelegt. Unterstellt man keinen historischen Einbruch in der technischen Entwicklung, so könnte die wachsende demografische Belastung allein mit dem Produktivitätszuwachs bewältigt werden.
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Solange die Arbeitslosigkeit nicht bewältigt ist, bleibt die soziale Alterung ohnehin ein Hintergrundproblem. Die Demografie bedroht die Renten kaum, die Politik dagegen sehr wohl.
Quelle: Stefan Welzk
Bleibt die Frage, warum solche einleuchtenden Analysen in den einschlägigen Medien sowenig Widerhall finden; sitzen denn in allen Redaktionen nur Hugo Müller-Voggs?
1 Kommentare:
Der "demographische Wandel" gehört wie die "Globalisierung" zu DEN vermeintlichen Hauptargumenten, mit welcher die Agenda 2010 und viele andere soziale Grausamkeiten rechtfertigt wurden und werden.
Dabei ist die "Globalisierung" ein völlig schwammiger Begriff und die ganze Debatte um den "demographischen Wandel" ist nicht nur völlig unseriös, sondern fusst auf Annahmen über die nächsten 50-100 Jahre! Moderne Kaffeesatzleserei nennt man sowas. Wer kann schon sagen, was in 50 Jahren ist? Wer konnte 1950 sagen, was in den nächsten 50 Jahren alles passieren würde? Politisches Handeln auf Annahmen zu vollziehen ist irrsinnig und völlig absurd. Neoliberale Interessen durchziehen die ganze Debatte bis heute. Hier nachzulesen
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