Freitag, 6. Juni 2008

Bildungsnotstand

"Der Fabrikant, der Großkapitalist, der Großlandbesitzer ist im Grunde seines Wesens der Bildung der Proletarier abgeneigt. Er fühlt mit gutem Recht, daß der gebildete Prolet seiner bevorzugten Stellung in der Welt gefährlich werden kann. Aber das Wirtschaftsleben ist so kompliziert und verwickelt geworden, daß ein Fabrikant, der ungebildete Arbeiter hat, von jenen Fabrikanten, die gebildete und hochintelligente Arbeiter um sich sammeln, zugrunde gerichtet wird. Ein Eisendreher, der nicht berechnen kann, welche Übertragungsräder er einstellen muß, wenn er ein Gewinde von zehn Gängen auf einen Zoll Länge bringen soll, ist heute durchaus wertlos für einen Fabrikanten. [...] Der Kapitalist von heute muß, um Kapitalist sein und bleiben zu können, den Staat unterstützen und sogar anspornen, den Kindern des Proletariats, die er ja eines Tages als Arbeiter benötigt, eine so gute Schulbildung zu geben, wie sie vor hundert Jahren nur selten die Kinder von Fabrikanten erhielten. Der Kapitalist muß mit seinen Steuern diese Bildung des Proletariats unterstützen. Er tut es mit bitterem Grimm im Herzen, aber er hat keinen anderen Ausweg. Heute, und mehr noch in Zukunft, steht nicht das Land an erster Stelle in der Welt, das die gebildetste Oberschicht hat, sondern das Land bestimmt den Wert des Dollars, das innerhalb seiner Grenzen das gebildetste Proletariat aufzieht."
B. Traven. Der Karren. Verlag Volk und Welt. Berlin 1954 S. 19f.

Trendwende?
Machen wir uns nichts vor: eine Gesellschaft in der Bildung zur "Ware" verkommt und Schüler und Studenten zunehmend als "Kunden" angesehen werden, wird weiterhin genau so viel "Gebildete" produzieren, wie sie als wirtschaftlich "verwertbar" zu benötigen meint, denn etwa überschüssige "Ungebildete" sind erstens billiger und zweitens leichter "ruhig" zu halten. Deswegen wird das Gerede von der "Wissensgesellschaft" auch künftig eine hohle Phrase bleiben.


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Freiheit, die ich meine

Fundstück:
Freier Staat - was ist das?

Es ist keineswegs Zweck der Arbeiter, die den beschränkten Untertanenverstand losgeworden, den Staat "frei" zu machen. Im Deutschen Reich ist der "Staat" fast so "frei" als in Russland. Die Freiheit besteht darin, den Staat aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr durchaus untergeordnetes Organ zu verwandeln, und auch heutig sind die Staatsformen freier oder unfreier in dem Maß, worin sie die "Freiheit des Staates" beschränken.
Marx-Engels. Ausgewählte Schriften II. Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei (Kritik des Gothaer Programms). Dietz Verlag. Berlin 1975. S.23

Variation zum Thema:

Freier Markt - was ist das?

Es ist keineswegs Zweck der Bürger, die den beschränkten Konsumentenverstand losgeworden, den Markt "frei" zu machen. In der Bundesrepublik ist der "Markt" fast so "frei" als in den USA. Die Freiheit besteht darin, den Markt aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr durchaus untergeordnetes Organ zu verwandeln, und auch heutig sind die Marktformen freier oder unfreier in dem Maß, worin sie die "Freiheit des Marktes" beschränken.

Was allein zaehlt: freie Menschen.

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Donnerstag, 5. Juni 2008

Frisch geklaut: Spruch des Tages

Geklaut, weil ich ihn so geil fand, ihn aber an der Fundstelle nicht kommentieren konnte, ohne mich vorher zu registrieren.

Wenn (Neo-) Liberale behaupten, dass kein demokratischer Sozialismus möglich sei, warum sollten wir ihnen dann noch die Lüge einer angeblich sozialen Marktwirtschaft abnehmen, welche sie zu vertreten vorgeben?

Es gibt natuerlich gar keinen Grund das zu glauben, denn waehrend der demokratische Sozialismus ein Pleonasmus ist, ist die soziale Marktwirtschaft ein Oxymoron.

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Wie man Menschen in Arbeit und sich selbst ins Gespraech bringt

oder:

Wie man von Arbeitslosigkeit als Experte prima leben kann

Man klicke hier drauf, begutachte dann staunend das Einsteiger/Experten-Verhaeltnis und verlasse die Seite nicht, ohne die wertvollen Tips der Experten zur Kenntnis und sich zu Herzen zu nehmen.

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Mittwoch, 4. Juni 2008

Hartz IV - "Paulines Pech"


Ohne Kommentar.


"Georg Heil spendet regelmäßig für gute Zwecke. Diesmal sollte das Geld nicht an eine Organisation wie die SOS-Kinderdörfer gehen, sondern einem Mädchen direkt zukommen, Pauline aus Rostock, elf Jahre alt. Heil, 75, hatte in der FR gelesen, was Pauline über ihr Leben erzählt, ein Leben zu den finanziellen Bedingungen von Hartz IV.

Den Rentner rührte das Mädchen, und er überwies der Mutter von Pauline und ihren beiden Geschwistern in zwei Raten zusammen 250 Euro. Das freute diese - aber nur kurz, denn ein Anonymus zeigte die Familie beim Rostocker Hanse-Jobcenter an, woraufhin dieses die Spende auf die monatliche Hartz-IV-Überweisung anrechnete. Heil hatte also unfreiwillig das Jobcenter bedacht."
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Gefunden ueber Oeffinger Freidenker

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Die Preisfrage des Tages ...

...lautet:

"Hat Hugo Müller-Vogg keine Ohren oder kein Gehirn?"

„Etwas bleibt immer hängen.“ Nach diesem Rezept handelt Oskar Lafontaine , der Chef der „Linken“. Angela Merkel , so seine Behauptung, „durfte in Moskau studieren. Das waren nur Linientreue.“

Tatsächlich hat die DDR-Bürgerin Merkel in Leipzig studiert. Ein Auslandssemester absolvierte sie nicht beim „großen Bruder“ in Moskau, sondern in Prag. Die Sowjetunion kannte das Nicht-SED-Mitglied als Rucksack-Touristin, nicht als geförderte Genossin.

Dass Merkel nicht in Moskau studiert hat, bestätigt Dietmar Bartsch, der Bundesgeschäftsführer der Lafontaine-Partei. Der muss es wissen: Er selber durfte 1986 in Moskau studieren. Warum aber verbreitet Lafontaine Unwahres? Bartsch : „Ein Missverständnis.“

Quelle (BILD)

Da Lafontaine im Text wortgetreu zitiert wird: "... durfte in Moskau studieren...", womit ja nicht gesagt ist, dass sie das dann auch getan haette, sollte man annehmen, dass die Ohren wohl vorhanden sein duerften .. aber wer weiss, vielleicht hat er das Zitat ja selbst nur irgendwo gelesen ..

Wahr ist, dass Unwahres verbreitet wird, und zwar: dass Lafontaine bei Anne Will Unwahres verbreitet habe.
;-)

P.S. Danke an Carl fuer den indirekten Link zur Quelle.

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Zur buergerlichen Linken

Harald Neuber schreibt im Resumee seines heute bei Telepolis erscheinenen Artikels "Anne gegen den politischen Willen" unter anderem:
"Der CDU-Mann Pflüger echauffiert sich stattdessen über die implizite Kernthese Wills, die lautet: Auch bei der Linkspartei handelt es sich um eine System stabilisierende Kraft. Denn ihre Systemtreue hat sie gerade mit der Übernahme des enormen Schadens durch den Bankenskandal bewiesen.
[...]
Die Linkspartei ist als Kraft einer bürgerlichen Linken weiter auf Erfolgskurs."

Ja, da ist was dran. Allerdings stellt sich mir die Frage, inwieweit es eine linke und zugleich buergerliche Politik ueberhaupt geben kann, da m. E. jede buergerliche Politik letztlich darauf hinauslaeuft, zu verhindern, dass das Proletariat (oder was davon als "Prekariat" noch uebriggeblieben ist) tatsaechlich die Herrschaft ergreift und sodann alle Klassenschranken aufloest - mit der Folge, dass sowohl das Buergertum als auch das Proletariat ununterscheidbar in der "Klassenlosen Gesellschaft" aufgehen muessen - und stattdessen ihre eigene Vorstellung einer Klassenlosen Gesellschaft etabliert (hat), in der formalrechtlich zwar die Klassen aufgeloest scheinen (jeder ist ein [Staats-]Buerger und hat Buergerrechte und -pflichten), die Schranken aber faktisch bestehen bleiben.

Aus diesen Grund - und weil ein mittlerweile ubiquitaeres "buergerliches Bewusstsein" die weiterbestehenden Differenzen verschleiert - laesst sich ja mit (buergerlichem) Recht heute schon behaupten, dass es ein Proletariat gar nicht mehr gebe.

Was nach wie vor in der politischen Landschaft keinen Platz hat, ist offenbar: eine nicht-buergerliche, demokratische (mithin: eine linke) Partei.

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Dienstag, 3. Juni 2008

Wirtschaftsexperten


Und es ist die flagrante Unfähigkeit der anderen Parteien, die komplizierten ökonomischen Zusammenhänge verständlich zu erklären, die es dem Chef der Linken so leicht macht, mit seinem märchenhaften Reader's-Digest-Sozialismus für Jung und Alt durchzukommen. Deshalb ist das Mantra des Dalai Lama von der Saar längst die Melodie, nach der alle anderen tanzen – selbst noch im polemischen Widerspruch.
Quelle (SPON)

Was man nicht "verstaendlich" erklaeren kann, kann man nicht erklaeren, was man nicht erklaeren kann, hat man in der Regel selbst nicht recht verstanden und ich fuerchte, bei den genannten "anderen Parteien" wird es sich gerade so verhalten. Sie haben selbst nicht verstanden, was sie "dem Volk" (unverstaendlich) "erklaeren" wollen.

;-)

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Montag, 2. Juni 2008

Applaus für Rita Knobel-Ulrich

Nachdem mein erster Eindruck war, dass die Anne Will Sendung vom 25. Mai einhellige Entrüstung hervorgerufen habe, zeigt sich inzwischen, dass auch die Zahl derjenigen, die die dort vorgetragenen und z. T. nachweislich falschen Angaben nur allzugerne unbesehen übernehmen und ihnen ausgiebig Beifall spenden, offenbar nicht ganz unbeträchtlich ist. Beispielgebend hingewiesen sei dazu auf diesen Forenthread sowie einen Kommentar zu meinem Beitrag zur Sendung, zu dem ich - um meine Antwort nicht bei den (leider) anscheinend (noch?) relativ wenig Beachtung findenden Kommentaren versauern zu lassen - im Folgenden Stellung nehmen werde; das auch, weil es in diesem Zusammenhang über die reine Stellungnahme zu besagtem Kommentar hinaus noch einiges zu sagen gibt, das m. E. einen eigenen Beitrag rechtfertigt.


Es ist sicherlich unschwer zu erkennen, dass der Kommentator ein ausgesprochener Verehrer von Frau-Knobel-Ulrich zu sein scheint; das wird seine Gründe haben und ist ihm nicht vorzuwerfen, trübt aber seine Wahrnehmung anscheinend doch ein wenig. Für eine solche Annahme spricht jedenfalls, dass er sich im Rahmen seines Kommentars ausschließlich auf diejenigen Punkte meines Artikels, die Frau Knobel-Ulrich betreffen, kapriziert.

Wer die Sendung gesehen hat, wird mir sicher darin zustimmen, dass man Frau Will alles mögliche vorwerfen kann, aber ganz sicher nicht, dass sie Frau Knobel-Ulrich in irgendeine "Ecke gestellt" hätte. Das, was sowohl die Autoren des offenen Briefes (der ja nicht nur an Frau Knobel allein gerichtet war) als auch ich und viele andere in blogs und Foren Frau-Knobel-Ulrich zum Vorwurf machen, ist, dass sie mit nachweislich falschen Zahlen "argumentiert" hat. Die hat sie aber frei von der Leber weg referiert. Dass sie darüberhinaus auch noch höchst einseitige filmische Darstellungen arbeitsloser Menschen unters Volk bringt, fällt im Rahmen dieser Kritik kaum noch ins Gewicht, legt allerdings die Vermutung nahe, dass hier mit Methode gearbeitet wurde, denn wer über einen, wie Frau Knobel-Ulrich ja selbst sagte, langen Zeitraum das Thema recherchiert haben will, der sollte auch die tatsächlichen Bedingungen kennen unter denen die von Hartz IV Betroffenen leben müssen. - Wenn das nicht der Fall ist, bleibt zu konstatieren: entweder wurde schlampig recherchiert oder aber unverfroren gelogen. Wenn Frau Knobel-Ulrich also in irgendeiner "Ecke" gelandet sein sollte, wo sie nicht hinzugehören meint, dann hat sie das ganz allein sich selbst und ihren sachlich falschen Ausführungen, die man in meinem Artikel ja - größtenteils wörtlich wiedergegeben - nachlesen kann, zuzuschreiben.

Dass es Menschen gibt, die schlicht keine Lust mehr haben ins Arbeitsleben zurückzukehren, will ich gar nicht bestreiten. Ich selbst habe mehr als einen solchen "Faulenzer" kennengelernt. Aber erstens haben auch solche Menschen wenigstens zum Teil schwerwiegende Gründe, deren sie sich mitunter selbst nicht bewusst sind oder die sie nicht zu artikulieren verstehen, für diese Haltung und zum anderen kenne ich sehr viel mehr Hartz IV-Abhängige, die unter ihrer Erwerbslosigkeit extrem leiden. Und unter diesen sind wiederum etliche zu deutlich mehr in der Lage, als "irgendwo inne Putzkolonne" oder "auf'n Acker" für Hungerlöhne ihr Talent und ihre Fähigkeiten zu verschwenden. Stellvertretend für viele andere sei hier nur exemplarisch verwiesen auf mehrere diplomierte Sozialarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung, einen Diplomchemiker sowie eine promovierte Biologin, von zahlreichen Jugendlichen mit durchaus vorzeigbaren Schulabschlüssen, die vergeblich eine Lehrstelle suchen, ganz zu schweigen. Der Schluss "Hartz IV = unqualifiziert -> mehr Niedriglohnjobs müssen her", hat m.E. noch nie gestimmt, wird aber immer wieder gebetsmühlenartig runtergeleiert. Ja ich weiss: Frau Knobel-Ulrich hat das so nicht gesagt. Andererseits hat sie aber ganz offensichtlich bei Hartz IV nicht viel mehr als: "Angehörige bildungsferner Schichten" im Kopf, anders ist ihre reflexartige Assoziation zu Putzkolonne und Salatanbau kaum zu erklären.

Was die Zahl oder die Quote konsequenter Leistungsverweigerer, von Hartz IV Freunden oft abfällig als "Dauerhängemattenbewohner" bezeichnet, angeht, so gibt es dazu soweit mir bekannt keine Erhebungen. Im in der Einleitung verlinkten Forenthread wurde eine Quote von 30% behauptet. Auch wenn ich diese Annahme für stark übertrieben halte - welche besonderen, womöglich positiven Auswirkungen hätte eine Reduktion dieser (hypothetischen) Quote auf die gegenwärtige Situation am Arbeitsmarkt? Ich möchte behaupten: gar keine. Offiziell gibt es hierzulande gegenwärtig bekanntlich rund 3,5 Millionen Arbeitslose, selbst wenn von denen rund eine Million als "Totalverweigerer" einzustufen wären, so blieben immer noch mehr als 2,5 Millionen Menschen, die händeringend eine Arbeit suchen, die sie in der Mehrzahl nach wie vor gar nicht finden können und es ist überhaupt nicht einzusehen, warum auf irgend jemanden ein besonderer Druck ausgeübt werden müsste, damit sich die Gesamtsituation verändert. Es ist m. E. folglich reine Energievergeudung, sich über irgendwelche (vermeintlichen oder tatsächlichen) Faulenzer zu ereifern, für die es im real existierenden Erwerbsleben derzeit ohnehin nirgends einen Platz gibt. Das eigentliche Ziel der repressiven Arbeitsmarktpolitik kann also nur sein, das denkbar größte Unbehagen hinsichtlich des unvermeidlichen Kontaktes mit den Mühlen der Bürokratie zu erzeugen und dergestalt möglichst viele Menschen davon abzuhalten, ihre Rechte überhaupt erst geltend zu machen. Solange die Leute sich noch irgendwie durchschlagen können, dabei nicht in Massen verhungern und sich so die Kosten senken lassen ist ja eigentlich auch nichts zu beanstanden - oder?

Bei manchen "Totalverweigerern" sind Aussagen wie: "Arbeit ist sowieso Scheisse, ohne mich.." usw. häufig ohnedies nichts anderes als ein verzweifelter Versuch, ihr durch die bedrückende Situation in der sie sich befinden beschädigtes Selbstwertgefühl wenigstens noch rudimentär zu retten: sie "drehen den Spiess um" und machen sich selbst verantwortlich für etwas, das sie selbst (zumindest allein) gar nicht zu verantworten haben. Sie machen sich - wenn man so will - selbst von Opfern zu Tätern, um das lähmende Gefühl der eigenen Wehr- und Hilflosigkeit zu unterdrücken und weil sie nicht selbst als "Opfer" gelten möchten. Eine gut recherchierte Reportage zum Thema hätte auch diese Seite(n) zeigen müssen. Das ist ausgeblieben - und es soll offenbar der Anschein erweckt werden: anderes als das was wir euch zeigen gibt es nicht und damit: die sind alle so, alle zu faul und wenn man ihnen das Geld kürzt oder wegnimmt, dann sind die Ruck-Zuck wieder in Arbeit. Und Heiner Geißler hat vollkommen recht, wenn er das eine Verhöhnung in Not geratener Menschen nennt.

Dass man Frau Frau Knobel-Ulrich einbremste, als sie Heiner Geißler zu unterbrechen versuchte, ist mitnichten "undemokratisch". Immerhin handelt es sich bei der Sendung um eine moderierte Talkshow, bei der das jeweilige Rederecht durch den Moderator vergeben wird, und das sollte eigentlich jeder wissen, der an sowas teilnimmt oder es sich ansieht. Davon abgesehen bin ich durchaus der Meinung, dass Frau Knobel-Ulrich ausreichend Zeit hatte ihren Standpunkt darzustellen und bin mir obendrein ziemlich sicher, dass sie dem, was sie bereits zuvor geäußert hatte, keine neuen Aspekte hätte hinzufügen können oder wollen.

Ferner muss weder ich noch irgend ein anderer, der sich mit dieser Sendung und den dort gemachten Aussagen auseinandersetzt, obendrein noch irgendeinen der Filme von Frau Knobel-Ulrich gesehen haben, um zu den von ihr bei Anne Will vorgetragenen Ansichten Stellung nehmen zu können. Der müsste dann der Fairness halber nämlich auch den vollständigen Armutsbericht der Bundesregierung und einen ganzen Packen von Butterwegges Studien gelesen haben, was wohl doch etwas viel verlangt wäre. Um sich ein Bild des Sachverhaltes, um den sich die Sendung drehte, zu machen und sich ein Urteil zu den diesbezüglichen Aussagen der Diskussionsteilnehmer zu bilden, ist es nicht nur hinreichend, sondern m. E. sogar von Vorteil, wenn man die Situation von Hartz IV Betroffenen aus eigener Anschauung kennt. Man wird dann unschwer feststellen aus welcher Ecke die "Vorurteile" kommen. Mag ja sein, dass die Filme von Frau-Ulrich ansprechend gemacht sind - über den Wahrheitsgehalt und die mögliche Selektivität des Gezeigten sagt das aber noch gar nichts. Man nehme es mir nicht übel, wenn ich dem, was ich mit meinen eigenen Sinnen unmittelbar wahrnehmen kann sowie nachvollziehbaren wissenschaftlichen Studien mehr vertraue, als einer Darstellung, die sich anheischig macht, in 45 Minuten die "Wahrheit" über 8 Millionen Betroffene unter Berufung auf eine Handvoll offenbar "sorgfältig" ausgesuchter Beispiele zu verkünden.

Wer mir nachsagt, dass ich anderen Leuten (und insbesondere Frau Knobel-Ulrich) in meinem Artikel "Meinungen" unterstellt hätte, der hat den betreffenden Artikel offensichtlich nicht gründlich gelesen. Die "Meinungen" von Frau Knobel-Ulrich wurden in sorgfältig transkribierter, wörtlicher Rede nahezu vollständig wiedergegeben und wer das bezweifelt, der kann den Text ja jederzeit mit der Sendung selbst vergleichen. Die Schlüsse, die ich aus dem Gesagten ziehe, sowie meine Stellungnahmen (meine eigene Meinung also) sind als solche klar von dem was Frau Knobel-Ulrich tatsächlich von sich gegeben hat unterscheidbar.

Was die "Hotel-Reihe" angeht: Habe ich eine Filmkritik geschrieben? Mitnichten. Ja, mag sein, dass sie "die kleinen Leute zu Wort kommen lässt". Das sagt aber noch nichts über ihre Intentionen - warum lässt sie die denn zu Wort kommen? Beabsichtigt sie deren Situation zu verbessern? Unternimmt sie etwas gegen deren Nöte? Oder dürfen die nur reden, weil sie hübsch "brav um sechs zur Arbeit zuckeln" und sich auch ansonsten so verhalten, wie man es von "Kleinen Leuten" eben erwartet?

Zu Holger O.: Soso - er ist also, wie der Kommentator meint, kein armer Teufel. Der Report wurde 2005 gedreht. 2008 bekommt der Mann immer noch Unterstützung. In der Zwischenzeit dürfte dem Job-Center sein "Fehlverhalten" eigentlich nicht entgangen sein - immerhin wurde der Film seither vermutlich mehr als nur einmal gesendet und die Identität seiner Person ist allem Anschein nach ja auch ein offenes Geheimnis. Wenn man dem Mann ernstlich etwas hätte vorwerfen können, dann wäre er mit einiger Sicherheit längst aus dem Leistungsbezug gefallen; da verstehen die ArGen nämlich normalerweise keinen Spaß. Wer Hartz IV bezieht, muss nicht nur jede Arbeit, sondern jede "Arbeitsgelegenheit" annehmen, wenn er nicht Gefahr laufen will, dass man ihm seine Bezüge kürzt. Und das bedeutet im Klartext: er ist nicht nur verpflichtet jede "zumutbare" Erwerbstätigkeit" anzunehmen, die man ihm anbietet, sondern er muss auch bereit sein jederzeit unentgeltlich zu arbeiten. Diese Art von Tätigkeiten wird gemeinhin euphemistisch als "Ein-Euro Job" beschrieben und im Amtsdeutsch "Tätigkeit mit MAE" genannt. MAE steht für Mehraufwandsentschädigung und das besagt Folgendes: derjenige, der eine solche Arbeitsgelegenheit "wahrnimmt", bekommt die ihm in diesem Zusammenhang zusätzlich anfallenden Kosten pauschal mit einem Euro pro Arbeitsstunde abgegolten. Er muss also immerhin nicht auch noch Geld mitbringen um arbeiten zu "dürfen". Für die eigentliche Arbeit die er verrichtet, erhält er aber nicht einen Cent. Der sogenannte "Ein-Euro Job" ist also genau besehen ein "Kein-Euro Job". Wird der "Ein-Euro-Jobber" krank, dann entfällt die MAE für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit komplett; Urlaub steht ihm (weil gesetzlich vorgeschrieben) zu, zwei Tage pro Monat, natürlich auch "unbezahlt" - wenn er Urlaub macht, hat er ja keine arbeitsbedingten Extrakosten. So einfach ist das. Bis vor kurzem war es noch Bedingung, dass eine solche "Tätigkeit mit MAE" gemeinnützig sein musste; das wurde inzwischen aufgeweicht und es reicht, wenn die Tätigkeit "im öffentlichen Interesse" ist. Man sieht - es ist womöglich nur noch ein sehr kleiner Schritt bis zur Realisierung der von Glos geforderten "Bürgerarbeit" - und wenn es einst "im öffentlichen Interesse" sein sollte, dass alle Erwerbslosen zum Spargelstechen nach Meck-Pom geschickt werden werden - okay, da wird man dann wohl nicht viel gegen sagen können - oder?

Und wo wir schon dabei sind, noch eine Anmerkung zum Sozialticket: Erstens wird so ein Ticket nicht bundesweit angeboten, sondern nur in einigen Orten, zweitens kostet ein Sozialticket (in Berlin 33,50 Euro) dann immer noch 14,50 Euro mehr, als der Regelsatz für Fahrtkosten (19 Euro) vorsieht; wer ein Sozialticket kauft muss diese 14,50 Euro Mehrkosten also an anderer Stelle wieder einsparen und drittens kann jeder Autofahrer, dem der Sprit zu teuer wird, sich auch eine Monatskarte der öffentlichen Verkehrsbetriebe kaufen oder mit dem Rad zur Arbeit fahren, damit täte er dann nebenbei auch sich selbst und der Umwelt etwas gutes.

Der Kommentator teilt mir ferner mit, Frau Knobel-Ulrich habe "ausführlichst die Arge-Angestellten und Betreuer zu Wort kommen lassen, die aus ihren jahrelangen Erfahrungen MIT ALLEN Arbeitslosen in Winsen/Luhe und nicht etwa ein paar Ausgewählten berichteten."

Hört! Hört! Dazu ist zu sagen, dass Hartz IV im Januar 2005 eingeführt wurde, also genau zu Beginn des Jahres, in dem Frau Knobel-Ulrich ihre Reportage fabrizierte. Vorher gab es erstens keine ArGen, somit selbstverständlich auch keine "jahrelangen Erfahrungen MIT ALLEN Arbeitslosen" und zweitens dürfte auch in Winsen/Luhe der größte Teil der damals frischgebackenen Hartz IV Empfänger des Jahres 2005 zuvor Arbeitslosenhilfe bezogen haben, was bedeutet, dass die "Betreuer", diese Leute, für die bis dahin die Arbeitsagenturen zuständig gewesen sind, mehrheitlich eben nicht "jahrelang" gekannt haben können (außer vielleicht in ganz anderen Zusammenhängen). Hinzu kommt, dass die Umstellung von Arbeitslosenhilfe auf Hartz IV für die meisten Betroffenen erhebliche Einschnitte ins Budget bedeutete - wer wollte da ernstlich erwarten, dass die sich voller Begeisterung in den ArGen drängeln?

Der Mensch, der mir in seinem Kommentar vorwirft, ich würde "hier klassische Demagogie" betreiben, kann - wenn wir der Definition, die Frau Schwan kürzlich aufstellte folgen wollen und uns dann mal sein eigenes blog ansehen - sicherlich selbst als ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet gelten. Um das festzustellen, muss man dort nicht einmal eine einzige Zeile lesen; die Illustrationen sprechen für sich. Mein Artikel ist sicherlich - und zwar in voller Absicht - polemisch; eine Polemik macht aber noch keinen Demagogen. Es ist im Übrigen eines, die Geschlagenen zu verspotten, ein anderes, dergestalt mit deren Peinigern zu verfahren und ein Drittes, wenn sich diejenigen, auf denen man herumtrampelt, selbst zur Wehr setzen, wie es die Verfasser des offenen Briefes an Frau Knobel-Ulrich und Konsorten eben gemacht haben.

Ein Wort noch zu den Horden von offenbar nach" Vera am Mittag" süchtigen Müttern, denn das scheint mir exemplarisch: sowohl Frau Knobel-Ulrich in der Sendung, als auch zunächst der Kommentator, sprechen von Müttern im Plural, doch dann heißt es im Kommentar plötzlich: "Besagte Mutter saß nämlich SELBST den ganzen Tag im Café und ließ es sich gut gehen, während ihre kleinen Kinder die noch Kleineren zur Archeschieben mußten." Es ist also von exakt einer Mutter die Rede und man darf wohl annehmen, dass auch genau eine beispielgebend in der entsprechenden "Doku" vorgestellt wurde - das reicht ja auch, denn so wie dieses eine Musterexemplar verhalten sich dann sicherlich auch alle anderen. Einwandfreie Minimalinduktion.

Zur Situation der Arbeitslosen insgesamt:
Man kann es gar nicht oft und deutlich genug sagen: Wer als Angehöriger der "Wirtschaftselite", jeden wirtschaftlichen Erfolg nur sich selbst zuschreibt und auf seinem Konto verbucht (was gängige Praxis und wobei das Konto keineswegs bloß metaphorisch zu verstehen ist), der - so möchte man annehmen - sollte auch "elitär" genug eingestellt sein, um Misserfolge auf seine Kappe zu nehmen. Dass dem nicht so ist, ist weder neu noch verwunderlich, denn es ist nicht sonderlich schwer die Schuld des Versagens auf die eigentlichen Opfer abzuwälzen. Wenn dieses oder jenes Missmanagement, diese oder jene Firmenpleite längst "Geschichte" und "Schnee von gestern" sind, ist der "faule" oder "unfähige" Arbeitslose nach wie vor ein konkret gegenwärtiger Tatbestand, dessen Geschichte freilich keinen interessiert. Und weil er "jetzt" arbeitslos ist, ist er jetzt eben auch selbst schuld - ist doch logisch, oder?

Die Verantwortung für die Wirtschaft kann aber nunmal primär nur bei der Wirtschaft selbst und damit bei deren "Verantwortungsträgern" und selbsternannten "Eliten" liegen und nicht etwa bei der Politik oder der Zivilbevölkerung und es sind nicht die Massen von Arbeitslosen, die die Massenarbeitslosigkeit erzeugt haben und somit ist auch kein einzelner Arbeitsloser dafür im Allgemeinen und mithin auch nicht für seine Situation im Besonderen verantwortlich zu machen. Es sei denn, man sucht einen Sündenbock.

Was gerade in den Medien abläuft, bestätigt leider allzu eindeutig die Studie des WZB, auf die ich in meinem letzten Beitrag hingewiesen habe:

"Wenn die Konjunktur lahmt, die Arbeitslosenzahlen hoch sind und Bundestagswahlen vor der Tür stehen, dann lassen Bundesregierungen gerne die Alarmglocken schrillen: „Es gibt zu viele faule Arbeitslose!“


Dem bleibt nichts hinzuzufügen.

Oder doch: ich nehme mal an, dass Frau Knobel-Ulrich, die dem Vernehmen nach selbst Mitglied der FDP ist, über die Herrn Westerwelle betreffenden Auesserungen des Kommentators not amused sein dürfte. ;-)

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Sonntag, 1. Juni 2008

Nicht neu aber aktuell: Stigmatisierung statt Arbeitsplätze

Laut einer Studie des Wissenschaftszentrum Berlin aus dem Jahr 2001 unterliegen "Faulheitsdebatten politischen Konjunkturen":

Wenn die Konjunktur lahmt, die Arbeitslosenzahlen hoch sind und Bundestagswahlen vor der Tür stehen, dann lassen Bundesregierungen gerne die Alarmglocken schrillen: „Es gibt zu viele faule Arbeitslose!“ In einer WZB-Analyse untersuchte Arbeitsmarktforscher Günther Schmid mit seinen Mitarbeitern Frank Oschmiansky und Silke Kull die Geschichte der vier größeren „Faulheits“-Debatten, die sich seit den 70er Jahren nachweisen lassen. Sie wurden jeweils ein bis anderthalb Jahre vor einer Bundestagswahl initiiert und weisen ein wiederkehrendes Muster auf.

[...]

Alle großen „Faulheits“-Debatten haben ein wiederkehrendes Muster, erkannten die WZB-Forscher:

· Sie fallen in Zeiten hoher oder politisch bedrohlicher Arbeitslosigkeit. Die ersten drei Debatten fallen in die drei großen Rezessionen, während derer die Arbeitslosigkeit jeweils stark anstieg. Hintergrund der aktuellen Diskussion ist die Erwartung, dass die von Bundeskanzler Schröder angestrebte Zahl der Arbeitslosen von weniger als 3,5 Millionen Personen im Wahljahr 2002 nicht erreicht wird.

· Die Debatten waren jeweils ein bis anderthalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl initiiert worden und/oder sie wurden nach einer Reihe empfindlicher Niederlagen der Regierungskoalition in Landtagswahlen angefacht.

· Zur gleichen Zeit stimmte in Meinungsumfragen ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung der Aussage zu, viele Arbeitslose wollten gar nicht arbeiten.

· Die ersten drei Debatten waren mit sinkenden Sperrzeitenquoten verbunden und führten zu einer Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln.

Quelle (WZB)

Wer haette das gedacht?

;-)

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