Freitag, 26. Juni 2009

Déjà-vu

Auf dem Nachweis für ungelernte Arbeiter des Bezirks Kreuzberg war ein unaufhörliches Kommen und Gehen. Im Hausflur stand dick und wichtig der Portier Langscheidt. Im dritten Stock wurde gestempelt, im vierten war der Aufenthalts und Arbeitsvermittlungsraum. Die Luft war überall stickig und verbraucht. Die Fenster waren nur in ihrem oberen Teil geöffnet.
[...]
"Heute wird's wohl keene Arbeit mehr geben, is ja schon elf Uhr."
"Sag mal, Gustav, hast Du schon mal gearbeitet?"
"Ick? Solange wie ick aus der Schule raus bin noch nich. Als Schulrabe ja. Ick wer wohl ooch keene mehr kriejen", sagte er ruhig. Und halb lachend, halb bedauernd fuhr er fort: "Und als ich zehn Jahre alt war, hat der Alte jesagt: 'Gustav, Du wirst mal Rechtsanwalt!' Heute bin ick zu Hause bloß noch det 'Sticke Mist'."
Kater kaute an einem Streichholz. "Det sin wir ja alle", sagte er so ganz nebenbei. "Aber laß man. Wern wir eben Verbrecher. Eeen andern Beruf jibts ja für uns nich mehr. Schade, daß Du nich Rechtsanwalt bist, da hätt ick een billigen Verteidiger ..."

Ein Mann mit schwarzer Hornbrille und schwarzem Lüsterjackett kam in den Saal. Alles sprang auf. Der Mann stellte sich auf das Podium und sah sich von oben die Leute an.
"Nu los doch Mensch! Laß uns nicht so lange warten!"
"Immer ruhig, junger Mann, nicht wahr?"
Die Erwerbslosen standen dichtgedrängt um ihn herum und sahen zu ihm auf wie zu einem Lehrer, der interessante Geschichten zu erzählen hat. Er begann laut:
"Zwei Mann Zettel verteilen, Speisehaus Friedrichstraße."
"Wieviel? Wieviel Mark die Stunde?"
"Das steht nicht bei. Jedenfalls handelt sich's um ein Speisehaus, und ein Mittagessen wird schon abfallen."
"Oho! Det kenn wir, det Mittagessen! Pellkartoffeln und Soße! da jeht keener hin!"
"Was wollen Sie denn schon wieder? Sie können doch die Leute nicht von der Arbeit abhalten! - Also los: Wer will hingehn? Lohn nach Vereinbarung."
Zwei alte Männer meldeten sich. Sie gaben ihre Stempelkarten ab und gingen still lächelnd fort. Spinne machte ein verächtliches Gesicht und stieß Gustav an: "Zettel verteiln! Det soll nu für unsereens Arbeet sin! Arbeitsburschenstellen kommen überhaupt nicht mehr raus. Dreck verfluchter!"

Jemand lachte ganz laut. Niemand drehte sich nach ihm um. Sechzig Erwerbslose warteten auf Arbeit. Aber keiner hatte Hoffnung. Der Mann mit der Brille tat immer wichtiger. Er wühlte geschäftig zwischen den Papieren in seiner Hand und kramte eine neue Vermittlungskarte vor. Es wurde wieder ruhig und die Augen der Wartenden wurden gespannt.

"Zwei Mann zum Teppichklopfen. Sie müssen das schon öfters gemacht haben. Stunde achtzig Pfennig. Es handelt sich um je zwei Stunden."
Zehn, zwölf Leute drängten sich zur Mitte hin und hielten ihre Karten in die Luft. "Hier!" - "Icke!" - "Icke!" ...
"Halt, nur zwei Mann. Wer ist länger als anderthalb Jahr arbeitslos?"
Das waren fast alle, die sich gemeldet hatten. Der Mann suchte zwei Junge Leute aus und empfahl ihnen, gleich hinzugehen: Großbeerenstraße 58, bei Frau Schnacke.
"Paß off det Jeld off, det aus die Teppiche fällt!" rief man den beiden nach.
Der Kreis um den Ausrufer wartete noch.
"Kommt denn heute noch wat raus?"
"Ja, das weiß ich nicht. Sie können ja warten. Sie haben ja so viel Zeit!"
"Du alter Tintenklohn, det denkste Dir ja bloß. Los, schwinge Deine Scheißständer un kiek nach, ob neue Arbeit da ist! ..."
"Denkst wohl, weil Du die Ruhe weg hast, haben wir ooch Zeit, wat? Ick muß noch nach de Wohlfahrt zum Kottbusser Damm!"

Enttäuscht schlich jeder zu seinem Platz zurück. Sie wurden ja immer enttäuscht. Immer und überall. Enttäuscht und gedemütigt.. Sie wurden herumgejagt mit nutzlosen Formularen, von einem Amt zum anderen, von Behörde zu Behörde. Manchmal nur wegen eines Stempels. Nur wenige murrten. Sie fraßen alles in sich hinein.

Walter Schönstedt. Arbeitslose (Aus: Kämpfende Jugend. 1932). in: Hans Magnus Enzensberger et. al. Klassenbuch 3. Ein Lesebuch zu den Klassenkämpfen in Deutschland 1920-1971. Luchterhand Verlag. Darmstadt und Neuwied 1973.

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Mittwoch, 24. Juni 2009

Bizarre Logik (II)

Machen wir uns nichts vor: Die drei gefallenen Soldaten von Kundus werden nicht die letzten Opfer dieses Krieges sein. Und mit jedem Toten wird der Ruf nach einem Rückzug lauter werden.

Doch genau das wäre Verrat!

Verrat an den jungen Männern, die für die Sache von Freiheit und Menschenrecht im Morast von Kundus ihr Leben gelassen haben. Wenn ihr Leben und Sterben einen Sinn gehabt hat, dann ist es ein Auftrag an uns alle: nicht nachzugeben, der Fratze des Terrors nicht zu weichen.

Damit wir im fernen Deutschland in Frieden leben können.
Rolf Kleine. BILD.

Mit anderen Worten: "wir" dürfen nicht nachgeben, andere für "uns" den Kopf hinhalten und sich abschlachten zu lassen. "Wir" müssen Kriege ausfechten (lassen) um "unseren" Frieden zu haben.

Orwell hatte also Recht: Krieg ist Frieden!

P.S.:
Herrn Kleine sei - ebenso wie Herrn Jung und anderen Maulhelden diesen Schlages - dringend empfohlen, dem großen Wort die konsequente Tat folgen zu lassen und sich umgehend freiwillig zum Afghanistaneinsatz zu melden.



Mehr bizarre Logik:
(I), (II), (III), (IV), (V), (VI)

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Dienstag, 23. Juni 2009

Bizarre Logik

"Aber ich denke[sic!], wir sind es auch gerade unseren gefallen Soldaten schuldig, dass wir unseren Auftrag weiter erfüllen, den Terroristen im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wirkungsvoll entgegenzutreten."
"Verteidigungs"-Minister Franz-Josef Jung in der Tagesschau (mp3)

Mit anderen Worten: wir lassen es darauf ankommen, dass weitere unserer "Bürgerinnen und Bürger" in Uniform" in Afghanistan ihr Leben verlieren, und werden folglich noch mehr "gefallenen Soldaten schuldig" sein, "dass wir unseren Auftrag weiter erfüllen" mit der Folge, dass noch mehr Bürgerinnen und Bürger in Uniform ums Leben kommen, denen wir dann noch mehr schuldig sein werden usw. usf.

Und wer bislang keinen Grund für Auslandseinsätze der Bundeswehr (ein-)sah, muss letztlich doch einsehen, dass wir nicht tatenlos zusehen dürfen, wie diese Terroristen unsere Bürgerinnen und Bürger einfach abmurksen, nur weil die sich bewaffnet im Ausland aufhalten.

Immerhin: angesichts der begrenzten Anzahl wehrfähiger Bürgerinnen und Bürger, die diesem unserem Lande zur Verfügung stehen, ist letztlich wohl doch ein Ende dieses Wahnsinns absehbar.



Mehr bizarre Logik:
(I), (II), (III), (IV), (V), (VI)


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Sonntag, 21. Juni 2009

Right Place, Wrong Time


Man beachte, wer hier wo parkt.



Im Folgenden noch einige Impressionen vom - sowie Anmerkungen zum - (gescheiterten) Versuch einer "Massenbesetzung des Ex-Flughafens Tempelhof" ("Squat Tempelhof").

Bilder anklicken für Ansicht in voller Größe




Die Polizei war eindeutig in der Übermacht. In der rbb-Abendschau war zunächst von mehreren hundert "Autonomen und Links-Aktivisten" sowie von rund 1.800 im Einsatz befindlichen Polizisten - darunter Kräfte der Bundespolizei, aus Sachsen-Anhalt und Baden Würtemberg - die Rede. Laut Tagesschau waren es kurz darauf schon "mehrere Tausend Demonstranten". Diese "Zahl" wurde im Folgenden auch von rbb-Info-Radio angegeben. Im blog der Initiative "Squat Tempelhof" ist von "über 5000" potentiellen Besetzern die Rede, während bei der Berliner Polizei heute zu lesen ist, dass "[r]und 2000 Personen[...] gestern rund um den Flughafen Tempelhof überwiegend friedlich für eine Öffnung des Geländes demonstriert" hätten. Alles in allem kann man den Aufwand zur Verteidigung dieses öden Ackers, zu dem auch die Präsenz von mindestens drei Wasserwerfen sowie umfangreiche "Luftaufklärung" (den ganzen Tag knatterten Hubschrauber über dem Szenario) gehörten, nur als absolut überzogen bezeichnen. Schon am Nachmittag kam es zu einem äußerst üblen Zwischenfall, der von der Polizei wie folgt dargestellt wird:

Als ein Zivilfahnder gegen 15 Uhr 20 einen Mann festnahm, der gerade dabei war, mit einer Zange den Maschendrahtzaun am Columbiadamm aufzuknipsen, kam es zu einer versuchten Gefangenenbefreiung. Zahlreiche schwarz gekleidete Täter rannten dabei in aggressiver Haltung auf den Beamten zu, der daraufhin zu seinem eigenen Schutz die mitgeführte Schusswaffe demonstrativ auf den Boden richtete.

Photos, die diesen Vorfall dokumentieren, zeigen eine wahrlich erschreckende "Übermacht" von zwei offensichtlich unbewaffneten - möglicherweise zur "Gefangenenbefreiung" bereiten - Personen. Da werden doch gleich Erinnerungen an den seinerzeit "von mehreren mit Messern bewaffneten Demonstranten" bedrohten Karl-Heinz Kurras wach.


Quelle (Bild oben): Berliner Morgenpost






"Hopp, hopp, hopp - Schweinchen lauf Galopp."
(Aufmunternder Zuruf aus der "Menge" der Demonstranten.)


Auch die diversen Seitenstraßen blieben nicht "unbeaufsichtigt".







Und noch einmal: "Right Place ..."




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Dienstag, 16. Juni 2009

Systemrelevanz

Hans Werner (Irr-)Sinn hat bekanntlich schon vor geraumer Zeit"Systemversagen" als Ursache der Wirtschafts- und Finanzkrise identifiziert.


Sollte er mit dieser Einschätzung ausnahmsweise einmal richtig liegen, so wäre die logische Folge eigentlich, gerade die sogenannten "systemrelevanten" Banken nicht etwa zu "retten", sondern schnellstmöglich abzuwracken.

Mein' ja nur ...



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Mittwoch, 10. Juni 2009

Aber bitte mit Sahne ...

Eine Art inoffizielles "Ortseingangsschild" des Bezirks Kreuzberg von Berlin verkündet den Einreisenden:

Von berlin by bike
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Was die Sahne angeht: es versteht sich wohl von selbst, dass weniger als die ganze Molkerei absolut inakzeptabel wäre..

;-)

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Montag, 8. Juni 2009

Europa hat gewählt





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Immerhin ...

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Samstag, 23. Mai 2009

Stasi-Spitzel Kurras: Die ganze Wahrheit?

Kaum ist diese merkwürdige Kampagne "Stasi-Agent Kurras hat Benno Ohnesorg erschossen" ein paar Stunden alt, da zeigt sie auch schon die (beabsichtigte?) Wirkung. Der Polizist, der Benno Ohnesorg erschoss, ist praktisch nur noch Stasi-Spitzel und damit (selber) ein "Linker". Das zeigen ja schließlich die Akten - die so gut wie niemand außer ihren "Enthüllern" bislang gesehen hat - und die Photos von Kurras' SED-Mitgliedsausweis, die in praktisch keinem Artikel zum Thema fehlen dürfen. Es scheint nun wirklich keine Frage mehr offen zu sein. Endlich, so meint man offenbar, ist die volle Wahrheit an den Tag gekommen. Der Mann der Ohnesorg erschoss, war ein Stasi-Spitzel und zwar vor allem und zuerst, und - okay - dann auch Polizist (ein bisschen), aber das spielt ja jetzt eigentlich gar keine Rolle mehr, nicht wahr? Und da es reichlich Zeitgenossen gibt, denen diese (neue) Wahrheit, so wie sie sich jetzt darstellt (oder darstellen lässt) vortrefflich in den Kram passt, soll dies dann wohl eben auch die ganze und vollständige Wahrheit gewesen sein. Was mich angeht, so denke ich freilich, dass durch diese "neuesten Erkenntnisse" herzlich wenig klarer ist als vorher und eben keineswegs alle Fragen beantwortet, sondern - ganz im Gegenteil - die wirklich brisanten Fragen wohl gerade jetzt erst (erneut) zu stellen sind. Es ist doch schon ein wenig sehr schlicht, diese seit je ziemlich zwielichtige Gestalt namens Karl-Heinz Kurras nun einfach um 180 Grad zu drehen, und das Ergebnis dieser Wende dann für eine erschöpfende Erkenntnis zu halten. Auch wenn es manchem offensichtlich wie Oel runtergeht, dass er nun krakeelen darf, nicht etwa ein fanatischer Antikommunist, sondern im Gegenteil: ein "überzeugter Kommunist" habe Ohnesorg erschossen - ahm nein: ermordet, denn nun, wo es sich beim Täter ja nicht länger um einen "Gleichgesinnten" handelt, muss man auch nichts mehr beschönigen.

Aber was für ein Mensch war bzw. ist denn dieser Karl-Heinz Kurras überhaupt? Gibt es überhaupt Gründe, ihm dieses oder jenes Etikett zu verpassen und wenn ja - welche?

Schauen wir zunächst mal, was sich bei Wikipedia zu seiner Biographie findet:
Karl-Heinz Kurras wurde als Sohn eines Polizeibeamten in Ostpreußen geboren. Im Alter von fünf Jahren wurde er eingeschult und besuchte später die Oberschule. Als er sich 1944 als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldete, erhielt er ein Notabitur. Nach Kriegsende kam er nach Berlin. 1946 wurde er zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach dreijähriger Haft in Sachsenhausen wurde er 1949 begnadigt und daraufhin in den Dienst der Westberliner Polizei gestellt. [1] Im März 1950 war er als Polizeimeister in Berlin-Charlottenburg tätig und versuchte 1955 in Ost-Berlin für die Deutsche Volkspolizei tätig zu sein. Nach einer "gründlichen Aussprache" wurde Kurras zum Verbleib bei der West-Berliner Polizei überzeugt. 1960 wechselte Kurras zur Kriminalpolizei. Seit Januar 1965 gehörte Kurras eine Sonderermittlungsgruppe an, die sich mit der "Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen" befasste.[2] Ebenso wurde Kurras zu einem Mitglied der Abteilung I für Staatsschutz in West-Berlin. Er galt als guter Schütze seiner Einheit und als "Waffennarr". [3] Kurras lebt heute in Berlin-Spandau.

In der Welt hingegen wird behauptet, Kurras habe sich schon 1950 bei der DDR-Polente beworben, sei aber bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen:

Nach Müller-Enbergs Recherchen bewarb sich Kurras 1950 bei der DDR-Volkspolizei, sei allerdings durch die Aufnahmeprüfung gefallen. Nur deshalb habe er dann für die West-Berliner Polizei gearbeitet. Seine Weltanschauung habe er aber nicht geändert. Rätselhaft ist am Lebenslauf von Kurras, dass er von 1946 bis 1950 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen eingesessen hatte. Illegaler Waffenbesitz hatte ihn dorthin gebracht. Gewöhnlich waren entlassene Häftlinge aus den Internierungslagern von jeder Begeisterung für den Sozialismus stalinistischer Prägung kuriert. Bei Kurras traf das offenbar nicht zu.
Für die Verurteilung werden unterschiedliche Gründe angegeben. Mal heißt es, (wie auch die Welt berichtet), er sei verurteilt worden, weil er nach Kriegsende eine Waffe nicht abgegeben habe, mal, man habe ihn wegen politischer Aktivitäten (als Wahlkämpfer) verurteilt und erst 1955 solle er dann versucht haben, bei der Volkspolizei in der DDR anzuheuern, wo man ihn aber als Polizisten nicht haben wollte, sondern ihn stattdessen eben als IM einsetzte.

Über "seine Weltanschauung", die Kurras angeblich "nicht geändert" hat, lässt sich ehrlicherweise nur spekulieren. Vielleicht stimmt dieser Satz (Zitat oben) sogar, und zwar insofern, als Kurras womöglich immer diejenige "Weltanschauung" beibehalten hat, die ihn motivierte, mit 17 Jahren, 1944, als der Krieg faktisch laengst verloren war, freiwillig in Hitlers Wehrmacht einzutreten. Seine Versuche sowohl in West wie in Ost in den Polizeidienst augenommen zu werden sind womöglich sehr viel weniger einer bestimmten politischen Weltanschauung geschuldet als vielmehr - in Anbetracht dessen, was über doch sein recht "inniges" Verhältnis zum "Schießsport" bekannt wurde - dem ausgeprägten Wunsch, eine tödliche Schusswaffe (legal) zu besitzen und bei sich zu führen, wenn nicht sogar dem heimlichen Verlangen diese Waffe auch einmal im "Ernstfall" einsetzen zu dürfen (bzw. sogar zu müssen). Darauf verweist m. E. recht deutlich der Umstand, dass Kurras hinsichtlich der Tötung Ohnesorgs offenbar nie ein Zeichen der Reue oder des Bedauerns zeigte, sondern vielmehr der verpassten Gelegenheit, bei der er hätte noch exzessiver "ballern" können, nachtrauerte:

"Fehler? Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur ein Mal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So iss das zu sehen." (Stern)


Dass Kurras (hinsichtlich seiner vorgeblichen "Liebe" zur DDR) tatsächlich ein "Überzeugungstäter" gewesen sein sollte, scheint mir dagegen wenig plausibel zu sein. Eher würde ich eher vermuten, dass die Stasi entweder etwas über Kurras wusste, mit dem sie ihn erpressen konnte oder aber, dass Kurras womöglich im Auftrag anderer Dienste überhaupt erst als IM angeheuert hat. Ein Verdacht, den offenbar auch seine Chefs bei der Stasi hegten:

In der Akte finden sich keine Hinweise darauf, dass Kurras Ohnesorg im Auftrag der Stasi erschoss, um Westberlin zu destabilisieren. Im Gegenteil: In Kurras SED-Parteibuch wurden nach dem 2. Juni 1967 keine Marken mehr geklebt. Die Stasi habe am 8. und 9. Juni geprüft, ob Kurras ein Doppelagent sei. Offenbar konnte sich die Stasi Kurras Schuss auf Ohnesorg nur erklären, indem sie ihn als U-Boot verdächtigte.(taz)
Als weitere Möglichkeiten bleiben schlichte Geldgeilheit und /oder die Möglichkeit, sich so (nebenbei) seine Lieblingsbeschäftigung ("Ballern wie die Blöden") auf vergleichsweise angenehme Weise zu finanzieren. Vielleicht gab ihm seine Doppelrolle (und das damit verbundene Bewusstsein mehr zu sein als zu scheinen) auch einen besonderen "Kick". Was immer ihn bewogen haben mag und was immer er wirklich für eine Rolle gespielt hat - von ihm selbst wird man es ganz sicherlich nicht erfahren, denn gleichgültig was er dazu zum Besten gibt, es gibt keinen Anlass ihm (noch) irgendetwas zu glauben, das nicht zugleich auch von anderer Seite ("objektiv")zu belegen ist.

Nachdenklich stimmt mich auch, dass die Stasi-Akte des Kurras dessen Original SED-Mitgliedsbuch enthalten haben soll. Warum? Damit es seine Kollegen (West) nicht "aus Versehen" bei ihm finden können? - Oder eher, um gegebenenfalls ein zusätzliches Druckmittel gegen ihn in der Hand zu haben? Jedenfalls scheint es mir keineswegs unvorstellbar, dass man Karl-Heinz Kurras womöglich (mit "freundlichem" Nachdruck) genötigt hat in die Partei einzutreten; "Wenn Du nicht spurst 'Genosse', dann geht das Ding postwendend an Deine Dienststelle West. Also mach ja keine Zicken." Dass Kurras so blöde gewesen sein sollte, das Ding freiwillig und aus freien Stücken der Stasi zu überlassen (vorausgesetzt es ist tatsächlich "echt", immerhin sieht es - soweit ich es beurteilen kann - auf den Fotos aus, als käme es frisch aus der Druckerpresse), mag ich jedenfalls nicht so recht glauben. Vielmehr neige ich dazu, diesen Umstand als ein Indiz dafür sehen, dass die Firma "Horch und Guck" dem lieben und angeblich ach so überzeugten Kollegen 'Genossen', wohl doch nicht so recht über den Weg getraut haben wird. Auch, dass Kurras seit 1965 einer Sonderermittlungsgruppe, die sich mit der "Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen" befasste und der Abteilung I für Staatsschutz in West-Berlin angehört haben soll, wirft doch geradezu zwingend die Frage auf, wie es denn wohl um die Kontrolle dieser Kontrolleure bestellt gewesen sein mag. Ein so hohes Tier, dass man ihn nach Gutdünken hätte schalten und walten lassen, scheint Kurras ja nun auch wieder nicht gewesen zu sein. Vielleicht sollte man sich also endlich auch mal bei BND, CIA, Verfassungsschutz usw. nach einer "Akte Kurras" umsehen?

In eher (neo-)konservativen und weiter rechten Kreisen meint man nun offensichtlich - das zeigen zahlreiche Kommentare zu Artikeln, sowie in diversen entsprechend ausgerichteten blogs und Foren zu denen ich hier "keinen Link habe" (© by feynsinn) - triumphieren zu dürfen. Allein, dazu besteht doch wenig Anlass. Nicht die (westdeutsche) Linke ist durch diese "neuen Erkenntnisse" blamiert, sondern (nun erst recht) die Berliner Polizei und der westdeutsche bzw. Westberliner Justizapparat, nebst all seinen "Abwehrdiensten". Entweder hatte man bei der Westberliner Polizei geradezu erschreckend niedrige Ansprüche an die Qualitaet des Personals - immerhin soll Kurras ja nicht einmal die Aufnahmeprüfung bei der VoPo bestanden haben - oder aber man hatte gute Gründe, den Mann nicht nur einzustellen, sondern auch noch ziemlich schnell in eine ziemlich brisante Position zu befördern.

Schlussendlich aber kann man es drehen und wenden wie man will: Benno Ohnesorg wurde nicht erschossen, weil Kurras ein IM und Mitglied der SED war (vorausgesetzt, dass das stimmt), sondern, weil er als Angehöriger der (West-)Berliner Polizei (und womöglich weiterer "Dienste"?) an jenem Tag und Ort im Einsatz war. Dafür, dass Kurras Ohnesorg im Auftrag der Stasi (als als IM) erschossen haben könnte, (eine These,an der man sich in oben erwähnten, hier nicht verlinkten Kreisen ausgiebig delektiert) spricht nach Aussage von Müller-Embergs nichts. Die Frage aber, ob Kurras (und seine Kollegen) evtl. von anderer Seite angehalten worden sein könnten, die Situation möglichst stark "anzuheizen", und Kurras diese Gelegenheit dann "nach besten Kräften" (und dazu in seinem ureigenen Sinne) beim Schopf ergriff, bleibt jedoch weiter offen.

Auch eine andere (geänderte) Wahrheit ist noch nicht die ganze Wahrheit.

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Freitag, 22. Mai 2009

Benno Ohnesorg wurde von einem Arschloch erschossen

Aber das zu berichten ist - schon, weil sich das sowieso jeder denken kann - nicht ausreichend, jedenfalls nicht für eine Meldung, mit deren Hilfe sich Auflage und Klickrate auch 42 Jahre nach der Tat noch einmal verlässlich steigern lassen soll. Und außerdem schimpft man einen deutschen Polizisten nicht ungestraft Arschloch. Da ist es dann doch höchst willkommen, wenn man das Arschloch als (ehemaligen) Stasi-Spitzel outen kann (Zumal es sich beim Zweiten mehrheitlich ohnedies bloß um eine Untermenge des Ersten handeln dürfte). - Sorry - als mutmaßlichen Mitarbeiter des MfS natürlich.

Dazu zunächst ein paar Headlines vom Tage:

Ohnesorgs Todesschütze war IM

Der frühere Polizeibeamte Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, soll unter dem Decknamen "Otto Bohl" jahrelang für die Stasi gearbeitet haben. (Tagesspiegel)
Benno Ohnesorg wurde von Stasi-Spitzel getötet

2. Juni 1967. Benno Ohnesorg liegt sterbend am Straßenrand in Berlin. Die Studentin Friederike Dollinger kümmert sich um den jungen Mann. Er wurde von Karl-Heinz Kurras erschossen - über den jetzt bekannt wurde, dass er Stasi-Mann gewesen sein soll... (Welt)
Ohnesorg von Stasi-Spitzel erschossen

– unbekannt war bis heute, dass der Polizist Karl-Heinz Kurras offenbar ein Stasi-Mitarbeiter war. Kurras, der Ohnesorg unter bis heute ungeklärten Umständen getötet hat, sei ein Stasi-Spion und Mitglied der SED gewesen ist [! man würdige diese geradezu revolutionäre Grammatik: der konjunktivistische Indikativ], berichten das ZDF und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ unter Berufung auf Erkenntnisse der Birthler-Behörde. (OP-online.de)

Die Süddeutsche verwendet für ihre Headline immerhin Anführungszeichen, kennzeichnet sie dergestalt also als Zitat - ohne freilich zu verraten wer hier zitiert wird - und relativiert dann auch und zwar im anspruchsvollen Zick-Zack Verfahren:

"Ohnesorg von Stasi-Spitzel erschossen"

Neue Erkenntnisse im Fall Benno Ohnesorg: Der Polizist, der den Studenten 1967 ermordete, soll nach Medienberichten Stasi-Spitzel und SED-Mitglied gewesen sein.

Der Student Benno Ohnesorg ist 1967 in Berlin offenbar von einem Stasi-Mitarbeiter erschossen worden. Der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der den Studenten unter bis heute ungeklärten Umständen getötet hat, sei ein Stasi-Spion und Mitglied der SED gewesen ist, berichten das ZDF und die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Berufung auf Erkenntnisse der Birthler-Behörde.

Die FAZ, auf die sich die Süddeutsche als Quelle beruft, relativiert freilich nicht:

Stasi-Mitarbeiter erschoss Benno Ohnesorg

Der Polizist Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg aus nächster Nähe erschoss, war Mitglied der SED und Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).


Dass BILD ebenfalls nicht relativiert, versteht sich wohl von selbst:

Stasi-Spion erschoss Benno Ohnesorg

Der Berliner Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras (heute 81), der den Studenten während einer Demonstration beim Schah-Besuch am 2. Juni 1967 erschossen hatte – ein Stasi-Spitzel.


Bereits vor zwei Jahren äußerte sich das mutmaßliche Arschloch Kurras gegenüber dem Stern übrigens wie folgt:
Heutige Polizisten würden viel zu selten von der Schusswaffe Gebrauch machen. Er könne vielleicht einen Schlag abbekommen, aber keinen zweiten. "Dann ist der Junge aber vom Fenster. Fehler? Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur ein Mal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So iss das zu sehen."
Im selben Artikel ist zuvor noch zu lesen:
Der Rücken Ohnesorgs, das habe Kurras selbst gesehen, sei voller Striemen gewesen, und er schließt daraus noch heute: "Das muss ja ein ganz Schlimmer gewesen sein." Richter Geus hielt in seinem Kurras freisprechenden Urteil fest: "Es besteht leider der dringende Verdacht, dass auf Ohnesorg auch dann noch eingeschlagen wurde, als er tödlich getroffen bereits am Boden lag."
Was mich befürchten lässt: Ein Arschloch kommt selten allein; und: Pack verträgt sich und dann schlägt's Dich.

Nachbemerkung:

Beim Tagesspiegel findet sich unter anderem folgender Leserkommentar:

die ohnehin schmuddelige Geschichte der 68er muss neu geschrieben werden

Aber gewiss doch. Man wird - vermutlich mit großer Genugtuung - in diesem Zusammenhang nunmehr überall in den Geschichtsbüchern das Wort "Polizist" schleunigst durch "Stasi-Agent" ersetzen und selbst noch der bravste und untertänigste Leser wird bei der Lektüre dieser Schriften fortan ungestraft und ohne Gewissensbisse lauthals "So ein Arschloch!" ausrufen dürfen. Schöne heile Welt.

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Dienstag, 19. Mai 2009

Selten dämlich ...

... ist der "Kommentar" zum Armutsatlas von Nikolaus Blome in der BILD .

Blome behauptet, die Berechnung sei ein "Taschenspielertrick" und "beweist" das wie folgt:
Kommen morgen tausend neue Millionäre nach Deutschland, steigt das Durchschnittseinkommen – und wir haben rechnerisch, oh Schreck, noch „mehr Arme“, die darunter liegen. Verlassen tausend Millionäre das Land, sinkt plötzlich auch die Zahl der „Armen“.


Lieber Herr Blome,

wenn "morgen tausend neue Millionäre nach Deutschland" kommen, so steigt nicht etwa das Durchschnittseinkommen, sondern (zunächst) nur das Durchschnittsvermögen. Und wenn es richtig wäre, dass Millionäre, die das Land verlassen, die im Lande Bleibenden durch ihren Umzug "reicher" machen, müssten wir uns - angesichts zahlreicher vorbildlicher Großverdiener wie etwa den Ex-Sportskanonen Schuhmacher und Beckenbauer oder dem Milchmogul Müller - ja jetzt schon vor Reichtum kaum retten können.
Die Unterschiede in Deutschland haben viele Wurzeln, manche reichen Jahrhunderte zurück.

Daran ändert auch keine Statistik etwas, die Armut wahllos definiert, um Gleichmacherei zu rechtfertigen.
Welch grandiose Analyse. Zu dumm nur, dass es bei sich bei dem vorgelegten Armutsatlas nicht um ein Geschichtswerk, sondern um eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Lage handelt. Und immerhin: dem Atlas liegt eine hinreichend genau benannte Definition von Armut zu Grunde. Eine Definition, die Sie offensichtlich für überflüssig halten, denn eine Alternative bieten sie nicht an. Da fragt sich freilich wie Sie - ohne Definition - Ihre Bemerkung, dass Bayern "[v]or Jahrzehnten fast noch ein Agrar-Armenhaus" gewesen sei, belegen wollen. Muss man nicht definieren, meinen Sie? Das sei doch offensichtlich so gewesen? - Ah ja.

Bleibt noch anzumerken, dass man Menschen, die - wie Sie es in Ihrem Schlusssatz tun - etwa ins Haus stehende Maßnahmen zur Armutsbekämpfung implizit als "Gleichmacherei" denunzieren, eigentlich empfehlen möchte, sich am besten selbst gleich davon zu machen. Die Schweiz ist ja nicht weit. Und mit jedem Dummbeutel der dieses Land verlässt, nimmt - Ihrer Logik folgend - auf jeden Fall ja wenigstens die geistige Armut entsprechend ab.

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