Die Erhöhung der Hartz IV Sätze sei
"ein Anschub für die Tabak und Spirituosenindustrie", soll er gesagt haben, der Mißfelder - Wie viele andere, habe auch ich das vernommen und mich kurz gefragt ob ich dazu etwas schreiben soll, was ich dann aber vorerst bleiben ließ. An derartige Dumpfbacken ist im Grunde jedes Wort verschwendet. Und Mißfelder hat ja auch nichts gesagt, das man von ihm nicht hätte erwarten dürfen. Im Gegenteil, verglichen mit dem was er
vor sechs Jahren von sich gegeben hat, war diese Äußerung geradezu harmlos. Und warum sollte man von einem Vertreter der eher als "rechts" angesehenen CDU mehr erwarten, als von Mitgliedern der angeblich "linken" SPD, wie etwa Wolfgang Clement oder
Thilo Sarrazin?
Andere haben das anders gesehen und so wurde der "Fall Mißfelder" schnell zum beherrschenden (blog-)Thema der letzten Tage. Dabei ist nicht eigentlich Mißfelder das Problem, der sagt einfach nur was er denkt (oder was er für Denken hält) und was eine nicht gerade geringe Zahl unserer geschätzten Mitbürger offenbar ebenfalls unter "vernünftigem" Denken versteht. Das zeigt sich an dem Beifall, der seinen Worten - insbesondere nach dem er sie "relativiert" hat - inzwischen gezollt wird.
Anzumerken ist hier, dass Mißfelder eigentlich gar nichts relativiert, sondern einfach das Thema gewechselt hat. Plötzlich ging es gar nicht mehr um den Tabak- und Zigarettenkonsum von ALG2 Empfängern (der ihn, mit Verlaub, ohnehin einen Scheißdreck angeht), sondern um die armen, unschuldigen Kinder des gesellschaftlichen Abschaums:
Mißfelder relativierte am Freitag seine Äußerungen:
"Es geht nicht um eine Herabsetzung von Hartz-IV-Empfängern, die häufig unverschuldet in ihre Lebenssituation geraten sind", sagte Mißfelder der Nachrichtenagentur AP. "Mir geht es darum, dass das Geld bei den Kindern ankommt. Und da habe ich große Zweifel, ob die Unterstützung zielgenau ist", sagte Mißfelder.
Okay - er sagt nicht "Abschaum", sondern spricht von "armen und manchmal auch überforderten Menschen", insofern relativiert er seine Aussage doch. Und "armen und manchmal auch überforderten Menschen" hilft man offenbar am Besten, indem man sie schrittweise entmündigt:Mißfelder: [in BILD] Dieser Missbrauch wird ja nicht von bösen, sondern von armen und manchmal auch überforderten Menschen betrieben. Denen muss man helfen. Ich bin dafür, Gutscheine zur Verfügung zu stellen, z. B. zur Finanzierung der Schulspeisung, von Nachhilfeunterricht und für Sport. Bisher ist es ja in Missbrauchsfällen so, dass die Kinder ohne Frühstück in die Schule oder in den Kindergarten kommen und das Jugendamt sagt: Da können wir leider nichts machen. Da kann man was machen!
Das brachte nicht nur Applaus von den Bildzeitungsvorzeigemoralaposteln Hahne und Lambeck, sondern auch - man glaubt es kaum - von einem eher obskuren Verein, der sich "Deutsche Kinderhilfe e.V." nennt:
"Es ist gut, dass eine solche Aussage gemacht wird, damit eine Debatte angeregt wird", sagte ihr Vorsitzender Georg Ehrmann der Nachrichtenagentur AP. Tatsächlich gehe nach Beobachtungen der Kinderhilfe die "beinahe schon reflexartige" Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze "genau in die falsche Richtung". So sei insbesondere im Hartz-IV-Milieu ein besonders hoher Anstieg des Verkaufs elektronischer Medien zu beobachten, sagte Ehrmann. [FTD]
Ja, klar kann man da "was machen" Herr Mißfelder! - aber wenn schon, dann doch bitte konsequent. Immerhin dürfte es auch reichlich Kinder von Nicht-ALG2-Abhängigen geben, von Leuten also, die irgendeinem Job nachgehen und der Gesellschaft "nicht auf der Tasche liegen". Wenn also das eigentliche Problem dieses ist: dass das Geld (egal aus welcher Quelle es sprudelt), den Kindern nicht zugute kommt, dann plädiere ich dringend dafür, alle Kinder beim Betreten der Schulen künftig daraufhin zu kontrollieren, ob sie auch ein "ordentliches Frühstück" dabei haben oder etwa übergewichtig daherkommen. Eltern von Kindern die mehr als einmal ohne ordnungsgemäß zubereitetes Frühstückspaket oder nur mit einer Kinder-Milchschnitte versehen ihre Bildungsstätte aufsuchen, ist zum Wohle ihrer Nachkommenschaft fortan ein Teil ihrer Einkünfte - und zwar ganz abgesehen von der Frage, ob diese aus ALG2 oder Erwerbseinkommen stammen - in Gutscheinen auszuhändigen. Für die Eltern übergewichtiger Kinder gilt das gleiche; was als Übergewicht anzusehen ist, bemisst sich dabei nach dem je aktuellen Sozialhilfebedarf deutscher Banken und in Deutschland ansässiger, von der Pleite bedrohter Großunternehmen.
Man sieht: das Problem sind nicht die einzelnen Dumpfbacken wie Mißfelder, Thilo Sarrazin, Wolfgang Clement, Gottfried Ludewig, Roman Herzog, Franz Müntefering, Heinrich Alt usw usf. Das Problem ist der Un-Geist der sie und all die, die ähnlich "denken" wie sie selbst, beherrscht und den sie selbst als den schlechthin "guten Geist" oder "Geist der Guten" verehren. Und es ist eben dieser Ungeist, dem sich Hartz IV verdankt, als die "unterste Schublade der Gesellschaft, in der man mit Fug und Recht nichts als Abschaum vermuten darf.
Hartz IV erlaubt es der braven Mittelschicht, eine Auszeit zu nehmen von jeglicher Form differenzierten oder differenzierenden Denkens. Hartz IV das ist gleichbedeutend mit Faulheit, Laster und Schmarotzertum; mit Alkoholismus, Kettenrauchen und Flachbildschirmen. Obwohl die Zusammensetzung der Menschengruppe, die man in dieser untersten Schublade abgelegt hat, nicht weniger heterogen ist als die der übrigen Gesellschaft und obwohl die einzige Gemeinsamkeit, die tatsächlich alle ALG2 Empfänger teilen, eben die ist, dass sie über kein oder kein ausreichendes Erwerbseinkommen verfügen und die einzige Gemeinsamkeit der Übrigen, dass sie kein ALG2 beziehen, werden alle anderen Differenzierungen gegenstandslos, sobald jemand länger als ein Jahr arbeitslos seiend in dieser Schublade verschwindet. Da helfen weder Facharbeiterbriefe, noch Diplome, noch Dissertationen: ALG2- Bezug: das ist die eine große Diskriminierung, die in sich keiner weiteren Diskriminierungen (Unterscheidungen) bedarf; der große Wurf, der es erlaubt alle sozialen Probleme ggf. zu einem einzigen zu verschmelzen: gibt es ein soziales Problem, dann wird man es ganz sicher auch (!) in der Hartz IV Klientel finden, auf die es sich sodann beschränken und zu guter letzt totalisieren lässt, nach dem Muster:
- : "Es gibt vernachlässigte Kinder."
- -> "Es gibt vernachlässigte Kinder in "Hartz-IV-Familien."
- -> "
Nur in Hartz-IV-Familien gibt es vernachlässigte Kinder."
=> "Kinder in Hartz-IV-Familen werden grundsätzlich vernachlässigt."Je nach Bedarf können die "vernachlässigten Kinder" ggf. durch "Alkoholiker", "Kettenraucher", "Simulanten", "Flachbildschirm-Fetischisten", "Arbeitsscheue" usw. zu ersetzt werden. Die Formel stimmt immer.Und damit ist klar: wer keine sozialen Probleme hat oder verursacht, der hat auch Arbeit und braucht kein ALG2. Und umgekehrt gilt, dass der arbeitslose ALG2-Empfänger nicht die Folge, sondern der Verursacher der sozialen Misere schlechthin ist. Sicherlich,
es gibt Ausnahmen, das wird gemeinhin nicht in Abrede gestellt, aber diese Ausnahmen bestätigen - einmal mehr - nur die Regel, denn mehrheitlich - das steht fest - trifft es doch bloß diejenigen, die nichts besseres verdient haben, weil sie (sich) eben nichts "verdienen". Und
"wer nicht arbeitet, braucht nichts essen." (
Franz Müntefering 2006).
Was dabei offenbar vergessen gemacht werden soll: dieser Sumpf wurde von eben denen, die jetzt bei jeder sich bietenden Gelegenheit lauthals die Verhältnisse, die dort (angeblich) herrschen, beklagen im Wesentlichen einmütig und mit Bedacht angelegt, von jenen "Vertretern und
Anwälten der Mitte" also, die sich - zunehmend zu Unrecht - "Volksvertreter" nennen und die in gelegentlich wechselnder Konstellation seit 60 Jahren dieses Land regieren; und dieser Sumpf wird unverdrossen und stetig weiter mit Schlamm befüllt von deren Helfershelfern, den unbeugsamen
Verteidigern der privilegierten Meinungsfreiheit, die diese ihre freie Meinung Tag für Tag in Presse, Funk und Fernsehen tapfer als die herrschende durchzusetzen trachten. Phillipp Mißfelders jüngste Äußerung ist nur ein weiterer Misston in der Kakophonie laut quakend ihren Pfuhl verteidigender Frösche, und gäbe es nicht bereits Zeitgenossen wie Mißfelder und Konsorten, man würde sie wohl erfinden müssen.
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