Dienstag, 4. August 2009

Sprachforschung im Wahlkampf: "Die Linke nutzt Schimpfvokabular"


Datiert vom 02.08. 2009 erschien in der taz ein Interview mit dem Sprachforscher Noah Bubenhofer, der "die Sprache der Grünen und der Linken untersucht" hat. Der Beitrag trug den Titel "Die Linke nutzt Schimpfvokabular", dass es auch um die Grünen geht erschließt sich erst bei der Lekture des Artikels. Wer angesichts dieser Schlagzeile Kampagnenjournalismus vermutetet liegt so falsch womöglich nicht. Dazu aber abschließend mehr. Zunächst eine Kostprobe:

Die Linke und insbesondere die Kommunistische Plattform als Teil der Linke verwenden viele negativ wertende Adjektive wie kalt, schlimm, falsch, bitter. Außerdem ist ein gewisses ideologisches Vokabular bei der Linken nach wie vor sehr ausgeprägt, was für die DDR ebenfalls typisch war. Wir haben auch untersucht, wie extremistisch Die Linke argumentiert und ob es sprachliche Parallelen zu Gruppierungen am rechten Rand gibt. Wir haben herausgefunden, dass die Kommunistische Plattform sprachliche Muster verwendet, die für extremistische Parteien generell üblich sind.

Was genau hat denn Die Linke rhetorisch mit der NPD gemein?

Man muss unterscheiden: Die Linke ist nicht so nah an rechtsextremer Rhetorik. Die Kommunistische Plattform dagegen spielt auch mit Emotionalität, sie treten sprachlich sehr rigoros für etwas ein. Beide setzen ein Mittel der Sprachthematisierung ein, sie schreiben "so genannte" oder setzen Begriffe in Anführungszeichen. Damit stellen beide, Rechte und Linke, sehr grundsätzliche Dinge in Fragen, Demokratie oder Freiheit zum Beispiel. Außerdem verwenden beide extrem wertende Adjektive. Je extremistischer eine Partei ist, desto stärker wertend und vor allem negativ wertend sind die Adjektive: sie sollen skandalisieren und dramatisieren.

Man beachte: in der Headline geht es um "Die Linke", leider scheint es aber so zu sein, dass die Analyse der Gesamtpartei nicht viel Aufregendes zu bieten hat, also verengt man den Untersuchungsgegenstand und kapriziert sich auf die "Kommunistische Plattform". So richtig "Böses" kann man der aber offenbar auch nicht anlasten, so dass nur die Flucht ins vage bleibt: "spielt auch mit Emotionalität, sie treten sprachlich sehr rigoros für etwas ein." Man beachte hier auch die vorbildliche Grammatik mit der eleganten Wende vom Singular in den Plural (sie spielt ... sie treten). Weiter: Offenbar ist es ein Zeichen von politischem Extremismus, wenn man nicht alles für bare Münze nimmt, was einem erzählt wird. Nur Extremisten betreiben "Sprachthematisierung" - pfui Teufel.

Dass es sich bei "Demokratie oder Freiheit zum Beispiel" keineswegs um "Dinge", sondern um Begriffe, die Verhältnisse bzw. Zustände kennzeichnen, handelt, ist Herrn Bubenhofer offenbar auch noch nicht in den Sinn gekommen. Natürlich kann man die Verhältnisse selbst in Frage stellen (also Demokratie und Freiheit als Zustand generell ablehnen), man kann aber eben auch danach fragen, ob die realen Verhältnisse überhaupt (noch) den Begriffen entsprechen, durch die sie (evtl. schon rein gewohnheitsmäßig) beschrieben werden. Aus einer Sammlung einzelner Wörter ist die jeweilige Position dessen, der sie "thematisiert", jedenfalls nicht zu entnehmen. Reine Spekulation also.

Es finden sich noch weitere Unterstellungen, die als Tatsachen gehandelt werden. So "muss Die Linke verdecken, dass sie aus unterschiedlichen Gruppierungen besteht". Das ist bei den Grünen natürlich ganz anders - bei SPD, CDU usw. sowieso - "Fundis"? "Realos"? linke/rechte Parteiflügel? Seeheimer? Hat es alles nie gegeben. Eine richtige Partei - das hat uns der Linguist soeben gelehrt- kommt aus einem Guss daher.

Ich habe mir dann noch die Mühe gemacht und die die Website des Dr. des. Bubenhofer zu besuchen. Dort wiederholt sich das Spiel; unter "Bundestagswahl '09: Eine Semantische Matrixanalyse" findet sich der Sub-Titel "Wie extremistisch ist die Linkspartei?" Auch hier erweist sich "Die Linke" im Ganzen als offenbar zu zahm, so dass der Untersuchungsgegenstand ebenfalls auf die Kommunistische Plattform verkürzt wird / werden muss um ueberhaupt ein "brauchbares" Resultat zu erhalten.

Kommunistischer Plattform und NPD ist also gemein, dass sie nicht nur Wörter und Begriffe aus aktuellen Politikfeldern zum Gegenstand sprachlich-semantischer Kritik machen, sondern und vor allem Wörter, die die Grundsätze der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland bezeichnen. Sie zeigen damit eine deutliche Distanz zur herrschenden Semantik der Gesellschaft, zu ihren Werten, ihrer Auffassung der Geschichte und zu ihrem politischen System.

Man beachte wie hier "wissenschaftlich" gearbeitet wird: man nimmt eine Teilmenge eines Objektes und vergleicht diese mit einem vollständigen anderen Objekt. Das ist etwa als würde man den Nährwert von zwei Äpfeln miteinander vergleichen, indem man vom Ersten die ganze Frucht untersucht, vom Zweiten aber nur das Kerngehäuse.

Und jetzt vergessen Sie bitte ganz schnell, was Sie hier gelesen haben und entfernen sie dieses blog ggf. umgehend aus Ihrem Newsreader oder Ihrer Favoritenliste. Der Verfasser dieses Artikels ist nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Extremist. Er werwendet (nicht nur in diesem Text) häufig "..." sowie "Adjektive, die auf vermeintliche Verblendungszusammenhänge verweisen", wie etwa angeblich, offenbar, offenkundig, offiziell, sogenannt, tatsächlich.

Diesen Adjektiven ist gemeinsam, dass sie das Potenzial haben, die Unwahrheit einer offiziell verbreiteten Meinung zu kennzeichnen oder die eigentliche Wahrheit zu markieren, die hinter einem von der herrschenden Meinung verbreiteten Verblendungszusammenhang verborgen ist. Dies ist insofern hier relevant, als die Konstruktion von Verschwörungstheorien ein typisches Merkmal des politischen Extremismus ist.
Quelle


P.S.: Flatter hat bereits ein paar Mal erwähnt, dass er nicht zu BILD verlinkt - ich bekomme langsam das Gefühl, dass man sich Links zu den arrivierten ("Qualitäts-")Medien erst recht schenken schenken sollte.

Nachtrag (04.08.2009, ca. 17:00h)
Leseempfehlung: "Ozeanien war schon immer unser Freund" (The Permanent Campain 04.08. 2009)

btw: heute gabs hier noch einen weiteren Eintrag.

5 Kommentare:

Anonym,  4. August 2009 um 11:12  

Komisch: In dem zitierten Abschnitt steht doch klar drin, dass Kommunistische Plattform und NPD verglichen wurden. Und in dem verlinkten Artikel steht auch drin, dass es große programmatische Unterschiede gibt zwischen den Parteien gibt. Am Ende steht auch, dass die Linkspartei insgesamt nicht extremistisch ist. Ich weiß gar nicht, worüber du dich aufregst... Dass die kommunistische Plattform so ist, wie sie ist, das finden viele doch auch in Ordnung so. Du wahrscheinlich auch. Und ob man das jetzt als extremistisch bezeichnet oder sagt, dass man eine andere Republik oder den dritten Weg will, ist doch letztlich egal. Extremismus ist ein relationaler Begriff, dessen Bedeutung sich aus dem Verhältnis zur herrschenden Ordnung ergibt.

Kurt aka Roger Beathacker 4. August 2009 um 13:23  

In der Tat: "In dem zitierten Abschnitt steht doch klar drin, dass Kommunistische Plattform und NPD verglichen wurden."

In der Einleitung - genauer: der Eingangsfrage - aber hiess es: "Herr Bubenhofer, sie haben die Sprache der Grünen und der Linken untersucht."

Nun kann man eine solche Untersuchung natuerlich auch auf einzelne Gruppen innerhalb der Grundgesamtheiten einengen und nur diese Untermengen miteinander vergleichen. Das waere nachvollziehbar. Statt dessen nimmt man aber eine Untermenge, um sie mit einer extremistischen Partei vom anderen Ende des politischen Spektrums zu vergleichen. Ein Vergleich, den man sich in Bezug auf die Grünen freilich schenkt. Man sollte hier auf die Feinheiten achten:

"Beide setzen ein Mittel der Sprachthematisierung ein, sie schreiben "so genannte" oder setzen Begriffe in Anführungszeichen. Damit stellen beide, Rechte und Linke, sehr grundsätzliche Dinge in Fragen, Demokratie oder Freiheit zum Beispiel. Außerdem verwenden beide extrem wertende Adjektive. Je extremistischer eine Partei ist, desto stärker wertend und vor allem negativ wertend sind die Adjektive: sie sollen skandalisieren und dramatisieren."

Am Ende des Satzes ist wieder von "Partei" die Rede - nicht von "Gruppierung" o. ae. Damit wird unter der Hand (ob bewusst oder unbewusst soll hier mal offen gelassen werden) der "Extremismus" der KP wieder auf die Gesamtpartei uebertragen. Der Kreis schliesst sich, wenn spaeter - auf die Frage: "Welchen anderen Parteien sind Die Grünen und Die Linke in ihrer Rhetorik am ähnlichsten?" - gesagt wird:
"Was Themen betrifft, gibt es bei der Linken schon auch Ähnlichkeiten zur SPD. Aber die SPD formuliert weniger emotional, weniger rigoros." [als die Linke]

Hier wird dann endgueltig der "Befund" bzgl. der KP (emotional, rigoros) wieder der Gesamtpartei zugerechnet.

Dazu kommt: ein Sinn laesst sich nicht einfach aus einer Anzahl von Worten und der Haeufigkeit ihrer Verwendung erschliessen - er steckt in Saetzen und Strukturen. Zwei vollkommen kontraere Ansichten zu einem bestimmten Thema koennen rein "wortwolkenmaessig" betrachtet durchaus einen hohen Grad der Uebereinstimmung aufweisen. Das liegt schon deshalb auf der Hand, weil die Wortwahl zu grossen Teilen durch das Thema vorgegeben wird.

Man betrachte auch, was, wie und wonach von Seiten der taz gefragt wird:

- "In den Pressemitteilungen der Linke kommen sehr häufig Zahlen vor. Warum?"

- "Auch wenn die Zahl völlig abstrakt ist."

- "Verwendet Die Linke versteckt oder bewusst eine gewisse DDR-Rhetorik?"

- "Was genau hat denn Die Linke rhetorisch mit der NPD gemein?".

Entscheidend ist m.E, dass hier (zunaechst) ueberhaupt eine (moegliche) "Naehe" zur NPD suggeriert wird. Auch wenn das dann wieder relativiert wird. Weiter ist festzustellen, dass auch Bubenhofer sich eines "wertenden Vokabulars" bedient.

Gruene: "spannend""wollen "integrieren", "unkompliziert".

Linke: "verdecken", "demonstrieren", "Schimpfvokabular", "Phrasen" usw.

Interessant auch: wird Eingangs noch als wesentliches unterscheidendes Merkmal festgestellt, dass die Grünen "wollen", die Linke aber "fordert", so stellt sich spaeter heraus, dass "Forderungen" offenbar auch bei den Gruenen eine wichtige Rolle spielen: "Andere Kombinationen mit dem Wort neu sind die Begriffe Forderungen, Gefahr und europäisch. " Und das die Linke "mit festem Willen etwas erreichen" will.

Alles in Allem - ich hinterliess diese Einschaetzung bereits auf der Kommentarseite zum Artikel - ist die Essenz dieses Interviews:

"Sprachforscher Noah Bubenhofer sagt: "Die Gruenen finde ich spannend, Die Linke ist mir suspekt."

Es lohnt sich uebrigens, auch den dort inzwischen erschienenen Kommentar (04.08. 12:11 Uhr) des Users "Noras Herrchen" zu lesen.

Noras Herrchen 4. August 2009 um 16:58  

Hallo Roger,

herzlichen Dank für die Einladung. Du kannst Dich gerne bedienen: Ganz, in Teilen oder per Link, wie Du möchtest. Ich habe den Beitrag inzwischen auch bei mir eingestellt. Das war so eine lange Fummelei und Feilerei, diesen absurden Vorgang zu verstehen und wieder auf die Füße zu stellen, dass ich heute Vormittag zu erledigt war, um noch Links zu setzen und Zeug hochzuladen.

Der Ansatz der Studie selbst ist in der Tat in sich logisch und "fair", wie ich finde. Man nimmt sich zwei offen als extremistisch eingestufte Kräfte, KPF und NPD, dazu zwei unsichere Kantonisten, Rep und Linke, und die Union als Vergleichsgröße. Den Rest machen in der Computerlinguistik dann die Computer fast von alleine. Allerdings hat das Ganze auch einen tautologischen Touch, weil der Verfassungsschutz seine Einstufungen eben genau nach solchen formalen Kriterien vornimmt. Dass semtracks anschließend hohe Korrelationen zwischen gleich klassifizierten Gruppierungen findet, ist von daher gesehen nicht besonders spektakulär, auch wenn sie es hier auf das Feld der Semantik ausweiten und die Programmatik außer acht lassen. Ich würde als Partei jedenfalls nicht für so eine Studie zahlen.

Politisch relevant ist natürlich die Differenzierung zwischen "richtig extremistisch" und "na ja, schaun wer mal". Dass die Linkspartei so friedlich daherkommt wie die Union, das hätte ich auch nicht gedacht.

Kurt aka Roger Beathacker 4. August 2009 um 17:13  

Danke fuer die Genehmigung. Dein blog hatte ich inzwischen auch schon ergoogelt ("Nrrch") und meinen Beitrag um einen Link zu Deinem Artikel ergaenzt.

Beste Gruesse

Kurt

klaus baum 4. August 2009 um 17:45  

was macht der mann, wenn man unter eid schwört kein linker zu sein und ihn dann ein arschloch nennt?

sprache, die emotionalität zeigt. ja, mei. was denn sonst?

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