Mittwoch, 28. Oktober 2009

Zum Koalitionsvertrag: Blindgänger und Blendgranaten

Update: 28.10.2009 ca. 16:25h

Eine These aus dem Wolkenkuckucksheim: Niedrigere Unternehmens- und Erbschaftssteuern sowie weiterer Verzicht auf die Einführung einer Vermögenssteuer sollen zu Investitionen, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und damit zu "Wachstum" führen, das dem Staat dann trotz gesenkter Steuersätze zu höheren Steuereinnahmen verhelfen soll. Am Ende sollen dann mit diesen erwarteten Mehreinnahmen eben diejenigen Schulden getilgt werden, die jetzt gemacht werden um das Ganze in Gang zu bringen.

Wenn es ein Beispiel für eine Milchmädchenrechnung gibt, dann haben wir es hier gefunden.

Erstens besteht ganz offensichtlich kein Mangel an für Investitionen verfügbarem Finanzkapital, sondern gerade das Gegenteil ist der Fall: es gibt schon jetzt eher zu viel davon. Und weil es bereits seit geraumer Zeit mehr akkumuliertes Geldkapital gibt, als sich lukrative "realwirtschaftliche" Investitionsmöglichkeiten finden lassen, hat es überhaupt erst zur sogenannten Finanzkrise kommen können. Spekulation war (ist und bleibt) ganz offensichtlich gegenüber "realen" Investitionen die attraktivere "Anlagemöglichkeit".

Zweitens stehen die Milliardenbeträge, die die Regierung sich leiht, für unmittelbare Investitionen durch die Kapitaleigner nicht länger zur Verfügung. Warum leihen die aber der Regierung Geld, statt es selbst in Unternehmen zu investieren?

Vor allem - so wird man vermuten dürfen -, weil es lukrativer, mit weniger Aufwand verbunden und obendrein "sicherer" ist, der Regierung Geld zu leihen, als es irgendwo direkt zu investieren. Und so ist es ja auch: man erhält Zinsen für Geld, das man dem Staat leiht, damit er darauf verzichten kann, sich die erforderlichen Mittel etwa durch Steuern zu verschaffen und dieses Geld kann man dem Staat überhaupt erst leihen, weil er es einem nicht einfach "weggesteuert" hat. Letzteres wäre m. E. übrigens - abgesehen von Radikalmaßnahmen, wie etwa Hyperinflation oder Krieg - die einzige Möglichkeit, die Staatsschulden nach und nach tatsächlich abzubauen.

Zwischenbilanz: Es liegt also nicht an zu hohen Steuerlasten, wenn keine Investitionen vorgenommen werden, sondern an im Vergleich zu Spekulationserwartungen zu niedrigen und im Vergleich zu Staatsanleihen zu unsicheren Gewinnerwartungen.

Was dürfen wir als Folge erwarten?

Sobald das Kasino aus dem größten Schlamassel heraus ist, wird mit den erhöhten Gewinnen vor allem fröhlich weiterspekuliert werden. Der Effekt im Hinblick auf realwirtschaftliche Investitionen wird minimal sein - es sei denn, diese werden durch weitere offene oder versteckte Subventionen zusätzlich verzuckert.

Dazu kommt, dass man gemeinhin davon ausgehen darf, dass sich Steuersenkungen bestenfalls zu einem Drittel durch "wachstumsbasierte" Steuermehreinnahmen kompensieren lassen. Der Staat wird sich also auch künftig eifrig weiter verschulden und damit die Käufer von Staatsanleihen beglücken - frei nach dem Motto: der Staatshaushalt geht solange was pumpen bis er zusammenbricht.

Dass sich die Käufer von Staatsanleihen durch solche zumindest langfristig wenig erfreulichen Perspektiven nicht beunruhigen lassen, muss niemanden verwundern, die Gewinnerwartung von morgen überstrahlt jede Aussicht auf einen in relativer Ferne liegenden Totalverlust; man wird sich schon zu retten wissen. Hat doch bislang noch jede Regierung stets ihr Bestes gegeben, um den besitzenden Klassen auch in der Krise ihren Besitz zu sichern.

Was die angekündigte "Entlastung von Familien" angeht ist es um die Gegenfinanzierung deutlich besser bestellt. Man erhöht ein wenig das Kindergeld bzw. die Kinderfreibeträge und friert auf der anderen Seite die Arbeitgeberanteile an den Sozialversicherungsbeiträgen ein. Steigen nun die Sozialversicherungsbeiträge, dann steigen sie nur auf Seiten der Arbeitnehmer, dort dafür aber um so heftiger. Vermutlich wird man, damit das "Netto" nicht sichtlich weiter schmilzt und um weitere Erhöhungen der Beitrage zu vermeiden oder zu dämpfen, in einem zweiten Schritt dann auch die Leistungen der Sozialversicherungen noch weiter beschneiden und die Leute auffordern mehr "private Vorsorge" zu betreiben, damit das "Netto" nicht ständig weiter schmilzt. Leisten können sie sich das ja jetzt, wo sie doch endlich mehr "netto vom brutto" haben. Dass ein geringes "Netto" bei paritätischer Beteiligung der Arbeitgeber an den Sozialabgaben immer auch ein höheres Brutto mit sich bringt, muss man ihnen ja nicht eigens auf die Nase binden.

Ein besonderer Clou ist der Plan, kommunale Unternehmen, die etwa in der Abfallbeseitigung tätig sind, künftig mehrwertsteuerpflichtig zu machen und zwar sehr wahrscheinlich zum vollen Satz - schließlich muss ja irgendwo wieder hereingeholt werden, was man durch die Absenkung der MWSt.-Sätze in der Gastronomie weggibt. Die MWSt. ist bekanntlich (?) eine Endverbrauchersteuer und somit für Unternehmen lediglich ein durchlaufender Posten. Sie gilt nicht als Bestandteil des Warenwerts (wovon der Endverbraucher gemeinhin aber keine Kenntnis besitzt), sondern eben als "Mehrwert". Als Endverbrauchersteuer ist sie auf den eigentlichen Wert (besser Preis), der Waren aufzuschlagen. Für die Preisentwicklung der betroffenen Betriebe gib es nun zwei Möglichkeiten: entweder schlagen sie die MWSt. auf die bisherigen Preise auf, dann werden ihre Leistungen für den Privatmann entsprechend teurer, während sich für Unternehmen an den Preisen gar nichts ändert, da diese die gezahlte MWSt. ja als Vorsteuer voll von Ihrer Steuerschuld abziehen können. Oder die kommunalen Betriebe "schonen" den Bürger und "übernehmen", wie es z.B. im Zuge der Privatisierung der Telekom der Fall gewesen ist, die MWSt. indem man auf Gebührenerhöhungen (vorläufig) verzichtet. Das hätte dann für Unternehmenskunden dieser Betriebe den angenehmen "Nebeneffekt", dass für sie die Kosten entsprechend den jeweils erhobenen MWSt.-Sätzen sinken würden. Angemerkt sei hier noch, dass die Endverbraucherpreise keineswegs um die vollen MWSt.-Sätze angehoben werden müssen um die Belastung auszugleichen, denn wer MWST. vereinnahmt und abführt, darf diese ja mit den verausgabten "Vorsteuern" verrechnen, was von der MWST. befreiten Betrieben nicht möglich ist. Man darf aber einigermaßen sicher sein, dass kaum ein Betrieb sich die Mühe machen wird, die ihm entstehenden Mehrkosten exakt zu errechnen. Aber ganz unabhängig davon ob die MWST. auf die Preise der Kommunalen Versorger aufgeschlagen oder in sie "integriert" wird; in jedem Fall werden Unternehmen durch diese Änderung gegenüber privaten Endverbrauchern begünstigt. Was hier als ein Mittel zur Verbesserung der "Wettbewerbsgerechtigkeit" zwischen kommunalen und privatwirtschaftlich betriebenen Unternehmen verkauft wird, entpuppt sich so als ein fauler Trick, den privaten Haushalten (und zwar allen, auch den sogenannten "Transferempfängern") durch die Hintertür eine höhere Steuerlast aufzuerlegen.

Bleiben noch die zu erwartenden "Verbesserungen" für den Bodensatz der Gesellschaft, die Bezieher von ALG2. Für diese bleiben sowohl die Anhebung des Kinderfreibetrages als auch die Erhöhung des Kindergeldes um 20 Euro pro Monat ohne jede positive Wirkung auf ihre Einkommensverhältnisse. Denn erstens zahlen sie ja keine Einkommenssteuer und zweitens wird das Kindergeld als "Einkommen" des Kindes vollständig mit ALG2 verrechnet. Abgesehen, dass diese Verfahrensweise an sich schon skandalös ist, denn für "Normalverdiener" bedeutet das Kindergeld ja eine Einkommenszulage, ist es obendrein eine doppelte Frechheit, dass bei diesem "Einkommen" nicht einmal die ansonsten üblichen "Freibeträge" für Nebeneinkünfte gewährt werden (pauschal 100 Euro plus 20% von jedem weiteren hinzu verdienten Euro). Immerhin sollen, wie man vernimmt, neben der an anderer Stelle bereits erörterten Verdreifachung des sog. "Schonvermögens" auch die "Zuverdienstmöglichkeiten" erweitert werden, was ohne die gleichzeitige Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes freilich bloß ein schlechter Witz ist. Denn durch diese "Verbesserung" wird vor allem gewerblichen oder privaten "Arbeitgebern" in zunehmendem Umfang ermöglicht, Menschen zu nicht existenzsichernden Löhnen zu "beschäftigen". Im Grunde genommen werden also auch hier in erster Linie einmal mehr Unternehmen und "besserverdienende" Privathaushalte entlastet. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen, wer die Arbeitskraft anderer Menschen dem eigenen Gewinnstreben nutzbar macht, der sollte dafür wenigstens soviel aufwenden müssen, dass der arbeitende Mensch bei Vollzeit von seinem Arbeitsentgeld auch "in Würde" leben kann. Und selbst dieses Minimum wäre streng genommen noch zu wenig, denn a) setzt es bei Paaren beide Personen unter Vollerwerbszwang und b) wäre ein solches Minimaleinkommen immer noch viel zu gering um auch noch Kinder aufziehen zu koennen. Was gerade für zwei reicht, kann ja wohl schlecht auch noch für drei, vier oder mehr reichen.

Und dann wird auch noch etwas für die Bildung getan, indem man "besonders begabten" Studenten Stipendien in Höhe von 300 Euro pro Monat in Aussicht stellt. Dass davon mehrheitlich mit Sicherheit nicht diejenigen profitieren werden, die aus eher bescheidenen Verhältnissen stammen, wird man nicht eigens erklären müssen. Auch sollen "kleine Selbständige" künftig "Zugang zur Riester_Rente" erhalten - ich höre jetzt schon das Knallen der Sektkorken bei den Versicherungsgesellschaften.

Zum Abschluss noch ein paar Worte über das Verhältnis von Eigentum und Demokratie. Am Montag sah ich mal wieder ein Fetzchen "Unter den Linden" auf phoenix. Eingeladen waren dieses Mal Katja Kipping (MdB und stellvertretende Bundesvorsitzende Die Linke) und Jens Spahn (MdB CDU). Als ich zuschaltete, hatte Kipping gerade vorgeschlagen, Banken samt und sonders dauerhaft zu vergesellschaften (nicht zu verstaatlichen) um sie unter demokratische Kontrolle zu bringen. Da packte ihr Kontrahent gleich mal die Keule "Eigentumsrecht" aus und zwar als "Bedingung der Demokratie". Ein vollkommen lächerliches Argument. Ein Eigentumsrecht ist nicht einmal ein besonderes Merkmal einer Demokratie, es ist eigentlich eine "Selbstverständlichkeit". In irgendeiner codifizierten oder auch einfach traditionalen Form gibt es immer und überall ein "Eigentumsrecht". Aber, wie gesagt, in irgendeiner Form und nicht etwa in einer ganz bestimmten. Nicht einmal das Grundgesetz schützt ausdrücklich eine ganz bestimmte Form des Eigentums; es gewährleistet nur das Eigentum überhaupt, ohne dabei etwa explizit zwischen Gemein- und Privateigentum zu unterscheiden. Diese Unterscheidung bleibt dem BGB vorbehalten. Wer also neue Formen des Eigentums entwickeln und umsetzen möchte vergreift sich dabei keineswegs an einer Grundbedingung der Demokratie, sondern realisiert Demokratie überhaupt erst, insbesondere wenn er das Eigentumsrecht zu einer Frage macht, über die demokratisch entschieden werden soll. Das gegenwärtige Eigentumsrecht beruht ja nicht etwa auf demokratischen Entscheidungsprozessen, sondern wurde aus vordemokratischen Verhältnissen quasi vor der Demokratie, bzw. vor dem demokratischen Zugriff "gerettet". Und bezeichnenderweise hat man sich zur Einführung eines allgemeinen Wahlrechts erst durchgerungen, als man einigermaßen sicher sein durfte, dass das blöde Volk die besitzende Klasse nicht kraft Mehrheitsbeschlusses sogleich enteignen würde.

P.S.
Bemerkenswert in diesem Zusammhang finde ich, dass in besagter phoenix-Sendung ausgerechnet der CDU Mann Spahn Frau Kipping meinte darauf hinweisen zu müssen, dass die Kassiererin an der Kasse mit ihren Steuern für die Zinsen aufkomme, die die Bundesregierung den im Besitz von Staatsanleihen befindlichen Millionären zahle.

Nachgereicht: (28.10.2009 ca. 16:25h)

Abkassiert wird später!


Video via Politprofiler

5 Kommentare:

klaus baum 28. Oktober 2009 um 05:17  

kurt, respekt! für diesen beitrag.

endless.good.news 28. Oktober 2009 um 08:11  

Eine Anmerkung zu mehr Netto. Die Bundesregierung wird das hinbekommen, allerdings als Luftnummer. Denn erst einmal sinken die ganzen Abgaben (Steuern, Pflege, etc.) Gleichzeitig wird eine Zwangsprivatversicherung eingeführt. Die zahlt man dann ja von seinem Konto und nicht vom Lohnzettel. Schon hat man mehr Netto und die "freie" Wahl. Im Endeffekt wird es teuerer und die meisten Menschen haben noch weniger Geld in der Tasche.
Alles in allem ein schöner Artikel.

Mehr (Öko-) Sozialismus wagen :-) 5. November 2009 um 18:52  

Ja, dazu passen dann auch diese schönen Aussichten auf Deutschlands künftige Weltniveau:


"Wir führen Deutschland in Bildung, Wissenschaft und Forschung
an die Weltspitze, um kommenden Generationen ein Leben in Wohlstand,
Gerechtigkeit und Sicherheit zu ermöglichen. So wollen wir mit neuem Denken die
Zukunft gestalten"

http://www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf

Gruß hh

Olaf 9. November 2009 um 20:36  

Sehr guter und ausführlicher Artikel. Man muss sich fragen welche Konzepte schwarz-gelb (in den Fall besonders gelb) wirklich hat. Die Ankündigung von Steuersenkungen war doch sicher eher ein "Trick" um eben fpür die Wahlen mehr Stimmen zu kriegen, und nun kommt die FDP aber nicht so ganz einfach aus dieser Nummer raus. Ich find sowieso diesen ganzen Slogen "nehr brutto vom netto" für völlig unnötig. Immer wieder werden da die Zahlen gebracht dass von 100 Euro brutto nur 60 Euro netto übrigbleiben. Ja und? Das betrifft eine Gruppe die schon eine enttsprechend hohes Einkommen haben und eigentlich ja auch "die starken Schultern" sind die definitiv eben etwas für die Einnahmen des Staates tun können.
Ganz im Gegenteil bin ich der Meinung dass da durchaus noch mehr an Steuerlast vertragbar wäre.
Das fände ich ehrlicher als eben die Einahmeerhöhung durch Anhebung von Sozialversicherung oder durch die Pläne Gesundheit eben durch zusätzliche Eigenvorsorge zu verteuern - das trifft ja auch nur diejenigen die eben wenig verdienen.

Bernd 31. Januar 2010 um 14:22  

Eine wunderbare Zusammenfassung, die eigentlich an allem was uns schwarz-gelb bisher gebracht hat zu Recht kein gutes Haar lässt.
Als es feststand, dass wir nun von schwarz-gelb (blau) regiert werden, dachte ich noch "Na ja allzuviell werden die in 4 Jahern ja nicht kaputtmachen können". Aber ich fürchte dass dies leder nicht zutrifft.
Hier wird der Weg des Turbokapitalismus verstärkt weiterbeschritten und wenn ich die derzeitigen Pläne zur Krankenversicherung höre wird mir Angs und Bang. Vielleicht irre ich mich und die derzeitige Regierung weiß irgendetwas was ich nicht weiß - aber ich sehe nur dass es für die Bevölkerung teurer wird, dass für den Einzelnen immer weniger Geld zur freien Verfügung stehen wird und daß eben ein paar Euro an Steuererleichterung einer enormen Erhöhung von sonstigen Abgaben gegenüberstehen werden.

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