Zum 1. Mai: Was ist eigentlich Arbeit?
Eine Frage, die zu wohl zu keinem Tag des Jahres besser passt, als zu diesem, dem sogenannten "Tag der Arbeit. Eine eigene Antwort auf diese Frage möchte ich an dieser Stelle indes (noch) nicht geben. Stattdessen im Folgenden ein Zitat von Bertrand Russell, das ich eigens für dieses Datum "reserviert" habe.
"Zunächst: was ist eigentlich Arbeit? es gibt zweierlei Arten: einmal, Verlagern der Materie auf oder nahe der Erdoberfläche in Bezug auf andere derartige Materien; zweitens, andere Leute anweisen es zu tun. Arbeit der ersten Art ist unangenehm und schlecht bezahlt, der zweiten angenehm und hochbezahlt. Außerdem lässt sich die zweite unbegrenzt erweitern: es gibt nicht nur Leute die befehlen, sondern auch welche die Ratschläge geben, was zu befehlen sei. Gewöhnlich werden zwei gegensätzliche Arten von Ratschlägen von zwei organisierten Gruppen von Menschen gleichzeitig erteilt; das nennt man Politik. Die Befähigung für diese Art von Arbeit braucht nicht auf Kenntnis der Personen, denen der Rat erteilt wird zu beruhen, vielmehr nur auf Beherrschung der Kunst, durch Wort und Schrift zu überzeugen, das heißt, auf Beherrschung der Werbung und Propaganda.
In ganz Europa, wenn auch nicht in Amerika, gibt es noch eine dritte Gesellschaftsklasse, die höher geachtet wird, als beide arbeitenden Klassen. Es sind Menschen, denen ihr Grundbesitz erlaubt, andere Leute für das Vorrecht, existieren und arbeiten zu dürfen zahlen zu lassen. Diese Grundbesitzer tun nichts, und man könnte daher vielleicht annehmen ich würde ihr Loblied singen. Unglücklicherweise wird ihnen ihr Nichtstun nur durch den Fleiß anderer ermöglicht; und tatsächlich ist ihr Streben nach angenehmem Müßiggang der historische Ursprung des ganzen Evangeliums der Arbeit. Und daß andere Menschen ihrem Beispiel folgen könnten, wäre das letzte, was sie sich jemals wünschen würden.
[...]
Dank der modernen Technik brauchte heute Freizeit und Muße, in gewissen Grenzen, nicht mehr das Vorrecht kleiner bevorzugter Gesellschaftsklassen zu sein, könnte vielmehr mit Recht gleichmäßig allen Mitgliedern der Gesellschaft zugute kommen. Die Moral der Arbeit ist eine Sklavenmoral und in der neuzeitlichen Welt bedarf es keiner Sklaverei mehr."
Bertrand Russell. Lob des Müßiggangs. Coron Verlag. Zürich 1970. S.72ff.(Erstveröffentlichung: 1935)
6 Kommentare:
"Andere für sich arbeiten lassen, ist nicht verallgemeinerbar" - mit diesem kurz-prägnanten 'Statement' hat Wolfgang Fritz Haug, Herausgeber von 'Das Argument', dargelegt, dass unsere 'Arbeitsgesellschaft' den Anforderungen des 'kategorischen Imperativs' nach Kant nicht genügt, oder, etwas schärfer formuliert, ihn verletzt. Gleiches gilt auch von Kants Definition der Menschenwürde, die es verbietet, den anderen nur als Mittel (hier zur Erzeugung von Profit) zu betrachten. Trotzdem ist natürlich beides 'fester Bestandteil' unseres 'westlichen Wertekanons'...
Ein Wort noch zu Übersetzungen aus dem Englischen - die englische Sprache kennt statt nur eines Begriffes ('Arbeit') deren zwei: 'work' und 'labour'. Dabei ist 'work' der tätige Umgang des Menschen mit der Welt, 'labour' hingegen der Sonderfall, bei dem der Mensch dies für einen anderen, der sich die Arbeitsergebnisse 'rechtens' aneignen darf, tut. Die 'protestantische Arbeitsethik', das 'Evangelium der Arbeit', von dem Russell spricht, betrifft in erster Linie letztere Form - für die wir im Deutschen nur den zusammengesetzten Ausdruck 'Lohnarbeit' kennen.
Diese 'begriffliche Impotenz', die im Deutschen immer wieder diese zwei grundverschiedenen Dinge zusammenwirft, mag einiges zum braven deutschen Geist beitragen - er kennt 'Arbeit' ('an sich') wiegehend nur als 'Lohnarbeit' (den Sonderfall) bzw bringt sie immer wieder durcheinander. Die Forderung nach 'Abschaffung der Arbeit' bspw kann ihm daher nur weltfremd, überzogen und absurd erscheinen - eben weil er keinen 'Begriff' von dem grundlegenden Unterschied hat.
Arbeit ist alles was Mühe macht und was man nicht gerne tut, oder aber macht Arbeit das Leben schöner?
@ Peinhard
Sehr interessante Anmerkung.
"Die Sprache ist das Haus des Seins" stellte Heidegger einmal fest (wie Du sicherlich weißt).
Eine Wahrheit, die ebenso interessant ist wie sie einen, im Schatten der zunehmenden Simplifizierung unserer Sprache, nichts Gutes für die Zukunft ahnen lässt.
Inwieweit das Auf und Ab einer Sprache Naturgesetzen unterliegt oder der Gesellschafts- und Wirtschaftsform, in der sie lebt, b.z.w. ob es da Wechselwirkungen gibt, insofern, als dass bestimmte grammatikalische Sprachformen bestimmte Gesellschaftsformen begünstigen; gibt es dazu Thesen, Untersuchungen gar?
"Trotzdem ist natürlich beides 'fester Bestandteil' unseres 'westlichen Wertekanons'..."In der Regel in Form von "name-dropping" - ja. Man hat mal irgendwo gehoert, dass der grosse Immanuel Kant etwas bedeutsames gesagt bzw. geschrieben hat. Selbst gelesen hat mans in der Regel nicht - und begriffen? Wie denn?
:-(
Vielleicht auch eine gute Gelegenheit, mal wieder das - nicht unumstrittene, aber dennoch jedenfalls lesenswerte - 'Manifest gegen die Arbeit' zu verlinken:
http://www.krisis.org/1999/manifest-gegen-die-arbeit
Wobei natürlich auch hier 'labour' gemeint ist und nicht etwa 'work'...
@Peinhard
vielen Dank für das Manifest, habe es gleich in mein gemeheimrätliches Archiv eingespeist. Hier steht alles wohl formuliert drinne was mir seit langem im Bauch rumort...
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